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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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und Flecken stammte. Von den Gesellen der Frankfurter
Metallhandwerker im XV. und XVI. Jahrhundert hatten
nur 20,7 % ihre Heimat auf dem Lande; von den Basler
Bäckern und Metzgern dagegen hatten 1888: 78,7 %, von
den übrigen Handwerksgesellen 75,2 % ländliche Geburts-
orte. Immerhin wandern die Handwerksgesellen auch jetzt
noch in weit größerer Zahl und auf größere Entfernungen
als die typische Arbeiterkategorie der Gegenwart, die Fa-
brikarbeiter
. Von den Basler Fabrikarbeitern waren
1888: 25,8 %, von den Handwerksgesellen nur 16,3 %
in der Stadt selbst geboren. Wie viele von ihnen in der
nächsten Umgebung geboren und ansäßig waren, ist leider
nicht ermittelt worden. Aber die ganze neuere Industrie-
entwickelung läuft darauf hinaus, einen festen Arbeiterstand
heranzuziehen, der schon jetzt wegen der frühzeitigen Ver-
heiratung viel weniger beweglich ist als die Gesellen des
alten Handwerks und der in Zukunft zweifellos ebenso fest
an der Fabrik haften wird, wie der hörige Arbeiterstand
des mittelalterlichen Großgrundbesitzes an der Scholle haf-
tete 1). Wenn wir gegenwärtig dies weniger bemerken, so
rührt dies daher, daß bis jetzt die meisten Großindustrien
das Ziel ihres Wachstums noch nicht erreicht haben und

1) Der Bau von Arbeiterwohnungen durch die großen Unter-
nehmungen, mögen sie in das Eigentum der Arbeiter übergehen oder
an dieselben vermietet werden, erzeugt schon jetzt eine Art Fabrik-
hörigkeit
, welche mit der alten Grundhörigkeit eine verzweifelte
Aehnlichkeit hat. Vgl. meinen Aufsatz über die belgische Sozialge-
setzgebung in Brauns Archiv f. soz. Gesetzg. u. Stat. IV, S. 484 f.

und Flecken ſtammte. Von den Geſellen der Frankfurter
Metallhandwerker im XV. und XVI. Jahrhundert hatten
nur 20,7 % ihre Heimat auf dem Lande; von den Basler
Bäckern und Metzgern dagegen hatten 1888: 78,7 %, von
den übrigen Handwerksgeſellen 75,2 % ländliche Geburts-
orte. Immerhin wandern die Handwerksgeſellen auch jetzt
noch in weit größerer Zahl und auf größere Entfernungen
als die typiſche Arbeiterkategorie der Gegenwart, die Fa-
brikarbeiter
. Von den Basler Fabrikarbeitern waren
1888: 25,8 %, von den Handwerksgeſellen nur 16,3 %
in der Stadt ſelbſt geboren. Wie viele von ihnen in der
nächſten Umgebung geboren und anſäßig waren, iſt leider
nicht ermittelt worden. Aber die ganze neuere Induſtrie-
entwickelung läuft darauf hinaus, einen feſten Arbeiterſtand
heranzuziehen, der ſchon jetzt wegen der frühzeitigen Ver-
heiratung viel weniger beweglich iſt als die Geſellen des
alten Handwerks und der in Zukunft zweifellos ebenſo feſt
an der Fabrik haften wird, wie der hörige Arbeiterſtand
des mittelalterlichen Großgrundbeſitzes an der Scholle haf-
tete 1). Wenn wir gegenwärtig dies weniger bemerken, ſo
rührt dies daher, daß bis jetzt die meiſten Großinduſtrien
das Ziel ihres Wachstums noch nicht erreicht haben und

1) Der Bau von Arbeiterwohnungen durch die großen Unter-
nehmungen, mögen ſie in das Eigentum der Arbeiter übergehen oder
an dieſelben vermietet werden, erzeugt ſchon jetzt eine Art Fabrik-
hörigkeit
, welche mit der alten Grundhörigkeit eine verzweifelte
Aehnlichkeit hat. Vgl. meinen Aufſatz über die belgiſche Sozialge-
ſetzgebung in Brauns Archiv f. ſoz. Geſetzg. u. Stat. IV, S. 484 f.
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[301/0323] und Flecken ſtammte. Von den Geſellen der Frankfurter Metallhandwerker im XV. und XVI. Jahrhundert hatten nur 20,7 % ihre Heimat auf dem Lande; von den Basler Bäckern und Metzgern dagegen hatten 1888: 78,7 %, von den übrigen Handwerksgeſellen 75,2 % ländliche Geburts- orte. Immerhin wandern die Handwerksgeſellen auch jetzt noch in weit größerer Zahl und auf größere Entfernungen als die typiſche Arbeiterkategorie der Gegenwart, die Fa- brikarbeiter. Von den Basler Fabrikarbeitern waren 1888: 25,8 %, von den Handwerksgeſellen nur 16,3 % in der Stadt ſelbſt geboren. Wie viele von ihnen in der nächſten Umgebung geboren und anſäßig waren, iſt leider nicht ermittelt worden. Aber die ganze neuere Induſtrie- entwickelung läuft darauf hinaus, einen feſten Arbeiterſtand heranzuziehen, der ſchon jetzt wegen der frühzeitigen Ver- heiratung viel weniger beweglich iſt als die Geſellen des alten Handwerks und der in Zukunft zweifellos ebenſo feſt an der Fabrik haften wird, wie der hörige Arbeiterſtand des mittelalterlichen Großgrundbeſitzes an der Scholle haf- tete 1). Wenn wir gegenwärtig dies weniger bemerken, ſo rührt dies daher, daß bis jetzt die meiſten Großinduſtrien das Ziel ihres Wachstums noch nicht erreicht haben und 1) Der Bau von Arbeiterwohnungen durch die großen Unter- nehmungen, mögen ſie in das Eigentum der Arbeiter übergehen oder an dieſelben vermietet werden, erzeugt ſchon jetzt eine Art Fabrik- hörigkeit, welche mit der alten Grundhörigkeit eine verzweifelte Aehnlichkeit hat. Vgl. meinen Aufſatz über die belgiſche Sozialge- ſetzgebung in Brauns Archiv f. ſoz. Geſetzg. u. Stat. IV, S. 484 f.

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/323>, abgerufen am 12.05.2024.