Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 65. Königsfriede.
griffe in das unbewegliche Gut des Königs stellte Karl der Grosse
unter den Gesichtspunkt des Treubruchs15, eine Auffassung, deren Keime
wohl schon in die merowingische Zeit zurückreichen16. Im übrigen
ist der königliche Grundbesitz im neunten Jahrhundert durch die
königliche Bannbusse gefriedet17.

Ein volksrechtlicher Sonderfriede ist bei den meisten germanischen
Stämmen der höhere Friede, welcher in der Pfalz und in der Um-
gebung des Königs herrscht. Er mag mit der priesterlichen und
religiösen Bedeutung zusammenhängen, die das Königtum einst in heid-
nischer Zeit besessen hatte. Nach den Rechten der Langobarden18,
der Angelsachsen19 und nach nordischen Rechten20 gilt derjenige,
der in Gegenwart oder in der Burg des Königs durch gewisse Un-
thaten21 den Frieden bricht, für friedlos und steht es im Ermessen
des Königs, ob er ihm gestatten wolle, dass er Leben und Frieden
erkaufe.


sicut reliquo Ribuario conponatur. Ein Argument bildet auch die dreifache
Busse des Kirchenguts in Lex Rib. 60, 8. Auf fränkischen Einfluss geht es zu-
rück, wenn L. Alam. 31 bestimmt: si quis de rebus, quae ad ducem pertinent, aliquid
furatus fuerit, ter novigildos conponat; et ibi fredum non reddat, quia res domini-
cae sunt et tripliciter conponuntur. Vgl. L. Alam. 7. Der erhöhte Bussschutz des
Kirchenguts und des herzoglichen Gutes ist eine Nachbildung des Schutzes, den
das Königsgut genoss, und lässt voraussetzen, dass dieses nicht minder hoch ge-
schützt war.
15 Cap. miss. gener. v. J. 802 c. 4, I 92. Vgl. Cap. legg. add. 818/9 c. 20,
I 285.
16 In Gregor. Tur. Gloria Confess. c. 70, S. 789: episcopum, quod res fisci
ditionibus debitis iniquo ordine reteneret ..., tricentis aureis condemnavit, scheint
es sich um das Wergeld des Bischofs zu handeln.
17 In Hincmar, Opp. II 610, muss der invasor einer königlichen Villa diese
restituieren und die Bannbusse geloben, bannum rewadiare.
18 Roth. 36: Si quis intra palatium regis, ubi rex praesens est, scandalum pene-
trare praesumpserit, animae suae incurrat periculum aut redimat anima sua, si
optenere potuerit a rege.
19 Ine c. 6. Anhang IV 15 bei Schmid, Ges. der Ags. S. 385: Wenn jemand
in des Königs Burg oder in seiner Nähe ficht oder stiehlt, habe er sein Leben ver-
wirkt, wenn ihm nicht der König gestatten will, dass man ihn mit seinem Wer-
gelde auslöse. Leges Henr. primi 13, 7: qui in domo regis pugnabit, vitae suae
culpabilis sit; l. c. 12, 3: qui .. in familia regis pacem fregerit .. si ad emendan-
dum venire poterit. Das altkentische Recht (Aethelb. 5) lässt nur eine Brüche von
50 Schill. verfallen.
20 Gulathingslög 170. Landslög IV 4. Skanelagen 89. 90. Sunesen V 19 (61).
Jydske Lov III 22. Wilda, Strafrecht. S. 259. Lehmann, Königsfriede der
Nordgermanen S. 215.
21 Scandalum (fechten) nach langobardischem, fechten und stehlen nach angel-
sächsischem, Todschlag und ursprünglich wohl auch Verwundung nach nord. Recht.

§ 65. Königsfriede.
griffe in das unbewegliche Gut des Königs stellte Karl der Groſse
unter den Gesichtspunkt des Treubruchs15, eine Auffassung, deren Keime
wohl schon in die merowingische Zeit zurückreichen16. Im übrigen
ist der königliche Grundbesitz im neunten Jahrhundert durch die
königliche Bannbuſse gefriedet17.

