noch im vorigen Jahrhundert. Nur ihre Zahl ist viel größer geworden; sie ist fortwährend noch in der Ver- mehrung begriffen, und dieses Wachstum der Industrie rückt die Landarbeiter zum Teil von ihrer gewohnten Stelle, an der sie nichts festhält als das Interesse derjenigen, welche von ihrer Hilflosigkeit Nutzen ziehen. Aus dem ferneren Verlauf dieser Bewegung dürfte sich vielleicht schon nach wenigen Jahrzehnten ergeben, daß die Menschheit im Ganzen doch im Laufe ihrer Entwicklung seßhafter geworden ist.
Wir dürfen darum abschließend sagen: In dem massen- haften Zudrang zu den Städten und ihren Vororten er- leben wir heute wieder, was unsere Vorfahren in der zweiten Hälfte des Mittelalters schon einmal erlebt haben: den Uebergang zu einer neuen Wirtschafts-, Sozial- und Nie- derlassungsordnung. Leitete damals jene Bewegung die Periode der Stadtwirtschaft und der scharfen Trennung von Stadt und Land ein, so ist auch diejenige Bewegung, in der wir uns jetzt befinden, das äußere Zeichen, daß wir in eine neue Entwickelungsperiode eingetreten sind: die Periode organischer Gestaltung des Niederlassungs- wesens, die Periode der nationalen Arbeitsteilung und volkswirtschaftlichen Güterversorgung, in welcher die Un- terschiede zwischen städtischen und ländlichen Wohnplätzen durch zahlreiche Uebergangsbildungen ausgeglichen werden. Die Statistik hat dies längst anerkannt, indem sie den hi- storisch-rechtlichen Stadtbegriff fallen gelassen und einen
noch im vorigen Jahrhundert. Nur ihre Zahl iſt viel größer geworden; ſie iſt fortwährend noch in der Ver- mehrung begriffen, und dieſes Wachstum der Induſtrie rückt die Landarbeiter zum Teil von ihrer gewohnten Stelle, an der ſie nichts feſthält als das Intereſſe derjenigen, welche von ihrer Hilfloſigkeit Nutzen ziehen. Aus dem ferneren Verlauf dieſer Bewegung dürfte ſich vielleicht ſchon nach wenigen Jahrzehnten ergeben, daß die Menſchheit im Ganzen doch im Laufe ihrer Entwicklung ſeßhafter geworden iſt.
Wir dürfen darum abſchließend ſagen: In dem maſſen- haften Zudrang zu den Städten und ihren Vororten er- leben wir heute wieder, was unſere Vorfahren in der zweiten Hälfte des Mittelalters ſchon einmal erlebt haben: den Uebergang zu einer neuen Wirtſchafts-, Sozial- und Nie- derlaſſungsordnung. Leitete damals jene Bewegung die Periode der Stadtwirtſchaft und der ſcharfen Trennung von Stadt und Land ein, ſo iſt auch diejenige Bewegung, in der wir uns jetzt befinden, das äußere Zeichen, daß wir in eine neue Entwickelungsperiode eingetreten ſind: die Periode organiſcher Geſtaltung des Niederlaſſungs- weſens, die Periode der nationalen Arbeitsteilung und volkswirtſchaftlichen Güterverſorgung, in welcher die Un- terſchiede zwiſchen ſtädtiſchen und ländlichen Wohnplätzen durch zahlreiche Uebergangsbildungen ausgeglichen werden. Die Statiſtik hat dies längſt anerkannt, indem ſie den hi- ſtoriſch-rechtlichen Stadtbegriff fallen gelaſſen und einen
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noch im vorigen Jahrhundert. Nur ihre Zahl iſt viel
größer geworden; ſie iſt fortwährend noch in der Ver-
mehrung begriffen, und dieſes Wachstum der Induſtrie
rückt die Landarbeiter zum Teil von ihrer gewohnten Stelle,
an der ſie nichts feſthält als das Intereſſe derjenigen, welche
von ihrer Hilfloſigkeit Nutzen ziehen. Aus dem ferneren
Verlauf dieſer Bewegung dürfte ſich vielleicht ſchon nach
wenigen Jahrzehnten ergeben, daß die Menſchheit im Ganzen
doch im Laufe ihrer Entwicklung ſeßhafter geworden iſt.
Wir dürfen darum abſchließend ſagen: In dem maſſen-
haften Zudrang zu den Städten und ihren Vororten er-
leben wir heute wieder, was unſere Vorfahren in der zweiten
Hälfte des Mittelalters ſchon einmal erlebt haben: den
Uebergang zu einer neuen Wirtſchafts-, Sozial- und Nie-
derlaſſungsordnung. Leitete damals jene Bewegung die
Periode der Stadtwirtſchaft und der ſcharfen Trennung
von Stadt und Land ein, ſo iſt auch diejenige Bewegung,
in der wir uns jetzt befinden, das äußere Zeichen, daß
wir in eine neue Entwickelungsperiode eingetreten ſind:
die Periode organiſcher Geſtaltung des Niederlaſſungs-
weſens, die Periode der nationalen Arbeitsteilung und
volkswirtſchaftlichen Güterverſorgung, in welcher die Un-
terſchiede zwiſchen ſtädtiſchen und ländlichen Wohnplätzen
durch zahlreiche Uebergangsbildungen ausgeglichen werden.
Die Statiſtik hat dies längſt anerkannt, indem ſie den hi-
ſtoriſch-rechtlichen Stadtbegriff fallen gelaſſen und einen
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/325>, abgerufen am 23.11.2024.
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