vor dem Hause und er mußte sie sehen, wenn er den Blick von der Arbeit erhob. Am 24. Februar schrieb er den Be- gleitbrief an Gutzkow, und Wilhelm brachte das Manuscript zur Post. Auf dem Titel stand nur: "Dantons Tod. Ein Drama", und statt des Autornamens die Bitte, denselben zu verschweigen. Auf Gutzkow war seine Wahl deßhalb ge- fallen, weil sich dieser durch seine scharfen, kühnen und frei- sinnigen Kritiken im Frankfurter "Telegraph" rasch großen Einfluß erworben und auch mit dem sehr geachteten und rührigen Verleger J. D. Sauerländer in intimer Bezie- hung stand.
Das Begleitschreiben Büchners liegt dem Leser vor (S. 381) -- der seltsame Ton desselben kann nicht befremden, wenn man die Verhältnisse erwägt, unter denen es entstand. Ein fieberhaft erregter, verzweifelter Jüngling hat diese Zeilen geschrieben, um die einzige Hoffnung, an die er sich noch klammerte, zu verwirklichen. Aber so deutlich auch die Ab- sicht hervortritt, Neugierde, Theilnahme, ja Mitleid zu er- wecken -- keine Unwahrheit findet sich in diesem Briefe, ja sogar wenn man sich in das Gefühlsleben des Gepeinigten versetzt, keine Hyperbel. Sein Elend schien ihm in der That jenen Grad erreicht zu haben "welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht!"
Nur mit größter Anstrengung hatte er noch diesen bangen, trotzigen, verzweifelten Hilferuf geschrieben, dann ver- sagten die maßlos überreizten Nerven den Dienst und er ver- fiel in ein lethargisches Hinbrüten, welches die Familie noch weit besorgter machte als die vorangegangene Aufregung. Aber schon am 27. Februar ward er peinlich aus diesem Zustande aufgerüttelt: durch die Vorladung, noch im Laufe
vor dem Hauſe und er mußte ſie ſehen, wenn er den Blick von der Arbeit erhob. Am 24. Februar ſchrieb er den Be- gleitbrief an Gutzkow, und Wilhelm brachte das Manuſcript zur Poſt. Auf dem Titel ſtand nur: "Dantons Tod. Ein Drama", und ſtatt des Autornamens die Bitte, denſelben zu verſchweigen. Auf Gutzkow war ſeine Wahl deßhalb ge- fallen, weil ſich dieſer durch ſeine ſcharfen, kühnen und frei- ſinnigen Kritiken im Frankfurter "Telegraph" raſch großen Einfluß erworben und auch mit dem ſehr geachteten und rührigen Verleger J. D. Sauerländer in intimer Bezie- hung ſtand.
Das Begleitſchreiben Büchners liegt dem Leſer vor (S. 381) — der ſeltſame Ton desſelben kann nicht befremden, wenn man die Verhältniſſe erwägt, unter denen es entſtand. Ein fieberhaft erregter, verzweifelter Jüngling hat dieſe Zeilen geſchrieben, um die einzige Hoffnung, an die er ſich noch klammerte, zu verwirklichen. Aber ſo deutlich auch die Ab- ſicht hervortritt, Neugierde, Theilnahme, ja Mitleid zu er- wecken — keine Unwahrheit findet ſich in dieſem Briefe, ja ſogar wenn man ſich in das Gefühlsleben des Gepeinigten verſetzt, keine Hyperbel. Sein Elend ſchien ihm in der That jenen Grad erreicht zu haben "welcher jede Rückſicht vergeſſen und jedes Gefühl verſtummen macht!"
Nur mit größter Anſtrengung hatte er noch dieſen bangen, trotzigen, verzweifelten Hilferuf geſchrieben, dann ver- ſagten die maßlos überreizten Nerven den Dienſt und er ver- fiel in ein lethargiſches Hinbrüten, welches die Familie noch weit beſorgter machte als die vorangegangene Aufregung. Aber ſchon am 27. Februar ward er peinlich aus dieſem Zuſtande aufgerüttelt: durch die Vorladung, noch im Laufe
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[CLIX/0175]
vor dem Hauſe und er mußte ſie ſehen, wenn er den Blick
von der Arbeit erhob. Am 24. Februar ſchrieb er den Be-
gleitbrief an Gutzkow, und Wilhelm brachte das Manuſcript
zur Poſt. Auf dem Titel ſtand nur: "Dantons Tod. Ein
Drama", und ſtatt des Autornamens die Bitte, denſelben
zu verſchweigen. Auf Gutzkow war ſeine Wahl deßhalb ge-
fallen, weil ſich dieſer durch ſeine ſcharfen, kühnen und frei-
ſinnigen Kritiken im Frankfurter "Telegraph" raſch großen
Einfluß erworben und auch mit dem ſehr geachteten und
rührigen Verleger J. D. Sauerländer in intimer Bezie-
hung ſtand.
Das Begleitſchreiben Büchners liegt dem Leſer vor
(S. 381) — der ſeltſame Ton desſelben kann nicht befremden,
wenn man die Verhältniſſe erwägt, unter denen es entſtand.
Ein fieberhaft erregter, verzweifelter Jüngling hat dieſe Zeilen
geſchrieben, um die einzige Hoffnung, an die er ſich noch
klammerte, zu verwirklichen. Aber ſo deutlich auch die Ab-
ſicht hervortritt, Neugierde, Theilnahme, ja Mitleid zu er-
wecken — keine Unwahrheit findet ſich in dieſem Briefe, ja
ſogar wenn man ſich in das Gefühlsleben des Gepeinigten
verſetzt, keine Hyperbel. Sein Elend ſchien ihm in der That
jenen Grad erreicht zu haben "welcher jede Rückſicht vergeſſen
und jedes Gefühl verſtummen macht!"
Nur mit größter Anſtrengung hatte er noch dieſen
bangen, trotzigen, verzweifelten Hilferuf geſchrieben, dann ver-
ſagten die maßlos überreizten Nerven den Dienſt und er ver-
fiel in ein lethargiſches Hinbrüten, welches die Familie noch
weit beſorgter machte als die vorangegangene Aufregung.
Aber ſchon am 27. Februar ward er peinlich aus dieſem
Zuſtande aufgerüttelt: durch die Vorladung, noch im Laufe
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CLIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/175>, abgerufen am 23.11.2024.
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