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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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unserer ausgezeichnetsten Forscher eine gewisse Begeisterung
für das Stoffliche theilen, "dessen Verehrung sonst eine An-
klage hervorrief." Wer den Stoff erniedrigt, erniedrigt sich
selbst und die ganze Schöpfung; wer seinen Leib miß-
handelt, mißhandelt auch seinen Geist und fügt sich selbst
in dem Maße einen Schaden zu, als er vielleicht in seiner
thörichten Einbildung einen Gewinnst für seine Seele
erlangt zu haben glaubt. Materialisten -- hört man
häufig als mit einem verächtlich klingenden Namen Die-
jenigen nennen, welche nicht jene vornehme Verachtung
des Stofflichen theilen und sich bemühen, an ihm und
durch dasselbe die Kräfte und Gesetze des Dasein's zu er-
gründen, welche erkannt haben, daß nicht der Geist die
Welt aus sich construirt haben kann, und daß es daher
auch nicht möglich sein könne, durch ihn allein und ohne
den genauen und täglichen Umgang mit dem Stoffe
selbst zur Erkenntniß der Welt zu gelangen. Heute kann
jener Name in dem angedeuteten Sinne nur noch als
ein Ehrenname gelten. Die Materialisten und ma-
terialistischen Naturforscher sind Schuld daran, daß das
menschliche Geschlecht mehr und mehr von den Armen
des in seinen Gesetzen erkannten und bezwungenen Stoff's
e<supplied>mpor</supplied>getragen wird -- daß wir heute, entfesselt von den
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Windes über die Oberfläche der Erde dahineilen -- daß
wir uns gegenseitig nach den entferntesten Orten fast mit

unſerer ausgezeichnetſten Forſcher eine gewiſſe Begeiſterung
für das Stoffliche theilen, „deſſen Verehrung ſonſt eine An-
klage hervorrief.‟ Wer den Stoff erniedrigt, erniedrigt ſich
ſelbſt und die ganze Schöpfung; wer ſeinen Leib miß-
handelt, mißhandelt auch ſeinen Geiſt und fügt ſich ſelbſt
in dem Maße einen Schaden zu, als er vielleicht in ſeiner
thörichten Einbildung einen Gewinnſt für ſeine Seele
erlangt zu haben glaubt. Materialiſten — hört man
häufig als mit einem verächtlich klingenden Namen Die-
jenigen nennen, welche nicht jene vornehme Verachtung
des Stofflichen theilen und ſich bemühen, an ihm und
durch daſſelbe die Kräfte und Geſetze des Daſein’s zu er-
gründen, welche erkannt haben, daß nicht der Geiſt die
Welt aus ſich conſtruirt haben kann, und daß es daher
auch nicht möglich ſein könne, durch ihn allein und ohne
den genauen und täglichen Umgang mit dem Stoffe
ſelbſt zur Erkenntniß der Welt zu gelangen. Heute kann
jener Name in dem angedeuteten Sinne nur noch als
ein Ehrenname gelten. Die Materialiſten und ma-
terialiſtiſchen Naturforſcher ſind Schuld daran, daß das
menſchliche Geſchlecht mehr und mehr von den Armen
des in ſeinen Geſetzen erkannten und bezwungenen Stoff’s
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[26/0046] unſerer ausgezeichnetſten Forſcher eine gewiſſe Begeiſterung für das Stoffliche theilen, „deſſen Verehrung ſonſt eine An- klage hervorrief.‟ Wer den Stoff erniedrigt, erniedrigt ſich ſelbſt und die ganze Schöpfung; wer ſeinen Leib miß- handelt, mißhandelt auch ſeinen Geiſt und fügt ſich ſelbſt in dem Maße einen Schaden zu, als er vielleicht in ſeiner thörichten Einbildung einen Gewinnſt für ſeine Seele erlangt zu haben glaubt. Materialiſten — hört man häufig als mit einem verächtlich klingenden Namen Die- jenigen nennen, welche nicht jene vornehme Verachtung des Stofflichen theilen und ſich bemühen, an ihm und durch daſſelbe die Kräfte und Geſetze des Daſein’s zu er- gründen, welche erkannt haben, daß nicht der Geiſt die Welt aus ſich conſtruirt haben kann, und daß es daher auch nicht möglich ſein könne, durch ihn allein und ohne den genauen und täglichen Umgang mit dem Stoffe ſelbſt zur Erkenntniß der Welt zu gelangen. Heute kann jener Name in dem angedeuteten Sinne nur noch als ein Ehrenname gelten. Die Materialiſten und ma- terialiſtiſchen Naturforſcher ſind Schuld daran, daß das menſchliche Geſchlecht mehr und mehr von den Armen des in ſeinen Geſetzen erkannten und bezwungenen Stoff’s e<supplied>mpor</supplied>getragen wird — daß wir heute, entfeſſelt von den <supplied>Banden</supplied> der Schwerkraft, mit der Geſchwindigkeit des Windes über die Oberfläche der Erde dahineilen — daß wir uns gegenſeitig nach den entfernteſten Orten faſt mit

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/46>, abgerufen am 26.04.2024.