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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 66. Königsschutz.
Pippins von 76013 der König ein Kloster in seinen Friedensschutz,
sub sermone tuitionis nostrae, wogegen er die Beschützung der Kirche,
mundeburdis, defensio, im ersteren Falle dem Majordomus, im zweiten
seinem Sohne Karl übertrug. Diese Art der Verleihung des Königs-
schutzes, die unter Pippin verschwindet, darf wohl für die ursprüngliche
gelten14; denn ihr steht die ostgotische Form der Schutzverleihung
am nächsten. Wer sich in seiner Sicherheit gefährdet fühlte, konnte
im ostgotischen Reiche sich vom König besonderen Schutz, tuitionem,
erbitten. Der König gewährte ihm diesen und bestellte ihm in der
Regel einen seiner Sajonen als Defensor, als Schutzmann, oder wohl
auch zwei Defensores, einen gegen die Goten, den anderen gegen die
Römer15. Der Defensor16 empfing für den gewährten Beistand Spor-
teln von dem Schützling17. Das ostgotische Verhältnis hat seinerseits
einen Anknüpfungspunkt in den Zuständen des römischen Reiches,
wo man sich im Bedürfnisfalle vom Gerichte besonderen Schutz, tui-
tionis praesidium, auxilium, erbitten konnte und von ihm einen der
apparitores als Beistand zugewiesen erhielt18.

Für die Eingehung von Schutzverhältnissen verlangte das frän-
kische Volksrecht eine rechtsförmliche Handlung, Kommendation ge-
nannt. Sie bestand in dem symbolischen Akte der Handreichung und
wird als manibus oder in manus se commendare, tradere bezeichnet,
findet sich übrigens auch in anderer Anwendung als ein Zeichen der
Hingabe in die Gewalt desjenigen, in dessen Hände man die eigenen
Hände legt. In den karolingischen Schutzbriefen wird bis auf Lud-
wig I. die Kommendation regelmässig erwähnt, dagegen unter den
Merowingern nicht. Ob sie trotzdem zur Anwendung kam19, ist nicht
völlig sicher. Jedenfalls stand es in der Macht des Königs, einen
Unterthan auch ohne Kommendation in seinen Schutz aufzunehmen20.


13 Mühlbacher, Nr. 89.
14 Die oben Anm. 9 erwähnte Bestellung eines Prozessvertreters scheint darin
ihren Ausgangspunkt zu haben, dass ursprünglich der bestellte Mundwalt als
solcher fungierte. In Marculf I 24 steht der Vertreter unter dem Mundwalt.
15 Cassiodor, Var. VII 39 (formula tuitionis). II 29. Mommsen, Ostgotische
Studien, NA XIV 531 f.
16 Die Quellen haben diesen Ausdruck nicht. Aber für die Thätigkeit des
Schutzmanns werden u. a. die Ausdrücke defensio, tuitio, auxilium gebraucht.
17 In Cassiodors Var. IV 27 muss ein Sajo, der den Schützling vergewaltigte,
doppelt ersetzen, quicquid commodi nomine de causis memorati supplicantis
accepit.
18 Nach Mommsen, Ostgotische Studien, NA XIV 531.
19 Etwa dem zum Mundwalt bestellten Majordomus gegenüber in Marc. I 24.
20 Vgl. Ehrenberg a. O. S. 77. 80 f.
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§ 66. Königsschutz.
Pippins von 76013 der König ein Kloster in seinen Friedensschutz,
sub sermone tuitionis nostrae, wogegen er die Beschützung der Kirche,
mundeburdis, defensio, im ersteren Falle dem Majordomus, im zweiten
seinem Sohne Karl übertrug. Diese Art der Verleihung des Königs-
schutzes, die unter Pippin verschwindet, darf wohl für die ursprüngliche
gelten14; denn ihr steht die ostgotische Form der Schutzverleihung
am nächsten. Wer sich in seiner Sicherheit gefährdet fühlte, konnte
im ostgotischen Reiche sich vom König besonderen Schutz, tuitionem,
erbitten. Der König gewährte ihm diesen und bestellte ihm in der
Regel einen seiner Sajonen als Defensor, als Schutzmann, oder wohl
auch zwei Defensores, einen gegen die Goten, den anderen gegen die
Römer15. Der Defensor16 empfing für den gewährten Beistand Spor-
teln von dem Schützling17. Das ostgotische Verhältnis hat seinerseits
einen Anknüpfungspunkt in den Zuständen des römischen Reiches,
wo man sich im Bedürfnisfalle vom Gerichte besonderen Schutz, tui-
tionis praesidium, auxilium, erbitten konnte und von ihm einen der
apparitores als Beistand zugewiesen erhielt18.

