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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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Großhandel. Aber diese wenigen Großhändler sind nicht,
wie man das sich gewöhnlich vorstellt, reiche Handelsherren
mit stehenden Geschäften. Es sind Angehörige der rats-
fähigen Geschlechter, welche, wie auch heute wohl ein reicher
Mann einmal an der Börse spekuliert, einen Teil ihres
großenteils in Grundeigentum, Renten und Gülten be-
stehenden Vermögens auf einige Jahre in kompagnieweise
betriebenen Handelsgeschäften anlegten, und man weiß wirk-
lich nicht, ob man diese Leute lieber unter die Rentner oder
unter die Landwirte oder unter die Kaufleute einreihen soll.

Auch wenn wir das letztere thun, so umfaßt doch der
gesamte Handel im modernen Sinne noch nicht 5 % der
selbständig erwerbenden Bevölkerung, während er heute
fast 25 % derselben in Anspruch nimmt.

Dagegen gehören im Mittelalter den unmittelbar pro-
duktiven Berufsarten in den Gewerben und der Urproduktion
80 % und heute nur 38 % der Bevölkerung an.

Darin, daß vier Fünftel der Bevölkerung mit eigener
Hand, mit eigenem Werkzeug und oft auch Material in
Werkstätten, auf den Feldern, in Gärten und Weinbergen
güterschaffend wirken, daß ihnen der Ertrag ihrer Arbeit
voll und ganz zufällt, liegt ein zweites Moment der Stärke
der mittelalterlichen Stadtwirtschaft. Jenes parasitische
Ueberwuchern der distributiven Berufsarten, das die Gegen-
wart beklagt, fand in dieser Gesellschaft keinen Raum.

Im Anschluß an die Berufsgliederung wollen wir
noch zweier dauernd ansäßigen Bestandteile der Bevölkerung

Großhandel. Aber dieſe wenigen Großhändler ſind nicht,
wie man das ſich gewöhnlich vorſtellt, reiche Handelsherren
mit ſtehenden Geſchäften. Es ſind Angehörige der rats-
fähigen Geſchlechter, welche, wie auch heute wohl ein reicher
Mann einmal an der Börſe ſpekuliert, einen Teil ihres
großenteils in Grundeigentum, Renten und Gülten be-
ſtehenden Vermögens auf einige Jahre in kompagnieweiſe
betriebenen Handelsgeſchäften anlegten, und man weiß wirk-
lich nicht, ob man dieſe Leute lieber unter die Rentner oder
unter die Landwirte oder unter die Kaufleute einreihen ſoll.

Auch wenn wir das letztere thun, ſo umfaßt doch der
geſamte Handel im modernen Sinne noch nicht 5 % der
ſelbſtändig erwerbenden Bevölkerung, während er heute
faſt 25 % derſelben in Anſpruch nimmt.

Dagegen gehören im Mittelalter den unmittelbar pro-
duktiven Berufsarten in den Gewerben und der Urproduktion
80 % und heute nur 38 % der Bevölkerung an.

Darin, daß vier Fünftel der Bevölkerung mit eigener
Hand, mit eigenem Werkzeug und oft auch Material in
Werkſtätten, auf den Feldern, in Gärten und Weinbergen
güterſchaffend wirken, daß ihnen der Ertrag ihrer Arbeit
voll und ganz zufällt, liegt ein zweites Moment der Stärke
der mittelalterlichen Stadtwirtſchaft. Jenes paraſitiſche
Ueberwuchern der distributiven Berufsarten, das die Gegen-
wart beklagt, fand in dieſer Geſellſchaft keinen Raum.

Im Anſchluß an die Berufsgliederung wollen wir
noch zweier dauernd anſäßigen Beſtandteile der Bevölkerung

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[237/0259] Großhandel. Aber dieſe wenigen Großhändler ſind nicht, wie man das ſich gewöhnlich vorſtellt, reiche Handelsherren mit ſtehenden Geſchäften. Es ſind Angehörige der rats- fähigen Geſchlechter, welche, wie auch heute wohl ein reicher Mann einmal an der Börſe ſpekuliert, einen Teil ihres großenteils in Grundeigentum, Renten und Gülten be- ſtehenden Vermögens auf einige Jahre in kompagnieweiſe betriebenen Handelsgeſchäften anlegten, und man weiß wirk- lich nicht, ob man dieſe Leute lieber unter die Rentner oder unter die Landwirte oder unter die Kaufleute einreihen ſoll. Auch wenn wir das letztere thun, ſo umfaßt doch der geſamte Handel im modernen Sinne noch nicht 5 % der ſelbſtändig erwerbenden Bevölkerung, während er heute faſt 25 % derſelben in Anſpruch nimmt. Dagegen gehören im Mittelalter den unmittelbar pro- duktiven Berufsarten in den Gewerben und der Urproduktion 80 % und heute nur 38 % der Bevölkerung an. Darin, daß vier Fünftel der Bevölkerung mit eigener Hand, mit eigenem Werkzeug und oft auch Material in Werkſtätten, auf den Feldern, in Gärten und Weinbergen güterſchaffend wirken, daß ihnen der Ertrag ihrer Arbeit voll und ganz zufällt, liegt ein zweites Moment der Stärke der mittelalterlichen Stadtwirtſchaft. Jenes paraſitiſche Ueberwuchern der distributiven Berufsarten, das die Gegen- wart beklagt, fand in dieſer Geſellſchaft keinen Raum. Im Anſchluß an die Berufsgliederung wollen wir noch zweier dauernd anſäßigen Beſtandteile der Bevölkerung

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/259>, abgerufen am 25.11.2024.