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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

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So sind die Ganglienkugeln der Hirnrinde, welche
ohne Zweifel bei den psychischen Vorgängen betheiligt
sind, anatomisch nicht von denen zu unterscheiden, welche
in den Ganglien des Unterleibs liegen; dennoch muß
und kann es möglich sein, daß dieselben sehr verschie-
dene Wirkungen entfalten. Die s. g. Contagien
(Ansteckungsstoffe gewisser Krankheiten) beruhen ohne
Zweifel auf ganz bestimmten materiellen Verhältnissen
derjenigen organischen Stoffe, welche ihnen als Träger
dienen; dennoch war weder Chemie noch Mikroskop bis
jetzt im Stande, diese Verhältnisse aufzuklären und z. B.
einen mit einem specifischen Contagium geschwängerten
Eiter von einem gewöhnlichen Produkt dieser Art zu
unterscheiden. Man denke hierbei auch noch an die
merkwürdige Thatsache der Vererbung geistiger oder
körperlicher Eigenthümlichkeiten, Krankheits- oder Cha-
rakteranlagen von Eltern auf Kinder, Vererbungen,
welche auch unter Umständen vorkommen, wo von Ein-
flüssen der Erziehung, des Zusammenseins u. s. w. nicht
die Rede sein kann. Wie außerordentlich, oft beinahe
verschwindend klein ist die Menge materieller Substanz,
welche vom Vater zur Zeugung des kindlichen Keimes
geliefert wird, einer Substanz, welche für unsere diagnosti-
schen Hülfsmittel überall gleiche Form und Zusammen-
setzung zeigt. Dennoch sieht das Kind dem Vater ähn-
lich und zeigt körperliche oder geistige Eigenthümlich-

So ſind die Ganglienkugeln der Hirnrinde, welche
ohne Zweifel bei den pſychiſchen Vorgängen betheiligt
ſind, anatomiſch nicht von denen zu unterſcheiden, welche
in den Ganglien des Unterleibs liegen; dennoch muß
und kann es möglich ſein, daß dieſelben ſehr verſchie-
dene Wirkungen entfalten. Die ſ. g. Contagien
(Anſteckungsſtoffe gewiſſer Krankheiten) beruhen ohne
Zweifel auf ganz beſtimmten materiellen Verhältniſſen
derjenigen organiſchen Stoffe, welche ihnen als Träger
dienen; dennoch war weder Chemie noch Mikroſkop bis
jetzt im Stande, dieſe Verhältniſſe aufzuklären und z. B.
einen mit einem ſpecifiſchen Contagium geſchwängerten
Eiter von einem gewöhnlichen Produkt dieſer Art zu
unterſcheiden. Man denke hierbei auch noch an die
merkwürdige Thatſache der Vererbung geiſtiger oder
körperlicher Eigenthümlichkeiten, Krankheits- oder Cha-
rakteranlagen von Eltern auf Kinder, Vererbungen,
welche auch unter Umſtänden vorkommen, wo von Ein-
flüſſen der Erziehung, des Zuſammenſeins u. ſ. w. nicht
die Rede ſein kann. Wie außerordentlich, oft beinahe
verſchwindend klein iſt die Menge materieller Subſtanz,
welche vom Vater zur Zeugung des kindlichen Keimes
geliefert wird, einer Subſtanz, welche für unſere diagnoſti-
ſchen Hülfsmittel überall gleiche Form und Zuſammen-
ſetzung zeigt. Dennoch ſieht das Kind dem Vater ähn-
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[143/0163] So ſind die Ganglienkugeln der Hirnrinde, welche ohne Zweifel bei den pſychiſchen Vorgängen betheiligt ſind, anatomiſch nicht von denen zu unterſcheiden, welche in den Ganglien des Unterleibs liegen; dennoch muß und kann es möglich ſein, daß dieſelben ſehr verſchie- dene Wirkungen entfalten. Die ſ. g. Contagien (Anſteckungsſtoffe gewiſſer Krankheiten) beruhen ohne Zweifel auf ganz beſtimmten materiellen Verhältniſſen derjenigen organiſchen Stoffe, welche ihnen als Träger dienen; dennoch war weder Chemie noch Mikroſkop bis jetzt im Stande, dieſe Verhältniſſe aufzuklären und z. B. einen mit einem ſpecifiſchen Contagium geſchwängerten Eiter von einem gewöhnlichen Produkt dieſer Art zu unterſcheiden. Man denke hierbei auch noch an die merkwürdige Thatſache der Vererbung geiſtiger oder körperlicher Eigenthümlichkeiten, Krankheits- oder Cha- rakteranlagen von Eltern auf Kinder, Vererbungen, welche auch unter Umſtänden vorkommen, wo von Ein- flüſſen der Erziehung, des Zuſammenſeins u. ſ. w. nicht die Rede ſein kann. Wie außerordentlich, oft beinahe verſchwindend klein iſt die Menge materieller Subſtanz, welche vom Vater zur Zeugung des kindlichen Keimes geliefert wird, einer Subſtanz, welche für unſere diagnoſti- ſchen Hülfsmittel überall gleiche Form und Zuſammen- ſetzung zeigt. Dennoch ſieht das Kind dem Vater ähn- lich und zeigt körperliche oder geiſtige Eigenthümlich-

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Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/163>, abgerufen am 04.05.2024.