Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

wie die Nomadenhorden Sibiriens und die Negerstämme
Afrikas üben so noch heute mancherlei gewerbliche Technik,
ohne eigene Handwerker zu besitzen. Meistens sind es die
Frauen, denen überhaupt auf niederen Kulturstufen der
größte Teil der produktiven Arbeit aufgebürdet ist, welche
diese Techniken von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen;
oft aber teilen sie sich auch mit den Männern in die nötigen
Arbeiten.

Beim Uebergang zum Ackerbau verliert diese Thätig-
keit mehr und mehr den Charakter des Zufälligen; die
ganze Wirtschaft nimmt eine feste Ordnung an; die gute
Jahreszeit muß der Rohstoffgewinnung und der Arbeit im
Freien gewidmet werden; im Winter vereinigt die Stoff-
verarbeitung die Glieder des Hauses am Herd. Es bildet
sich eine feste Regel für jede Art der Arbeit; jede wird
nach den sich von selbst aufdrängenden Forderungen der
Wirtschaftlichkeit in das häusliche Leben eingefügt; die
Sitte umspinnt sie mit ihren feinen ethischen Goldfäden;
sie bereichert und veredelt das Dasein der Menschen, unter
denen sie von Geschlecht zu Geschlecht mit ihrer einfachen
Technik und ihren urwüchsigen Formen sich überträgt. Da
man nur für den eigenen Gebrauch arbeitet, so überdauert
das Interesse des Produzenten an seiner Hände Werk weit
die Arbeitsperiode. Er verkörpert in demselben sein bestes
technisches Vermögen und seinen ganzen Kunstsinn. Gerade
deshalb sind auch die Erzeugnisse des nationalen Haus-

wie die Nomadenhorden Sibiriens und die Negerſtämme
Afrikas üben ſo noch heute mancherlei gewerbliche Technik,
ohne eigene Handwerker zu beſitzen. Meiſtens ſind es die
Frauen, denen überhaupt auf niederen Kulturſtufen der
größte Teil der produktiven Arbeit aufgebürdet iſt, welche
dieſe Techniken von Geſchlecht zu Geſchlecht fortpflanzen;
oft aber teilen ſie ſich auch mit den Männern in die nötigen
Arbeiten.

