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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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es gelang ihr nicht, weil es ihrem Wesen ferne lag, wie
man die Natur zerpflücken könne, um sie zu verstehen! Ihr
war sie ein schönes harmonisches Ganze, aus der sie reinen
Genuß schöpfte und die Verehrung für den Schöpfer. Denn
während sich Ernst Büchner von seiner Wissenschaft so weit
aus dem Reiche des Glaubens hinwegführen ließ, als sie
ihn eben leiten wollte, blieb Caroline gläubig, keine fana-
tische Frömmlerin, aber ein frommes Gemüth, welches sich
auch gerne für seine Verehrung die gewohnten Formen ge-
fallen ließ, ohne viel darüber zu grübeln. Dieser Zug stört
uns sicherlich nicht dies "Musterbild edelster Menschlichkeit".
Ein Edelstein von höchstem Werthe, klar und durchsichtig,
von regelmäßigster Structur!

Wer dies überdenkt und zusammenfaßt, dem wird sich
auch das Bild des Hauswesens, in dem Georg Büchner
aufwuchs, klar vor Augen stellen, und wenige Striche werden
genügen, es festzuhalten. Es war ein sehr stilles, sehr
schlichtes, dabei kerniges Familienleben, in seiner Führung
von Ueppigkeit und Entbehrung gleich weit entfernt, ein
Haus des gebildeten, deutschen Mittelstandes. Das enge,
gesellschaftliche Leben in Darmstadt, dieser damals und viel-
leicht jetzt noch langweiligsten deutschen Residenzstadt, hätte
wohl auch bei lebhaftem Verkehr mit der Außenwelt keine
blendenden Eindrücke für die Phantasie, keine geräuschvollen
Freuden geboten, aber dieser Verkehr war zudem, wie er-
wähnt, sehr spärlich. So war dies Haus eine fast ganz
in sich abgeschlossene Welt, deren Mittelpunkt für die Kinder
die liebliche, gütige Mutter war, ihre Freundin, Lehrerin
und Spielgefährtin. Aber wenn auch vornehmlich von ihr
Freude, Anregung und Belehrung ausging, so blieb doch

es gelang ihr nicht, weil es ihrem Weſen ferne lag, wie
man die Natur zerpflücken könne, um ſie zu verſtehen! Ihr
war ſie ein ſchönes harmoniſches Ganze, aus der ſie reinen
Genuß ſchöpfte und die Verehrung für den Schöpfer. Denn
während ſich Ernſt Büchner von ſeiner Wiſſenſchaft ſo weit
aus dem Reiche des Glaubens hinwegführen ließ, als ſie
ihn eben leiten wollte, blieb Caroline gläubig, keine fana-
tiſche Frömmlerin, aber ein frommes Gemüth, welches ſich
auch gerne für ſeine Verehrung die gewohnten Formen ge-
fallen ließ, ohne viel darüber zu grübeln. Dieſer Zug ſtört
uns ſicherlich nicht dies "Muſterbild edelſter Menſchlichkeit".
Ein Edelſtein von höchſtem Werthe, klar und durchſichtig,
von regelmäßigſter Structur!

Wer dies überdenkt und zuſammenfaßt, dem wird ſich
auch das Bild des Hausweſens, in dem Georg Büchner
aufwuchs, klar vor Augen ſtellen, und wenige Striche werden
genügen, es feſtzuhalten. Es war ein ſehr ſtilles, ſehr
ſchlichtes, dabei kerniges Familienleben, in ſeiner Führung
von Ueppigkeit und Entbehrung gleich weit entfernt, ein
Haus des gebildeten, deutſchen Mittelſtandes. Das enge,
geſellſchaftliche Leben in Darmſtadt, dieſer damals und viel-
leicht jetzt noch langweiligſten deutſchen Reſidenzſtadt, hätte
wohl auch bei lebhaftem Verkehr mit der Außenwelt keine
blendenden Eindrücke für die Phantaſie, keine geräuſchvollen
Freuden geboten, aber dieſer Verkehr war zudem, wie er-
wähnt, ſehr ſpärlich. So war dies Haus eine faſt ganz
in ſich abgeſchloſſene Welt, deren Mittelpunkt für die Kinder
die liebliche, gütige Mutter war, ihre Freundin, Lehrerin
und Spielgefährtin. Aber wenn auch vornehmlich von ihr
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[XVI/0032] es gelang ihr nicht, weil es ihrem Weſen ferne lag, wie man die Natur zerpflücken könne, um ſie zu verſtehen! Ihr war ſie ein ſchönes harmoniſches Ganze, aus der ſie reinen Genuß ſchöpfte und die Verehrung für den Schöpfer. Denn während ſich Ernſt Büchner von ſeiner Wiſſenſchaft ſo weit aus dem Reiche des Glaubens hinwegführen ließ, als ſie ihn eben leiten wollte, blieb Caroline gläubig, keine fana- tiſche Frömmlerin, aber ein frommes Gemüth, welches ſich auch gerne für ſeine Verehrung die gewohnten Formen ge- fallen ließ, ohne viel darüber zu grübeln. Dieſer Zug ſtört uns ſicherlich nicht dies "Muſterbild edelſter Menſchlichkeit". Ein Edelſtein von höchſtem Werthe, klar und durchſichtig, von regelmäßigſter Structur! Wer dies überdenkt und zuſammenfaßt, dem wird ſich auch das Bild des Hausweſens, in dem Georg Büchner aufwuchs, klar vor Augen ſtellen, und wenige Striche werden genügen, es feſtzuhalten. Es war ein ſehr ſtilles, ſehr ſchlichtes, dabei kerniges Familienleben, in ſeiner Führung von Ueppigkeit und Entbehrung gleich weit entfernt, ein Haus des gebildeten, deutſchen Mittelſtandes. Das enge, geſellſchaftliche Leben in Darmſtadt, dieſer damals und viel- leicht jetzt noch langweiligſten deutſchen Reſidenzſtadt, hätte wohl auch bei lebhaftem Verkehr mit der Außenwelt keine blendenden Eindrücke für die Phantaſie, keine geräuſchvollen Freuden geboten, aber dieſer Verkehr war zudem, wie er- wähnt, ſehr ſpärlich. So war dies Haus eine faſt ganz in ſich abgeſchloſſene Welt, deren Mittelpunkt für die Kinder die liebliche, gütige Mutter war, ihre Freundin, Lehrerin und Spielgefährtin. Aber wenn auch vornehmlich von ihr Freude, Anregung und Belehrung ausging, ſo blieb doch

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/32>, abgerufen am 20.04.2024.