Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sachen; freilich trocknete Gott das rothe Meer aus, da-
mit die Juden hindurchziehen konnten; freilich erschreckte
er zu allen Zeiten die Menschen mit Kometen oder Sonnen-
finsternissen, freilich kleidet er die Lilien auf dem Felde
und nährt die Vögel unter dem Himmel. Aber welcher
Verständige kann heute darin etwas Anderes erblicken,
als das ewige, unabänderliche Spiel und Walten natür-
licher Kräfte, und wer wüßte nicht, daß auch die Vögel
unter dem Himmel dem Mangel nicht zu widerstehen im
Stande sind? -- Und kann es endlich als eine Gottes
würdigere
Ansicht angesehen werden, wenn man sich
in demselben eine Kraft vorstellt, welche hier und da der
Welt in ihrem Gange einen Stoß versetzt, eine Schraube
zurechtrückt u. s. w., ähnlich einem Uhren-Reparateur?
Die Welt soll von Gott vollkommen erschaffen sein;
wie könnte sie einer Reparatur bedürfen?

Die Ueberzeugung von der Unabänderlichkeit der
Naturgesetze ist demnach auch unter allen Naturforschern
dieselbe und gewöhnlich nur die Art verschieden, wie sie
dieses Faktum mit dem eigenmächtigen Walten oder der
Existenz einer sogenannten absoluten Potenz in Einklang
zu bringen suchen. Sowohl Naturforscher, als Philo-
sophen haben sich von je in dieser Richtung, wenn auch,
wie es scheint, mit gleich unglücklichem Erfolge und in
sehr mannigfaltigen Nüancirungen versucht. Diese ver-
schiedenen Versuche können auf wissenschaftlichem Wege

ſachen; freilich trocknete Gott das rothe Meer aus, da-
mit die Juden hindurchziehen konnten; freilich erſchreckte
er zu allen Zeiten die Menſchen mit Kometen oder Sonnen-
finſterniſſen, freilich kleidet er die Lilien auf dem Felde
und nährt die Vögel unter dem Himmel. Aber welcher
Verſtändige kann heute darin etwas Anderes erblicken,
als das ewige, unabänderliche Spiel und Walten natür-
licher Kräfte, und wer wüßte nicht, daß auch die Vögel
unter dem Himmel dem Mangel nicht zu widerſtehen im
Stande ſind? — Und kann es endlich als eine Gottes
würdigere
Anſicht angeſehen werden, wenn man ſich
in demſelben eine Kraft vorſtellt, welche hier und da der
Welt in ihrem Gange einen Stoß verſetzt, eine Schraube
zurechtrückt u. ſ. w., ähnlich einem Uhren-Reparateur?
Die Welt ſoll von Gott vollkommen erſchaffen ſein;
wie könnte ſie einer Reparatur bedürfen?

Die Ueberzeugung von der Unabänderlichkeit der
Naturgeſetze iſt demnach auch unter allen Naturforſchern
dieſelbe und gewöhnlich nur die Art verſchieden, wie ſie
dieſes Faktum mit dem eigenmächtigen Walten oder der
Exiſtenz einer ſogenannten abſoluten Potenz in Einklang
zu bringen ſuchen. Sowohl Naturforſcher, als Philo-
ſophen haben ſich von je in dieſer Richtung, wenn auch,
wie es ſcheint, mit gleich unglücklichem Erfolge und in
ſehr mannigfaltigen Nüancirungen verſucht. Dieſe ver-
ſchiedenen Verſuche können auf wiſſenſchaftlichem Wege

