Form und Gestaltung verleiht, man denke die sogenannte Cohäsionskraft hinweggenommen, was würde und müßte die Folge sein? Die Materie müßte augenblicklich in ein formloses Nichts zerfallen. Jn der sinnlichen Welt kennen wir kein Beispiel irgend eines Stofftheilchens, das nicht mit Kräften begabt wäre, und vermittelst die- ser Kräfte spielt es die ihm zugewiesene Rolle bald in dieser, bald in jener Gestaltung, bald in Verbindung mit gleichartigen, bald in Verbindung mit ungleichartigen Stofftheilchen. Aber auch ideell sind wir in keiner Weise im Stande, uns eine Vorstellung einer kraftlosen Materie zu machen. Denken wir uns einen Urstoff, wie wir wollen, immer müßte ein System gegenseitiger Anziehung und Abstoßung zwischen seinen kleinsten Theilchen statt- finden; ohne dasselbe müßten sie sich selbst aufheben und spurlos im Weltenraume verschwimmen. "Ein Ding ohne Eigenschaften ist ein Unding, weder vernunft- gemäß denkbar, noch erfahrungsgemäß in der Natur vorhanden." (Droßbach.) -- Ebenso leer und haltlos ist der Begriff einer Kraft ohne Stoff. Jndem es ein ausnahmsloses Gesetz ist, daß eine Kraft nur an einem Stoff in die Erscheinung treten kann, folgt daraus, daß Kraft nichts weiter sein kann und nicht anders definirt werden darf, denn als eine Eigen- schaft der Materie, als eine "unzertrennliche, ihr von Ewigkeit innewohnende Eigenschaft." Deßwegen lassen
1*
Form und Geſtaltung verleiht, man denke die ſogenannte Cohäſionskraft hinweggenommen, was würde und müßte die Folge ſein? Die Materie müßte augenblicklich in ein formloſes Nichts zerfallen. Jn der ſinnlichen Welt kennen wir kein Beiſpiel irgend eines Stofftheilchens, das nicht mit Kräften begabt wäre, und vermittelſt die- ſer Kräfte ſpielt es die ihm zugewieſene Rolle bald in dieſer, bald in jener Geſtaltung, bald in Verbindung mit gleichartigen, bald in Verbindung mit ungleichartigen Stofftheilchen. Aber auch ideell ſind wir in keiner Weiſe im Stande, uns eine Vorſtellung einer kraftloſen Materie zu machen. Denken wir uns einen Urſtoff, wie wir wollen, immer müßte ein Syſtem gegenſeitiger Anziehung und Abſtoßung zwiſchen ſeinen kleinſten Theilchen ſtatt- finden; ohne daſſelbe müßten ſie ſich ſelbſt aufheben und ſpurlos im Weltenraume verſchwimmen. „Ein Ding ohne Eigenſchaften iſt ein Unding, weder vernunft- gemäß denkbar, noch erfahrungsgemäß in der Natur vorhanden.‟ (Droßbach.) — Ebenſo leer und haltlos iſt der Begriff einer Kraft ohne Stoff. Jndem es ein ausnahmsloſes Geſetz iſt, daß eine Kraft nur an einem Stoff in die Erſcheinung treten kann, folgt daraus, daß Kraft nichts weiter ſein kann und nicht anders definirt werden darf, denn als eine Eigen- ſchaft der Materie, als eine „unzertrennliche, ihr von Ewigkeit innewohnende Eigenſchaft.‟ Deßwegen laſſen
1*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="3"/>
Form und Geſtaltung verleiht, man denke die ſogenannte<lb/>
Cohäſionskraft hinweggenommen, was würde und müßte<lb/>
die Folge ſein? Die Materie müßte augenblicklich in<lb/>
ein formloſes Nichts zerfallen. Jn der <hirendition="#g">ſinnlichen</hi> Welt<lb/>
kennen wir kein Beiſpiel irgend eines Stofftheilchens,<lb/>
das nicht mit Kräften begabt wäre, und vermittelſt die-<lb/>ſer Kräfte ſpielt es die ihm zugewieſene Rolle bald in<lb/>
dieſer, bald in jener Geſtaltung, bald in Verbindung<lb/>
mit gleichartigen, bald in Verbindung mit ungleichartigen<lb/>
Stofftheilchen. Aber auch <hirendition="#g">ideell</hi>ſind wir in keiner Weiſe<lb/>
im Stande, uns eine Vorſtellung einer kraftloſen Materie<lb/>
zu machen. Denken wir uns einen Urſtoff, wie wir<lb/>
wollen, immer müßte ein Syſtem gegenſeitiger Anziehung<lb/>
und Abſtoßung zwiſchen ſeinen kleinſten Theilchen ſtatt-<lb/>
finden; ohne daſſelbe müßten ſie ſich ſelbſt aufheben und<lb/>ſpurlos im Weltenraume verſchwimmen. „Ein Ding<lb/><hirendition="#g">ohne</hi> Eigenſchaften iſt ein Unding, weder vernunft-<lb/>
gemäß denkbar, noch erfahrungsgemäß in der Natur<lb/>
vorhanden.‟ (Droßbach.) — Ebenſo leer und haltlos<lb/>
iſt der Begriff einer Kraft ohne Stoff. Jndem es<lb/>
ein ausnahmsloſes Geſetz iſt, daß eine Kraft nur an<lb/>
einem Stoff in die Erſcheinung treten kann, folgt<lb/>
daraus, daß Kraft nichts weiter ſein kann und nicht<lb/>
anders definirt werden darf, denn als eine <hirendition="#g">Eigen-<lb/>ſchaft</hi> der Materie, als eine „unzertrennliche, ihr von<lb/>
Ewigkeit innewohnende Eigenſchaft.‟ Deßwegen laſſen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">1*</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[3/0023]
Form und Geſtaltung verleiht, man denke die ſogenannte
Cohäſionskraft hinweggenommen, was würde und müßte
die Folge ſein? Die Materie müßte augenblicklich in
ein formloſes Nichts zerfallen. Jn der ſinnlichen Welt
kennen wir kein Beiſpiel irgend eines Stofftheilchens,
das nicht mit Kräften begabt wäre, und vermittelſt die-
ſer Kräfte ſpielt es die ihm zugewieſene Rolle bald in
dieſer, bald in jener Geſtaltung, bald in Verbindung
mit gleichartigen, bald in Verbindung mit ungleichartigen
Stofftheilchen. Aber auch ideell ſind wir in keiner Weiſe
im Stande, uns eine Vorſtellung einer kraftloſen Materie
zu machen. Denken wir uns einen Urſtoff, wie wir
wollen, immer müßte ein Syſtem gegenſeitiger Anziehung
und Abſtoßung zwiſchen ſeinen kleinſten Theilchen ſtatt-
finden; ohne daſſelbe müßten ſie ſich ſelbſt aufheben und
ſpurlos im Weltenraume verſchwimmen. „Ein Ding
ohne Eigenſchaften iſt ein Unding, weder vernunft-
gemäß denkbar, noch erfahrungsgemäß in der Natur
vorhanden.‟ (Droßbach.) — Ebenſo leer und haltlos
iſt der Begriff einer Kraft ohne Stoff. Jndem es
ein ausnahmsloſes Geſetz iſt, daß eine Kraft nur an
einem Stoff in die Erſcheinung treten kann, folgt
daraus, daß Kraft nichts weiter ſein kann und nicht
anders definirt werden darf, denn als eine Eigen-
ſchaft der Materie, als eine „unzertrennliche, ihr von
Ewigkeit innewohnende Eigenſchaft.‟ Deßwegen laſſen
1*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/23>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.