Beim Uebergang zum Ackerbau verliert dieſe Thätig-
keit mehr und mehr den Charakter des Zufälligen; die
ganze Wirtſchaft nimmt eine feſte Ordnung an; die gute
Jahreszeit muß der Rohſtoffgewinnung und der Arbeit im
Freien gewidmet werden; im Winter vereinigt die Stoff-
verarbeitung die Glieder des Hauſes am Herd. Es bildet
ſich eine feſte Regel für jede Art der Arbeit; jede wird
nach den ſich von ſelbſt aufdrängenden Forderungen der
Wirtſchaftlichkeit in das häusliche Leben eingefügt; die
Sitte umſpinnt ſie mit ihren feinen ethiſchen Goldfäden;
ſie bereichert und veredelt das Daſein der Menſchen, unter
denen ſie von Geſchlecht zu Geſchlecht mit ihrer einfachen
Technik und ihren urwüchſigen Formen ſich überträgt. Da
man nur für den eigenen Gebrauch arbeitet, ſo überdauert
das Intereſſe des Produzenten an ſeiner Hände Werk weit
die Arbeitsperiode. Er verkörpert in demſelben ſein beſtes
techniſches Vermögen und ſeinen ganzen Kunſtſinn. Gerade
deshalb ſind auch die Erzeugniſſe des nationalen Haus-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0112" n="90"/>
wie die Nomadenhorden Sibiriens und die Neger&#x017F;tämme<lb/>
Afrikas üben &#x017F;o noch heute mancherlei gewerbliche Technik,<lb/>
ohne eigene Handwerker zu be&#x017F;itzen. Mei&#x017F;tens &#x017F;ind es die<lb/>
Frauen, denen überhaupt auf niederen Kultur&#x017F;tufen der<lb/>
größte Teil der produktiven Arbeit aufgebürdet i&#x017F;t, welche<lb/>
die&#x017F;e Techniken von Ge&#x017F;chlecht zu Ge&#x017F;chlecht fortpflanzen;<lb/>
oft aber teilen &#x017F;ie &#x017F;ich auch mit den Männern in die nötigen<lb/>
Arbeiten.</p><lb/>
          <p>Beim Uebergang zum Ackerbau verliert die&#x017F;e Thätig-<lb/>
keit mehr und mehr den Charakter des Zufälligen; die<lb/>
ganze Wirt&#x017F;chaft nimmt eine fe&#x017F;te Ordnung an; die gute<lb/>
Jahreszeit muß der Roh&#x017F;toffgewinnung und der Arbeit im<lb/>
Freien gewidmet werden; im Winter vereinigt die Stoff-<lb/>
verarbeitung die Glieder des Hau&#x017F;es am Herd. Es bildet<lb/>
&#x017F;ich eine fe&#x017F;te Regel für jede Art der Arbeit; jede wird<lb/>
nach den &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t aufdrängenden Forderungen der<lb/>
Wirt&#x017F;chaftlichkeit in das häusliche Leben eingefügt; die<lb/>
Sitte um&#x017F;pinnt &#x017F;ie mit ihren feinen ethi&#x017F;chen Goldfäden;<lb/>
&#x017F;ie bereichert und veredelt das Da&#x017F;ein der Men&#x017F;chen, unter<lb/>
denen &#x017F;ie von Ge&#x017F;chlecht zu Ge&#x017F;chlecht mit ihrer einfachen<lb/>
Technik und ihren urwüch&#x017F;igen Formen &#x017F;ich überträgt. Da<lb/>
man nur für den eigenen Gebrauch arbeitet, &#x017F;o überdauert<lb/>
das Intere&#x017F;&#x017F;e des Produzenten an &#x017F;einer Hände Werk weit<lb/>
die Arbeitsperiode. Er verkörpert in dem&#x017F;elben &#x017F;ein be&#x017F;tes<lb/>
techni&#x017F;ches Vermögen und &#x017F;einen ganzen Kun&#x017F;t&#x017F;inn. Gerade<lb/>
deshalb &#x017F;ind auch die Erzeugni&#x017F;&#x017F;e des nationalen Haus-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0112] wie die Nomadenhorden Sibiriens und die Negerſtämme Afrikas üben ſo noch heute mancherlei gewerbliche Technik, ohne eigene Handwerker zu beſitzen. Meiſtens ſind es die Frauen, denen überhaupt auf niederen Kulturſtufen der größte Teil der produktiven Arbeit aufgebürdet iſt, welche dieſe Techniken von Geſchlecht zu Geſchlecht fortpflanzen; oft aber teilen ſie ſich auch mit den Männern in die nötigen Arbeiten. Beim Uebergang zum Ackerbau verliert dieſe Thätig- keit mehr und mehr den Charakter des Zufälligen; die ganze Wirtſchaft nimmt eine feſte Ordnung an; die gute Jahreszeit muß der Rohſtoffgewinnung und der Arbeit im Freien gewidmet werden; im Winter vereinigt die Stoff- verarbeitung die Glieder des Hauſes am Herd. Es bildet ſich eine feſte Regel für jede Art der Arbeit; jede wird nach den ſich von ſelbſt aufdrängenden Forderungen der Wirtſchaftlichkeit in das häusliche Leben eingefügt; die Sitte umſpinnt ſie mit ihren feinen ethiſchen Goldfäden; ſie bereichert und veredelt das Daſein der Menſchen, unter denen ſie von Geſchlecht zu Geſchlecht mit ihrer einfachen Technik und ihren urwüchſigen Formen ſich überträgt. Da man nur für den eigenen Gebrauch arbeitet, ſo überdauert das Intereſſe des Produzenten an ſeiner Hände Werk weit die Arbeitsperiode. Er verkörpert in demſelben ſein beſtes techniſches Vermögen und ſeinen ganzen Kunſtſinn. Gerade deshalb ſind auch die Erzeugniſſe des nationalen Haus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/112
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/112>, abgerufen am 02.05.2024.