Ein volksrechtlicher Sonderfriede ist bei den meisten germanischen
Stämmen der höhere Friede, welcher in der Pfalz und in der Um-
gebung des Königs herrscht. Er mag mit der priesterlichen und
religiösen Bedeutung zusammenhängen, die das Königtum einst in heid-
nischer Zeit besessen hatte. Nach den Rechten der Langobarden18,
der Angelsachsen19 und nach nordischen Rechten20 gilt derjenige,
der in Gegenwart oder in der Burg des Königs durch gewisse Un-
thaten21 den Frieden bricht, für friedlos und steht es im Ermessen
des Königs, ob er ihm gestatten wolle, daſs er Leben und Frieden
erkaufe.


sicut reliquo Ribuario conponatur. Ein Argument bildet auch die dreifache
Buſse des Kirchenguts in Lex Rib. 60, 8. Auf fränkischen Einfluſs geht es zu-
rück, wenn L. Alam. 31 bestimmt: si quis de rebus, quae ad ducem pertinent, aliquid
furatus fuerit, ter novigildos conponat; et ibi fredum non reddat, quia res domini-
cae sunt et tripliciter conponuntur. Vgl. L. Alam. 7. Der erhöhte Buſsschutz des
Kirchenguts und des herzoglichen Gutes ist eine Nachbildung des Schutzes, den
das Königsgut genoſs, und läſst voraussetzen, daſs dieses nicht minder hoch ge-
schützt war.
15 Cap. miss. gener. v. J. 802 c. 4, I 92. Vgl. Cap. legg. add. 818/9 c. 20,
I 285.
16 In Gregor. Tur. Gloria Confess. c. 70, S. 789: episcopum, quod res fisci
ditionibus debitis iniquo ordine reteneret …, tricentis aureis condemnavit, scheint
es sich um das Wergeld des Bischofs zu handeln.
17 In Hincmar, Opp. II 610, muſs der invasor einer königlichen Villa diese
restituieren und die Bannbuſse geloben, bannum rewadiare.
18 Roth. 36: Si quis intra palatium regis, ubi rex praesens est, scandalum pene-
trare praesumpserit, animae suae incurrat periculum aut redimat anima sua, si
optenere potuerit a rege.
19 Ine c. 6. Anhang IV 15 bei Schmid, Ges. der Ags. S. 385: Wenn jemand
in des Königs Burg oder in seiner Nähe ficht oder stiehlt, habe er sein Leben ver-
wirkt, wenn ihm nicht der König gestatten will, daſs man ihn mit seinem Wer-
gelde auslöse. Leges Henr. primi 13, 7: qui in domo regis pugnabit, vitae suae
culpabilis sit; l. c. 12, 3: qui .. in familia regis pacem fregerit .. si ad emendan-
dum venire poterit. Das altkentische Recht (Aethelb. 5) läſst nur eine Brüche von
50 Schill. verfallen.
20 Gulaþíngslög 170. Landslög IV 4. Skånelagen 89. 90. Sunesen V 19 (61).
Jydske Lov III 22. Wilda, Strafrecht. S. 259. Lehmann, Königsfriede der
Nordgermanen S. 215.
