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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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Wechsel und Fluß dahineilend. Dabei bleibt die Menge
der Atome eines einfachen Grundstoffes im großen Ganzen
unveränderlich dieselbe; kein einziges Stofftheilchen kann
sich neu bilden, keines, das einmal vorhanden, aus dem
Dasein verschwinden. Die Beispiele und Beweise hier-
für ließen sich in Menge beibringen. Es genüge, zu
bemerken, daß die Wanderungen und Wandlungen, welche
der Stoff im Sein des All's durchläuft und welchen
der Mensch zum Theil mit Wage und Maß in der
Hand gefolgt ist, millionen- und aber millionenfach, daß
sie ohne Ziel und Ende sind. Auflösung und Zeugung,
Zerfall und Neugestaltung reichen sich aller Orten in
ewiger Kette einander die Hand. Jn dem Brod, das
wir essen, in der Luft, die wir athmen, ziehen wir den
Stoff an uns, der die Leiber unsrer Vorfahren vor tau-
send und abertausend Jahren gebildet hat; ja wir selbst
geben tagtäglich einen Theil unseres Stoff's an die Au-
ßenwelt ab, um denselben oder den von unsern Mit-
lebenden abgegebenen Stoff vielleicht in kurzer Zeit von
Neuem einzunehmen.

Von den Engländern kann man wörtlich sagen, daß
sie ihre Voreltern, die im Kampfe für sie und ihre Frei-
heit gegen die französische Herrschaft gefallen sind, zum
Danke dafür in ihrem täglichen Brode aufessen. Man
hat die Knochen des Schlachtfeldes von Waterloo in
großer Menge nach England geführt, um die Felder

Wechſel und Fluß dahineilend. Dabei bleibt die Menge
der Atome eines einfachen Grundſtoffes im großen Ganzen
unveränderlich dieſelbe; kein einziges Stofftheilchen kann
ſich neu bilden, keines, das einmal vorhanden, aus dem
Daſein verſchwinden. Die Beiſpiele und Beweiſe hier-
für ließen ſich in Menge beibringen. Es genüge, zu
bemerken, daß die Wanderungen und Wandlungen, welche
der Stoff im Sein des All’s durchläuft und welchen
der Menſch zum Theil mit Wage und Maß in der
Hand gefolgt iſt, millionen- und aber millionenfach, daß
ſie ohne Ziel und Ende ſind. Auflöſung und Zeugung,
Zerfall und Neugeſtaltung reichen ſich aller Orten in
ewiger Kette einander die Hand. Jn dem Brod, das
wir eſſen, in der Luft, die wir athmen, ziehen wir den
Stoff an uns, der die Leiber unſrer Vorfahren vor tau-
ſend und abertauſend Jahren gebildet hat; ja wir ſelbſt
geben tagtäglich einen Theil unſeres Stoff’s an die Au-
ßenwelt ab, um denſelben oder den von unſern Mit-
lebenden abgegebenen Stoff vielleicht in kurzer Zeit von
Neuem einzunehmen.

Von den Engländern kann man wörtlich ſagen, daß
ſie ihre Voreltern, die im Kampfe für ſie und ihre Frei-
heit gegen die franzöſiſche Herrſchaft gefallen ſind, zum
Danke dafür in ihrem täglichen Brode aufeſſen. Man
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[14/0034] Wechſel und Fluß dahineilend. Dabei bleibt die Menge der Atome eines einfachen Grundſtoffes im großen Ganzen unveränderlich dieſelbe; kein einziges Stofftheilchen kann ſich neu bilden, keines, das einmal vorhanden, aus dem Daſein verſchwinden. Die Beiſpiele und Beweiſe hier- für ließen ſich in Menge beibringen. Es genüge, zu bemerken, daß die Wanderungen und Wandlungen, welche der Stoff im Sein des All’s durchläuft und welchen der Menſch zum Theil mit Wage und Maß in der Hand gefolgt iſt, millionen- und aber millionenfach, daß ſie ohne Ziel und Ende ſind. Auflöſung und Zeugung, Zerfall und Neugeſtaltung reichen ſich aller Orten in ewiger Kette einander die Hand. Jn dem Brod, das wir eſſen, in der Luft, die wir athmen, ziehen wir den Stoff an uns, der die Leiber unſrer Vorfahren vor tau- ſend und abertauſend Jahren gebildet hat; ja wir ſelbſt geben tagtäglich einen Theil unſeres Stoff’s an die Au- ßenwelt ab, um denſelben oder den von unſern Mit- lebenden abgegebenen Stoff vielleicht in kurzer Zeit von Neuem einzunehmen. Von den Engländern kann man wörtlich ſagen, daß ſie ihre Voreltern, die im Kampfe für ſie und ihre Frei- heit gegen die franzöſiſche Herrſchaft gefallen ſind, zum Danke dafür in ihrem täglichen Brode aufeſſen. Man hat die Knochen des Schlachtfeldes von Waterloo in großer Menge nach England geführt, um die Felder

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/34>, abgerufen am 25.04.2024.