Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 65. Königsfriede.

Nach einer angelsächsischen Rechtsaufzeichnung erstreckt sich
der örtliche Sonderfriede des Königs von der Burg, wo er sitzt, auf
drei Meilen und drei Ackerlängen und drei Ackerbreiten und neun
Fuss und neun Handbreiten und neun Gerstenkörner22. Auch bei
den Langobarden wirkt der Friede, den die Person des Königs aus-
strahlt, in die Ferne, aber mit schwächerer Wirkung. Wer nämlich in
der Stadt, wo der König sich aufhält, aber ausserhalb seiner Pfalz,
den Frieden bricht, hat nur ein bestimmtes Friedensgeld zu bezahlen23.
Ebenso dehnte das jüngere norwegische Recht den Königsfrieden auf
die Stadt, das jütische auf die Hundertschaft, das schonische auf das
Land aus, wo der König sich aufhält.

Es fällt auf, dass die fränkischen Volksrechte von jenem örtlichen
Königsfrieden schweigen. Nichtsdestoweniger muss er vorhanden ge-
wesen sein. Denn wir finden als Abglanz solchen Königsfriedens einen
Herzogsfrieden im alemannischen, baierischen und friesischen Volks-
rechte, einen Bischofsfrieden im Rechte von Churrätien. Das drei-
fache Wergeld verwirkt nach alemannischem Rechte24, das neunfache
Wergeldsimplum und neunfaches Friedensgeld nach friesischem Rechte25,
wer am Hofe des Herzogs einen Todschlag begeht. Auf Erregung
von Streit im Hause des Herzogs setzt die Lex Alamannorum und die
Lex Baiuwariorum den fredus von 40 Solidi, ausserdem die erstere
auf jede dort zugefügte Verletzung dreifache Busse26. Diebstahl in
curte ducis wird nach dem schwäbischen Volksrechte mit der doppelten
Busse gesühnt27, nach baierischem28 Rechte mit der dreifachen, quia

22 Anhang XII bei Schmid, Ges. der Ags. S. 411.
23 Roth. 37.
24 Lex Alam. 28.
25 Lex Fris. 17, 2. Vgl. oben I 343.
26 [Spaltenumbruch] Lex Alam. 33. Si quis in curte
ducis pugna comiserit et ibi clamor orta
fuerit .. quidquid ibi factum fuerit per
concursum eius, qualiscumque homo neg-
lexerit et aliquid contra legem fece-
rit, tripliciter conponat. Ille autem, per
cuius voce vel opere haec contentio orta
fuerit, 60 (al. 40) sol. in publico conponat.
[Spaltenumbruch] Lex Baiuw. II 10: Si quis in curte
ducis scandalum commiserit, ut ibi pugna
fiat ... quicquid ibi factum fuerit, om-
nia secundum legem conponat et propter
stultitiam suam in publico conponat
sol. 40.
Nach beiden Leges zahlt der Urheber des Streites 40 Solidi. Wer in dem
Streite einen anderen verletzt, mag es nun der Urheber des Streites oder ein an-
derer gewesen sein, büsst nach der Lex Alam. seine That mit der dreifachen
Busse (vgl. Lex Alam. 28). Dagegen wird nach der Lex Baiuw. die Verletzung
vom Urheber des Streites (nur einfach) gebüsst, auch wenn sie ein anderer beging.
Offenbar hat sie darin ihre Vorlage missverständlich wiedergegeben (vgl. Lex Baiuw.
II 4), ein Beleg für die oben I 314 vertretene Auffassung.
27 Lex Alam. 30.
28 Lex Baiuw. II 12.
§ 65. Königsfriede.

Nach einer angelsächsischen Rechtsaufzeichnung erstreckt sich
der örtliche Sonderfriede des Königs von der Burg, wo er sitzt, auf
drei Meilen und drei Ackerlängen und drei Ackerbreiten und neun
Fuſs und neun Handbreiten und neun Gerstenkörner22. Auch bei
den Langobarden wirkt der Friede, den die Person des Königs aus-
strahlt, in die Ferne, aber mit schwächerer Wirkung. Wer nämlich in
der Stadt, wo der König sich aufhält, aber auſserhalb seiner Pfalz,
den Frieden bricht, hat nur ein bestimmtes Friedensgeld zu bezahlen23.
Ebenso dehnte das jüngere norwegische Recht den Königsfrieden auf
die Stadt, das jütische auf die Hundertschaft, das schonische auf das
Land aus, wo der König sich aufhält.