21 Scandalum (fechten) nach langobardischem, fechten und stehlen nach angel-
sächsischem, Todschlag und ursprünglich wohl auch Verwundung nach nord. Recht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0063" n="45"/><fw place="top" type="header">§ 65. Königsfriede.</fw><lb/>
griffe in das unbewegliche Gut des Königs stellte Karl der Gro&#x017F;se<lb/>
unter den Gesichtspunkt des Treubruchs<note place="foot" n="15">Cap. miss. gener. v. J. 802 c. 4, I 92. Vgl. Cap. legg. add. 818/9 c. 20,<lb/>
I 285.</note>, eine Auffassung, deren Keime<lb/>
wohl schon in die merowingische Zeit zurückreichen<note place="foot" n="16">In Gregor. Tur. Gloria Confess. c. 70, S. 789: episcopum, quod res fisci<lb/>
ditionibus debitis iniquo ordine reteneret &#x2026;, tricentis aureis condemnavit, scheint<lb/>
es sich um das Wergeld des Bischofs zu handeln.</note>. Im übrigen<lb/>
ist der königliche Grundbesitz im neunten Jahrhundert durch die<lb/>
königliche Bannbu&#x017F;se gefriedet<note place="foot" n="17">In Hincmar, Opp. II 610, mu&#x017F;s der invasor einer königlichen Villa diese<lb/>
restituieren und die Bannbu&#x017F;se geloben, bannum rewadiare.</note>.</p><lb/>
            <p>Ein volksrechtlicher Sonderfriede ist bei den meisten germanischen<lb/>
Stämmen der höhere Friede, welcher in der Pfalz und in der Um-<lb/>
gebung des Königs herrscht. Er mag mit der priesterlichen und<lb/>
religiösen Bedeutung zusammenhängen, die das Königtum einst in heid-<lb/>
nischer Zeit besessen hatte. Nach den Rechten der Langobarden<note place="foot" n="18">Roth. 36: Si quis intra palatium regis, ubi rex praesens est, scandalum pene-<lb/>
trare praesumpserit, animae suae incurrat periculum aut redimat anima sua, si<lb/>
optenere potuerit a rege.</note>,<lb/>
der Angelsachsen<note place="foot" n="19">Ine c. 6. Anhang IV 15 bei <hi rendition="#g">Schmid</hi>, Ges. der Ags. S. 385: Wenn jemand<lb/>
in des Königs Burg oder in seiner Nähe ficht oder stiehlt, habe er sein Leben ver-<lb/>
wirkt, wenn ihm nicht der König gestatten will, da&#x017F;s man ihn mit seinem Wer-<lb/>
gelde auslöse. Leges Henr. primi 13, 7: qui in domo regis pugnabit, vitae suae<lb/>
culpabilis sit; l. c. 12, 3: qui .. in familia regis pacem fregerit .. si ad emendan-<lb/>
dum venire poterit. Das altkentische Recht (Aethelb. 5) lä&#x017F;st nur eine Brüche von<lb/>
50 Schill. verfallen.</note> und nach nordischen Rechten<note place="foot" n="20">Gulaþíngslög 170. Landslög IV 4. Skånelagen 89. 90. Sunesen V 19 (61).<lb/>
Jydske Lov III 22. <hi rendition="#g">Wilda</hi>, Strafrecht. S. 259. <hi rendition="#g">Lehmann</hi>, Königsfriede der<lb/>
Nordgermanen S. 215.</note> gilt derjenige,<lb/>
der in Gegenwart oder in der Burg des Königs durch gewisse Un-<lb/>
thaten<note place="foot" n="21">Scandalum (fechten) nach langobardischem, fechten und stehlen nach angel-<lb/>
sächsischem, Todschlag und ursprünglich wohl auch Verwundung nach nord. Recht.</note> den Frieden bricht, für friedlos und steht es im Ermessen<lb/>
des Königs, ob er ihm gestatten wolle, da&#x017F;s er Leben und Frieden<lb/>
erkaufe.</p><lb/>
            <p>
              <note xml:id="seg2pn_11_2" prev="#seg2pn_11_1" place="foot" n="14">sicut reliquo Ribuario conponatur. Ein Argument bildet auch die dreifache<lb/>
Bu&#x017F;se des Kirchenguts in Lex Rib. 60, 8. Auf fränkischen Einflu&#x017F;s geht es zu-<lb/>
rück, wenn L. Alam. 31 bestimmt: si quis de rebus, quae ad ducem pertinent, aliquid<lb/>
