keiten des Vaters. Unendlich fein und unsern Sinnen vorerst gänzlich unzugänglich müssen hier die molekulären Verhältnisse jener unbedeutenden Stoffmenge sein, die als Träger zukünftiger geistiger oder körperlicher An- lagen auftritt! Unter solchen Umständen haben wir kein Recht, dem Stoff zu mißtrauen und ihm die Möglichkeit wunderbarer Effekte abzusprechen, auch wenn seine Form oder Zusammensetzung anscheinend nicht allzu com- plicirt sind. Jm Allgemeinen mag allerdings die Regel gelten, daß je künstlicher, je verwickelter, je vielfacher sich die Stoffe unter einander combiniren, um so räthsel- hafter und geistiger die Resultate vor uns treten, welche daraus hervorgehen. Unter diesen beiden Gesichtspunkten und im Hinblick auf die angeführten Thatsachen wird es uns nicht schwer werden, die so oft geleugnete Mög- lichkeit einzusehen, daß die Seele Produkt einer eigen- thümlichen Zusammensetzung der Materie sei. Wir stau- nen den Effekt nur darum an, weil uns nicht alle seine Triebfedern mit einem Male und im Zusammenhang vor Augen liegen. Kommt uns nicht eine daher brausende Lokomotive oft wie ein belebtes, mit Verstand und Ueberlegung ausgerüstetes Wesen vor? reden nicht die Dichter von einem Dampfroß, von einem Feuerroß? Die eigenthümliche Combination von Stoffen und Kräf- ten läßt uns unwillkührlich Leben in der Maschine er- blicken. Eine Uhr, ebenfalls ein mechanisches Werk der
keiten des Vaters. Unendlich fein und unſern Sinnen vorerſt gänzlich unzugänglich müſſen hier die molekulären Verhältniſſe jener unbedeutenden Stoffmenge ſein, die als Träger zukünftiger geiſtiger oder körperlicher An- lagen auftritt! Unter ſolchen Umſtänden haben wir kein Recht, dem Stoff zu mißtrauen und ihm die Möglichkeit wunderbarer Effekte abzuſprechen, auch wenn ſeine Form oder Zuſammenſetzung anſcheinend nicht allzu com- plicirt ſind. Jm Allgemeinen mag allerdings die Regel gelten, daß je künſtlicher, je verwickelter, je vielfacher ſich die Stoffe unter einander combiniren, um ſo räthſel- hafter und geiſtiger die Reſultate vor uns treten, welche daraus hervorgehen. Unter dieſen beiden Geſichtspunkten und im Hinblick auf die angeführten Thatſachen wird es uns nicht ſchwer werden, die ſo oft geleugnete Mög- lichkeit einzuſehen, daß die Seele Produkt einer eigen- thümlichen Zuſammenſetzung der Materie ſei. Wir ſtau- nen den Effekt nur darum an, weil uns nicht alle ſeine Triebfedern mit einem Male und im Zuſammenhang vor Augen liegen. Kommt uns nicht eine daher brauſende Lokomotive oft wie ein belebtes, mit Verſtand und Ueberlegung ausgerüſtetes Weſen vor? reden nicht die Dichter von einem Dampfroß, von einem Feuerroß? Die eigenthümliche Combination von Stoffen und Kräf- ten läßt uns unwillkührlich Leben in der Maſchine er- blicken. Eine Uhr, ebenfalls ein mechaniſches Werk der
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keiten des Vaters. Unendlich fein und unſern Sinnen
vorerſt gänzlich unzugänglich müſſen hier die molekulären
Verhältniſſe jener unbedeutenden Stoffmenge ſein, die
als Träger zukünftiger geiſtiger oder körperlicher An-
lagen auftritt! Unter ſolchen Umſtänden haben wir kein
Recht, dem Stoff zu mißtrauen und ihm die Möglichkeit
wunderbarer Effekte abzuſprechen, auch wenn ſeine Form
oder Zuſammenſetzung anſcheinend nicht allzu com-
plicirt ſind. Jm Allgemeinen mag allerdings die Regel
gelten, daß je künſtlicher, je verwickelter, je vielfacher
ſich die Stoffe unter einander combiniren, um ſo räthſel-
hafter und geiſtiger die Reſultate vor uns treten, welche
daraus hervorgehen. Unter dieſen beiden Geſichtspunkten
und im Hinblick auf die angeführten Thatſachen wird
es uns nicht ſchwer werden, die ſo oft geleugnete Mög-
lichkeit einzuſehen, daß die Seele Produkt einer eigen-
thümlichen Zuſammenſetzung der Materie ſei. Wir ſtau-
nen den Effekt nur darum an, weil uns nicht alle ſeine
Triebfedern mit einem Male und im Zuſammenhang vor
Augen liegen. Kommt uns nicht eine daher brauſende
Lokomotive oft wie ein belebtes, mit Verſtand und
Ueberlegung ausgerüſtetes Weſen vor? reden nicht die
Dichter von einem Dampfroß, von einem Feuerroß?
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/164>, abgerufen am 22.11.2024.
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