Es fällt auf, daſs die fränkischen Volksrechte von jenem örtlichen
Königsfrieden schweigen. Nichtsdestoweniger muſs er vorhanden ge-
wesen sein. Denn wir finden als Abglanz solchen Königsfriedens einen
Herzogsfrieden im alemannischen, baierischen und friesischen Volks-
rechte, einen Bischofsfrieden im Rechte von Churrätien. Das drei-
fache Wergeld verwirkt nach alemannischem Rechte24, das neunfache
Wergeldsimplum und neunfaches Friedensgeld nach friesischem Rechte25,
wer am Hofe des Herzogs einen Todschlag begeht. Auf Erregung
von Streit im Hause des Herzogs setzt die Lex Alamannorum und die
Lex Baiuwariorum den fredus von 40 Solidi, auſserdem die erstere
auf jede dort zugefügte Verletzung dreifache Buſse26. Diebstahl in
curte ducis wird nach dem schwäbischen Volksrechte mit der doppelten
Buſse gesühnt27, nach baierischem28 Rechte mit der dreifachen, quia

22 Anhang XII bei Schmid, Ges. der Ags. S. 411.
23 Roth. 37.
24 Lex Alam. 28.
25 Lex Fris. 17, 2. Vgl. oben I 343.
26 [Spaltenumbruch] Lex Alam. 33. Si quis in curte
ducis pugna comiserit et ibi clamor orta
fuerit .. quidquid ibi factum fuerit per
concursum eius, qualiscumque homo neg-
lexerit et aliquid contra legem fece-
rit, tripliciter conponat. Ille autem, per
cuius voce vel opere haec contentio orta
fuerit, 60 (al. 40) sol. in publico conponat.
[Spaltenumbruch] Lex Baiuw. II 10: Si quis in curte
ducis scandalum commiserit, ut ibi pugna
fiat … quicquid ibi factum fuerit, om-
nia secundum legem conponat et propter
stultitiam suam in publico conponat
sol. 40.
Nach beiden Leges zahlt der Urheber des Streites 40 Solidi. Wer in dem
Streite einen anderen verletzt, mag es nun der Urheber des Streites oder ein an-
derer gewesen sein, büſst nach der Lex Alam. seine That mit der dreifachen
Buſse (vgl. Lex Alam. 28). Dagegen wird nach der Lex Baiuw. die Verletzung
vom Urheber des Streites (nur einfach) gebüſst, auch wenn sie ein anderer beging.
Offenbar hat sie darin ihre Vorlage miſsverständlich wiedergegeben (vgl. Lex Baiuw.
II 4), ein Beleg für die oben I 314 vertretene Auffassung.
27 Lex Alam. 30.
28 Lex Baiuw. II 12.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0064" n="46"/>
            <fw place="top" type="header">§ 65. Königsfriede.</fw><lb/>
            <p>Nach einer angelsächsischen Rechtsaufzeichnung erstreckt sich<lb/>
der örtliche Sonderfriede des Königs von der Burg, wo er sitzt, auf<lb/>
drei Meilen und drei Ackerlängen und drei Ackerbreiten und neun<lb/>
Fu&#x017F;s und neun Handbreiten und neun Gerstenkörner<note place="foot" n="22">Anhang XII bei <hi rendition="#g">Schmid</hi>, Ges. der Ags. S. 411.</note>. Auch bei<lb/>
den Langobarden wirkt der Friede, den die Person des Königs aus-<lb/>
strahlt, in die Ferne, aber mit schwächerer Wirkung. Wer nämlich in<lb/>
der Stadt, wo der König sich aufhält, aber au&#x017F;serhalb seiner Pfalz,<lb/>
den Frieden bricht, hat nur ein bestimmtes Friedensgeld zu bezahlen<note place="foot" n="23">Roth. 37.</note>.<lb/>
Ebenso dehnte das jüngere norwegische Recht den Königsfrieden auf<lb/>
die Stadt, das jütische auf die Hundertschaft, das schonische auf das<lb/>
Land aus, wo der König sich aufhält.</p><lb/>
            <p>Es fällt auf, da&#x017F;s die fränkischen Volksrechte von jenem örtlichen<lb/>
Königsfrieden schweigen. Nichtsdestoweniger mu&#x017F;s er vorhanden ge-<lb/>
wesen sein. Denn wir finden als Abglanz solchen Königsfriedens einen<lb/>
Herzogsfrieden im alemannischen, baierischen und friesischen Volks-<lb/>
rechte, einen Bischofsfrieden im Rechte von Churrätien. Das drei-<lb/>
fache Wergeld verwirkt nach alemannischem Rechte<note place="foot" n="24">Lex Alam. 28.</note>, das neunfache<lb/>
Wergeldsimplum und neunfaches Friedensgeld nach friesischem Rechte<note place="foot" n="25">Lex Fris. 17, 2. Vgl. oben I 343.</note>,<lb/>
wer am Hofe des Herzogs einen Todschlag begeht. Auf Erregung<lb/>
von Streit im Hause des Herzogs setzt die Lex Alamannorum und die<lb/>
Lex Baiuwariorum den fredus von 40 Solidi, au&#x017F;serdem die erstere<lb/>
auf jede dort zugefügte Verletzung dreifache Bu&#x017F;se<note place="foot" n="26"><lb/><cb/>
Lex Alam. 33. Si quis in curte<lb/>
ducis pugna comiserit et ibi clamor orta<lb/>
fuerit .. quidquid ibi factum fuerit per<lb/>
concursum eius, qualiscumque homo neg-<lb/>