furatus fuerit, ter novigildos conponat; et ibi fredum non reddat, quia res domini-<lb/>
cae sunt et tripliciter conponuntur. Vgl. L. Alam. 7. Der erhöhte Bu&#x017F;sschutz des<lb/>
Kirchenguts und des herzoglichen Gutes ist eine Nachbildung des Schutzes, den<lb/>
das Königsgut geno&#x017F;s, und lä&#x017F;st voraussetzen, da&#x017F;s dieses nicht minder hoch ge-<lb/>
schützt war.</note>
            </p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0063] § 65. Königsfriede. griffe in das unbewegliche Gut des Königs stellte Karl der Groſse unter den Gesichtspunkt des Treubruchs 15, eine Auffassung, deren Keime wohl schon in die merowingische Zeit zurückreichen 16. Im übrigen ist der königliche Grundbesitz im neunten Jahrhundert durch die königliche Bannbuſse gefriedet 17. Ein volksrechtlicher Sonderfriede ist bei den meisten germanischen Stämmen der höhere Friede, welcher in der Pfalz und in der Um- gebung des Königs herrscht. Er mag mit der priesterlichen und religiösen Bedeutung zusammenhängen, die das Königtum einst in heid- nischer Zeit besessen hatte. Nach den Rechten der Langobarden 18, der Angelsachsen 19 und nach nordischen Rechten 20 gilt derjenige, der in Gegenwart oder in der Burg des Königs durch gewisse Un- thaten 21 den Frieden bricht, für friedlos und steht es im Ermessen des Königs, ob er ihm gestatten wolle, daſs er Leben und Frieden erkaufe. 14 15 Cap. miss. gener. v. J. 802 c. 4, I 92. Vgl. Cap. legg. add. 818/9 c. 20, I 285. 16 In Gregor. Tur. Gloria Confess. c. 70, S. 789: episcopum, quod res fisci ditionibus debitis iniquo ordine reteneret …, tricentis aureis condemnavit, scheint es sich um das Wergeld des Bischofs zu handeln. 17 In Hincmar, Opp. II 610, muſs der invasor einer königlichen Villa diese restituieren und die Bannbuſse geloben, bannum rewadiare. 18 Roth. 36: Si quis intra palatium regis, ubi rex praesens est, scandalum pene- trare praesumpserit, animae suae incurrat periculum aut redimat anima sua, si optenere potuerit a rege. 19 Ine c. 6. Anhang IV 15 bei Schmid, Ges. der Ags. S. 385: Wenn jemand in des Königs Burg oder in seiner Nähe ficht oder stiehlt, habe er sein Leben ver- wirkt, wenn ihm nicht der König gestatten will, daſs man ihn mit seinem Wer- gelde auslöse. Leges Henr. primi 13, 7: qui in domo regis pugnabit, vitae suae culpabilis sit; l. c. 12, 3: qui .. in familia regis pacem fregerit .. si ad emendan- dum venire poterit. Das altkentische Recht (Aethelb. 5) läſst nur eine Brüche von 50 Schill. verfallen. 20 Gulaþíngslög 170. Landslög IV 4. Skånelagen 89. 90. Sunesen V 19 (61). Jydske Lov III 22. Wilda, Strafrecht. S. 259. Lehmann, Königsfriede der Nordgermanen S. 215. 21 Scandalum (fechten) nach langobardischem, fechten und stehlen nach angel- sächsischem, Todschlag und ursprünglich wohl auch Verwundung nach nord. Recht. 14 sicut reliquo Ribuario conponatur. Ein Argument bildet auch die dreifache Buſse des Kirchenguts in Lex Rib. 60, 8. Auf fränkischen Einfluſs geht es zu- rück, wenn L. Alam. 31 bestimmt: si quis de rebus, quae ad ducem pertinent, aliquid furatus fuerit, ter novigildos conponat; et ibi fredum non reddat, quia res domini- cae sunt et tripliciter conponuntur. Vgl. L. Alam. 7. Der erhöhte Buſsschutz des Kirchenguts und des herzoglichen Gutes ist eine Nachbildung des Schutzes, den das Königsgut genoſs, und läſst voraussetzen, daſs dieses nicht minder hoch ge- schützt war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/63
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/63>, abgerufen am 24.11.2024.