Menschenhand, hat, wie man zu sagen pflegt, ihren eignen Kopf; sie geht, sie steht oft in einer Weise, daß es uns erscheint, als handle sie willkührlich. Wie un- endlich roh und einfach aber ist die Combination von Stoffen und Kräften in diesen Maschinen im Vergleich zu der verwickelten mechanischen und chemischen Compo- sition des thierischen Organismus! Der Vergleich mag in mancher Beziehung hinken und soll auch nichts be- weisen; er mag uns vielleicht nur ahnen lassen, wie die Vorstellung, die Seele erzeuge sich aus materiellen Com- binationen, möglich werden kann. Für das Wesen un- serer Frage kann es uns indessen vollkommen einerlei sein, auf welche innere Weise ein solches Verhältniß überhaupt möglich wird; es ist genug, durch Thatsachen die Unzertrennlichkeit von Geist und Stoff, von Seele und Körper nachgewiesen zu haben. Dieses Gesetz ist ein solches, welches keine Ausnahmen erleidet und durch die ganze Thierwelt gleichmäßig seine Anwendung findet. Das kleinste Jnfusionsthierchen zeigt Empfindung und Willen, somit geistige Function. Ein Sonnenstrahl ver- trocknet seinen Leib und läßt es damit sterben, d. h. den Effekt seiner körperlichen Organisation, welche Wasser zu ihrer Erhaltung bedarf, verschwinden. Jn diesem Zustand kann es Jahre lang verbleiben, bis ein zufällig einfallender Tropfen Wasser mit der Beweglichkeit und Lebensfähigkeit der Materie auch jenen ganzen Geist
Büchner, Kraft und Stoff. 10
Menſchenhand, hat, wie man zu ſagen pflegt, ihren eignen Kopf; ſie geht, ſie ſteht oft in einer Weiſe, daß es uns erſcheint, als handle ſie willkührlich. Wie un- endlich roh und einfach aber iſt die Combination von Stoffen und Kräften in dieſen Maſchinen im Vergleich zu der verwickelten mechaniſchen und chemiſchen Compo- ſition des thieriſchen Organismus! Der Vergleich mag in mancher Beziehung hinken und ſoll auch nichts be- weiſen; er mag uns vielleicht nur ahnen laſſen, wie die Vorſtellung, die Seele erzeuge ſich aus materiellen Com- binationen, möglich werden kann. Für das Weſen un- ſerer Frage kann es uns indeſſen vollkommen einerlei ſein, auf welche innere Weiſe ein ſolches Verhältniß überhaupt möglich wird; es iſt genug, durch Thatſachen die Unzertrennlichkeit von Geiſt und Stoff, von Seele und Körper nachgewieſen zu haben. Dieſes Geſetz iſt ein ſolches, welches keine Ausnahmen erleidet und durch die ganze Thierwelt gleichmäßig ſeine Anwendung findet. Das kleinſte Jnfuſionsthierchen zeigt Empfindung und Willen, ſomit geiſtige Function. Ein Sonnenſtrahl ver- trocknet ſeinen Leib und läßt es damit ſterben, d. h. den Effekt ſeiner körperlichen Organiſation, welche Waſſer zu ihrer Erhaltung bedarf, verſchwinden. Jn dieſem Zuſtand kann es Jahre lang verbleiben, bis ein zufällig einfallender Tropfen Waſſer mit der Beweglichkeit und Lebensfähigkeit der Materie auch jenen ganzen Geiſt
Büchner, Kraft und Stoff. 10
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Menſchenhand, hat, wie man zu ſagen pflegt, ihren
eignen Kopf; ſie geht, ſie ſteht oft in einer Weiſe, daß
es uns erſcheint, als handle ſie willkührlich. Wie un-
endlich roh und einfach aber iſt die Combination von
Stoffen und Kräften in dieſen Maſchinen im Vergleich
zu der verwickelten mechaniſchen und chemiſchen Compo-
ſition des thieriſchen Organismus! Der Vergleich mag
in mancher Beziehung hinken und ſoll auch nichts be-
weiſen; er mag uns vielleicht nur ahnen laſſen, wie die
Vorſtellung, die Seele erzeuge ſich aus materiellen Com-
binationen, möglich werden kann. Für das Weſen un-
ſerer Frage kann es uns indeſſen vollkommen einerlei
ſein, auf welche innere Weiſe ein ſolches Verhältniß
überhaupt möglich wird; es iſt genug, durch Thatſachen
die Unzertrennlichkeit von Geiſt und Stoff, von Seele
und Körper nachgewieſen zu haben. Dieſes Geſetz iſt
ein ſolches, welches keine Ausnahmen erleidet und durch
die ganze Thierwelt gleichmäßig ſeine Anwendung findet.
Das kleinſte Jnfuſionsthierchen zeigt Empfindung und
Willen, ſomit geiſtige Function. Ein Sonnenſtrahl ver-
trocknet ſeinen Leib und läßt es damit ſterben, d. h.
den Effekt ſeiner körperlichen Organiſation, welche Waſſer
zu ihrer Erhaltung bedarf, verſchwinden. Jn dieſem
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/165>, abgerufen am 22.11.2024.
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