Für die Eingehung von Schutzverhältnissen verlangte das frän-
kische Volksrecht eine rechtsförmliche Handlung, Kommendation ge-
nannt. Sie bestand in dem symbolischen Akte der Handreichung und
wird als manibus oder in manus se commendare, tradere bezeichnet,
findet sich übrigens auch in anderer Anwendung als ein Zeichen der
Hingabe in die Gewalt desjenigen, in dessen Hände man die eigenen
Hände legt. In den karolingischen Schutzbriefen wird bis auf Lud-
wig I. die Kommendation regelmäſsig erwähnt, dagegen unter den
Merowingern nicht. Ob sie trotzdem zur Anwendung kam19, ist nicht
völlig sicher. Jedenfalls stand es in der Macht des Königs, einen
Unterthan auch ohne Kommendation in seinen Schutz aufzunehmen20.


13 Mühlbacher, Nr. 89.
14 Die oben Anm. 9 erwähnte Bestellung eines Prozeſsvertreters scheint darin
ihren Ausgangspunkt zu haben, daſs ursprünglich der bestellte Mundwalt als
solcher fungierte. In Marculf I 24 steht der Vertreter unter dem Mundwalt.
15 Cassiodor, Var. VII 39 (formula tuitionis). II 29. Mommsen, Ostgotische
Studien, NA XIV 531 f.
16 Die Quellen haben diesen Ausdruck nicht. Aber für die Thätigkeit des
Schutzmanns werden u. a. die Ausdrücke defensio, tuitio, auxilium gebraucht.
17 In Cassiodors Var. IV 27 muſs ein Sajo, der den Schützling vergewaltigte,
doppelt ersetzen, quicquid commodi nomine de causis memorati supplicantis
accepit.
18 Nach Mommsen, Ostgotische Studien, NA XIV 531.
19 Etwa dem zum Mundwalt bestellten Majordomus gegenüber in Marc. I 24.
20 Vgl. Ehrenberg a. O. S. 77. 80 f.
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[51/0069] § 66. Königsschutz. Pippins von 760 13 der König ein Kloster in seinen Friedensschutz, sub sermone tuitionis nostrae, wogegen er die Beschützung der Kirche, mundeburdis, defensio, im ersteren Falle dem Majordomus, im zweiten seinem Sohne Karl übertrug. Diese Art der Verleihung des Königs- schutzes, die unter Pippin verschwindet, darf wohl für die ursprüngliche gelten 14; denn ihr steht die ostgotische Form der Schutzverleihung am nächsten. Wer sich in seiner Sicherheit gefährdet fühlte, konnte im ostgotischen Reiche sich vom König besonderen Schutz, tuitionem, erbitten. Der König gewährte ihm diesen und bestellte ihm in der Regel einen seiner Sajonen als Defensor, als Schutzmann, oder wohl auch zwei Defensores, einen gegen die Goten, den anderen gegen die Römer 15. Der Defensor 16 empfing für den gewährten Beistand Spor- teln von dem Schützling 17. Das ostgotische Verhältnis hat seinerseits einen Anknüpfungspunkt in den Zuständen des römischen Reiches, wo man sich im Bedürfnisfalle vom Gerichte besonderen Schutz, tui- tionis praesidium, auxilium, erbitten konnte und von ihm einen der apparitores als Beistand zugewiesen erhielt 18. Für die Eingehung von Schutzverhältnissen verlangte das frän- kische Volksrecht eine rechtsförmliche Handlung, Kommendation ge- nannt. Sie bestand in dem symbolischen Akte der Handreichung und wird als manibus oder in manus se commendare, tradere bezeichnet, findet sich übrigens auch in anderer Anwendung als ein Zeichen der Hingabe in die Gewalt desjenigen, in dessen Hände man die eigenen Hände legt. In den karolingischen Schutzbriefen wird bis auf Lud- wig I. die Kommendation regelmäſsig erwähnt, dagegen unter den Merowingern nicht. Ob sie trotzdem zur Anwendung kam 19, ist nicht völlig sicher. Jedenfalls stand es in der Macht des Königs, einen Unterthan auch ohne Kommendation in seinen Schutz aufzunehmen 20. 13 Mühlbacher, Nr. 89. 14 Die oben Anm. 9 erwähnte Bestellung eines Prozeſsvertreters scheint darin ihren Ausgangspunkt zu haben, daſs ursprünglich der bestellte Mundwalt als solcher fungierte. In Marculf I 24 steht der Vertreter unter dem Mundwalt. 15 Cassiodor, Var. VII 39 (formula tuitionis). II 29. Mommsen, Ostgotische Studien, NA XIV 531 f. 16 Die Quellen haben diesen Ausdruck nicht. Aber für die Thätigkeit des Schutzmanns werden u. a. die Ausdrücke defensio, tuitio, auxilium gebraucht. 17 In Cassiodors Var. IV 27 muſs ein Sajo, der den Schützling vergewaltigte, doppelt ersetzen, quicquid commodi nomine de causis memorati supplicantis accepit. 18 Nach Mommsen, Ostgotische Studien, NA XIV 531. 19 Etwa dem zum Mundwalt bestellten Majordomus gegenüber in Marc. I 24. 20 Vgl. Ehrenberg a. O. S. 77. 80 f. 4*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/69>, abgerufen am 28.04.2024.