lexerit et aliquid contra legem fece-<lb/>
rit, tripliciter conponat. Ille autem, per<lb/>
cuius voce vel opere haec contentio orta<lb/>
fuerit, 60 (al. 40) sol. in publico conponat.<lb/><cb/>
Lex Baiuw. II 10: Si quis in curte<lb/>
ducis scandalum commiserit, ut ibi pugna<lb/>
fiat &#x2026; quicquid ibi factum fuerit, om-<lb/>
nia secundum legem conponat et propter<lb/>
stultitiam suam in publico conponat<lb/>
sol. 40.<lb/>
Nach beiden Leges zahlt der Urheber des Streites 40 Solidi. Wer in dem<lb/>
Streite einen anderen verletzt, mag es nun der Urheber des Streites oder ein an-<lb/>
derer gewesen sein, bü&#x017F;st nach der Lex Alam. seine That mit der dreifachen<lb/>
Bu&#x017F;se (vgl. Lex Alam. 28). Dagegen wird nach der Lex Baiuw. die Verletzung<lb/>
vom Urheber des Streites (nur einfach) gebü&#x017F;st, auch wenn sie ein anderer beging.<lb/>
Offenbar hat sie darin ihre Vorlage mi&#x017F;sverständlich wiedergegeben (vgl. Lex Baiuw.<lb/>
II 4), ein Beleg für die oben I 314 vertretene Auffassung.</note>. Diebstahl in<lb/>
curte ducis wird nach dem schwäbischen Volksrechte mit der doppelten<lb/>
Bu&#x017F;se gesühnt<note place="foot" n="27">Lex Alam. 30.</note>, nach baierischem<note place="foot" n="28">Lex Baiuw. II 12.</note> Rechte mit der dreifachen, quia<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0064] § 65. Königsfriede. Nach einer angelsächsischen Rechtsaufzeichnung erstreckt sich der örtliche Sonderfriede des Königs von der Burg, wo er sitzt, auf drei Meilen und drei Ackerlängen und drei Ackerbreiten und neun Fuſs und neun Handbreiten und neun Gerstenkörner 22. Auch bei den Langobarden wirkt der Friede, den die Person des Königs aus- strahlt, in die Ferne, aber mit schwächerer Wirkung. Wer nämlich in der Stadt, wo der König sich aufhält, aber auſserhalb seiner Pfalz, den Frieden bricht, hat nur ein bestimmtes Friedensgeld zu bezahlen 23. Ebenso dehnte das jüngere norwegische Recht den Königsfrieden auf die Stadt, das jütische auf die Hundertschaft, das schonische auf das Land aus, wo der König sich aufhält. Es fällt auf, daſs die fränkischen Volksrechte von jenem örtlichen Königsfrieden schweigen. Nichtsdestoweniger muſs er vorhanden ge- wesen sein. Denn wir finden als Abglanz solchen Königsfriedens einen Herzogsfrieden im alemannischen, baierischen und friesischen Volks- rechte, einen Bischofsfrieden im Rechte von Churrätien. Das drei- fache Wergeld verwirkt nach alemannischem Rechte 24, das neunfache Wergeldsimplum und neunfaches Friedensgeld nach friesischem Rechte 25, wer am Hofe des Herzogs einen Todschlag begeht. Auf Erregung von Streit im Hause des Herzogs setzt die Lex Alamannorum und die Lex Baiuwariorum den fredus von 40 Solidi, auſserdem die erstere auf jede dort zugefügte Verletzung dreifache Buſse 26. Diebstahl in curte ducis wird nach dem schwäbischen Volksrechte mit der doppelten Buſse gesühnt 27, nach baierischem 28 Rechte mit der dreifachen, quia 22 Anhang XII bei Schmid, Ges. der Ags. S. 411. 23 Roth. 37. 24 Lex Alam. 28. 25 Lex Fris. 17, 2. Vgl. oben I 343. 26 Lex Alam. 33. Si quis in curte ducis pugna comiserit et ibi clamor orta fuerit .. quidquid ibi factum fuerit per concursum eius, qualiscumque homo neg- lexerit et aliquid contra legem fece- rit, tripliciter conponat. Ille autem, per cuius voce vel opere haec contentio orta fuerit, 60 (al. 40) sol. in publico conponat. Lex Baiuw. II 10: Si quis in curte ducis scandalum commiserit, ut ibi pugna fiat … quicquid ibi factum fuerit, om- nia secundum legem conponat et propter stultitiam suam in publico conponat sol. 40. Nach beiden Leges zahlt der Urheber des Streites 40 Solidi. Wer in dem Streite einen anderen verletzt, mag es nun der Urheber des Streites oder ein an- derer gewesen sein, büſst nach der Lex Alam. seine That mit der dreifachen Buſse (vgl. Lex Alam. 28). Dagegen wird nach der Lex Baiuw. die Verletzung vom Urheber des Streites (nur einfach) gebüſst, auch wenn sie ein anderer beging. Offenbar hat sie darin ihre Vorlage miſsverständlich wiedergegeben (vgl. Lex Baiuw. II 4), ein Beleg für die oben I 314 vertretene Auffassung. 27 Lex Alam. 30. 28 Lex Baiuw. II 12.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/64
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/64>, abgerufen am 24.11.2024.