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="40"/>
&#x017F;achen; freilich trocknete Gott das rothe Meer aus, da-<lb/>
mit die Juden hindurchziehen konnten; freilich er&#x017F;chreckte<lb/>
er zu allen Zeiten die Men&#x017F;chen mit Kometen oder Sonnen-<lb/>
fin&#x017F;terni&#x017F;&#x017F;en, freilich kleidet er die Lilien auf dem Felde<lb/>
und nährt die Vögel unter dem Himmel. Aber welcher<lb/>
Ver&#x017F;tändige kann heute darin etwas Anderes erblicken,<lb/>
als das ewige, unabänderliche Spiel und Walten natür-<lb/>
licher Kräfte, und wer wüßte nicht, daß auch die Vögel<lb/>
unter dem Himmel dem Mangel nicht zu wider&#x017F;tehen im<lb/>
Stande &#x017F;ind? &#x2014; Und kann es endlich als eine <hi rendition="#g">Gottes<lb/>
würdigere</hi> An&#x017F;icht ange&#x017F;ehen werden, wenn man &#x017F;ich<lb/>
in dem&#x017F;elben eine Kraft vor&#x017F;tellt, welche hier und da der<lb/>
Welt in ihrem Gange einen Stoß ver&#x017F;etzt, eine Schraube<lb/>
zurechtrückt u. &#x017F;. w., ähnlich einem Uhren-Reparateur?<lb/>
Die Welt &#x017F;oll von Gott <hi rendition="#g">vollkommen</hi> er&#x017F;chaffen &#x017F;ein;<lb/>
wie könnte &#x017F;ie einer Reparatur bedürfen?</p><lb/>
        <p>Die Ueberzeugung von der Unabänderlichkeit der<lb/>
Naturge&#x017F;etze i&#x017F;t demnach auch unter allen Naturfor&#x017F;chern<lb/>
die&#x017F;elbe und gewöhnlich nur die Art ver&#x017F;chieden, wie &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;es Faktum mit dem eigenmächtigen Walten oder der<lb/>
Exi&#x017F;tenz einer &#x017F;ogenannten ab&#x017F;oluten Potenz in Einklang<lb/>
zu bringen &#x017F;uchen. Sowohl Naturfor&#x017F;cher, als Philo-<lb/>
&#x017F;ophen haben &#x017F;ich von je in die&#x017F;er Richtung, wenn auch,<lb/>
wie es &#x017F;cheint, mit gleich unglücklichem Erfolge und in<lb/>
&#x017F;ehr mannigfaltigen Nüancirungen ver&#x017F;ucht. Die&#x017F;e ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Ver&#x017F;uche können auf wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichem Wege<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0060] ſachen; freilich trocknete Gott das rothe Meer aus, da- mit die Juden hindurchziehen konnten; freilich erſchreckte er zu allen Zeiten die Menſchen mit Kometen oder Sonnen- finſterniſſen, freilich kleidet er die Lilien auf dem Felde und nährt die Vögel unter dem Himmel. Aber welcher Verſtändige kann heute darin etwas Anderes erblicken, als das ewige, unabänderliche Spiel und Walten natür- licher Kräfte, und wer wüßte nicht, daß auch die Vögel unter dem Himmel dem Mangel nicht zu widerſtehen im Stande ſind? — Und kann es endlich als eine Gottes würdigere Anſicht angeſehen werden, wenn man ſich in demſelben eine Kraft vorſtellt, welche hier und da der Welt in ihrem Gange einen Stoß verſetzt, eine Schraube zurechtrückt u. ſ. w., ähnlich einem Uhren-Reparateur? Die Welt ſoll von Gott vollkommen erſchaffen ſein; wie könnte ſie einer Reparatur bedürfen? Die Ueberzeugung von der Unabänderlichkeit der Naturgeſetze iſt demnach auch unter allen Naturforſchern dieſelbe und gewöhnlich nur die Art verſchieden, wie ſie dieſes Faktum mit dem eigenmächtigen Walten oder der Exiſtenz einer ſogenannten abſoluten Potenz in Einklang zu bringen ſuchen. Sowohl Naturforſcher, als Philo- ſophen haben ſich von je in dieſer Richtung, wenn auch, wie es ſcheint, mit gleich unglücklichem Erfolge und in ſehr mannigfaltigen Nüancirungen verſucht. Dieſe ver- ſchiedenen Verſuche können auf wiſſenſchaftlichem Wege

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/60
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/60>, abgerufen am 01.05.2024.