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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 62. Die Thronfolge.
gleichen Teilen, aber zu gleichem Rechte, indem er seinem ältesten
Sohne Karl den grössten Anteil zuwies 26. Falls dieser stürbe, sollten
seine zwei jüngeren Söhne, Pippin und Ludwig, das Reich in derselben
Weise teilen, wie es 768 geteilt worden war. Von einer Oberhoheit
des Ältesten, von der Kaiserwürde, war damals nicht die Rede. Erst
als er seine zwei älteren Söhne verloren und 812 die Anerkennung
seiner Kaiserwürde vom byzantinischen Hofe erwirkt hatte, zog Karl
der Grosse die Konsequenz des Kaisertums, indem er 813, sachlich
und formell byzantinisches Vorbild nachahmend, Ludwig zum Mit-
kaiser krönte und zum Nachfolger im Reiche bestimmte, während
Pippins ausserehelicher Sohn, Bernhard, Italien als Unterkönigtum
erhielt 27, wie es sein Vater besessen hatte. Auf denselben staats-
rechtlichen Gedanken beruhte die ordinatio imperii 28, durch welche
Ludwig I. im Jahre 817 die Thronfolge ordnete. Er erhob und krönte
seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitkaiser und Mitregenten und be-
stellte ihn als Nachfolger im ganzen Reiche. Die jüngeren Söhne
wurden auf die Stellung von Unterkönigen beschränkt. Pippin sollte
Aquitanien, Ludwig Baiern mit königlichem Namen verwalten. Jähr-
lich sollen sie sich bei Lothar einfinden und mit ihm Regierungs-
angelegenheiten beraten. Sie bedürfen der Zustimmung Lothars, um
sich zu verheiraten, um Kriege zu führen, Frieden zu schliessen und
mit Gesandten auswärtiger Mächte zu verhandeln. Hatte im Jahre 813
nur das Bedürfnis vorgelegen, dem Gedanken der ungeteilten Reichs-
verwaltung die Rücksichtnahme auf einen Enkel unterzuordnen, der
nicht aus echter Ehe stammte, so galt es 817, zu Gunsten der kaiser-
lichen Stellung Lothars das Recht der zwei jüngeren Söhne Ludwigs I.
abzuschwächen. Der Sachlage hätte das Vorbild des Jahres 806 ent-
sprochen. Allein die ordinatio von 817 ahmte die Entscheidung des
Jahres 813 nach. Die Kaiseridee hatte inzwischen unter kirchlichem
Einfluss festeren Boden gewonnen. Damit die Kirche nicht Schaden
leide, sagt die Ordnung von 817, dürfe die Einheit des Reiches nicht
aus Familienrücksichten durch Teilung zerrissen werden 29. Das Kom-

26 Pippin wurde Italien, ein Teil von Schwaben und Baiern, Ludwig Aqui-
tanien und das südliche Gallien mit dem grösseren Teile Burgunds zugedacht.
Vgl. Mühlbacher, Deutsche Gesch. unter den Karolingern S. 223.
27 Ludwig I. liess sich 814 von Bernhard Hulde und Mannschaft leisten.
28 So bezeichnet von Boretius, Cap. I 270, der sich mit Recht gegen die
Bezeichnung divisio imperii erklärt, da sie ausdrücklich sagt, dass sie keine
divisio sein wolle.
29 ... nequaquam nobis nec his, qui sanum sapiunt, visum fuit, ut amore
filiorum aut gratia unitas imperii a Deo nobis conservati divisione humana
scinderetur, ne forte hac occasione scandalum in sancta ecclesia oriretur.

§ 62. Die Thronfolge.
gleichen Teilen, aber zu gleichem Rechte, indem er seinem ältesten
Sohne Karl den gröſsten Anteil zuwies 26. Falls dieser stürbe, sollten
seine zwei jüngeren Söhne, Pippin und Ludwig, das Reich in derselben
Weise teilen, wie es 768 geteilt worden war. Von einer Oberhoheit
des Ältesten, von der Kaiserwürde, war damals nicht die Rede. Erst
als er seine zwei älteren Söhne verloren und 812 die Anerkennung
seiner Kaiserwürde vom byzantinischen Hofe erwirkt hatte, zog Karl
der Groſse die Konsequenz des Kaisertums, indem er 813, sachlich
und formell byzantinisches Vorbild nachahmend, Ludwig zum Mit-
kaiser krönte und zum Nachfolger im Reiche bestimmte, während
Pippins auſserehelicher Sohn, Bernhard, Italien als Unterkönigtum
erhielt 27, wie es sein Vater besessen hatte. Auf denselben staats-
rechtlichen Gedanken beruhte die ordinatio imperii 28, durch welche
Ludwig I. im Jahre 817 die Thronfolge ordnete. Er erhob und krönte
seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitkaiser und Mitregenten und be-
stellte ihn als Nachfolger im ganzen Reiche. Die jüngeren Söhne
wurden auf die Stellung von Unterkönigen beschränkt. Pippin sollte
Aquitanien, Ludwig Baiern mit königlichem Namen verwalten. Jähr-
lich sollen sie sich bei Lothar einfinden und mit ihm Regierungs-
angelegenheiten beraten. Sie bedürfen der Zustimmung Lothars, um
sich zu verheiraten, um Kriege zu führen, Frieden zu schlieſsen und
mit Gesandten auswärtiger Mächte zu verhandeln. Hatte im Jahre 813
nur das Bedürfnis vorgelegen, dem Gedanken der ungeteilten Reichs-
verwaltung die Rücksichtnahme auf einen Enkel unterzuordnen, der
nicht aus echter Ehe stammte, so galt es 817, zu Gunsten der kaiser-
lichen Stellung Lothars das Recht der zwei jüngeren Söhne Ludwigs I.
abzuschwächen. Der Sachlage hätte das Vorbild des Jahres 806 ent-
sprochen. Allein die ordinatio von 817 ahmte die Entscheidung des
Jahres 813 nach. Die Kaiseridee hatte inzwischen unter kirchlichem
Einfluſs festeren Boden gewonnen. Damit die Kirche nicht Schaden
leide, sagt die Ordnung von 817, dürfe die Einheit des Reiches nicht
aus Familienrücksichten durch Teilung zerrissen werden 29. Das Kom-

26 Pippin wurde Italien, ein Teil von Schwaben und Baiern, Ludwig Aqui-
tanien und das südliche Gallien mit dem gröſseren Teile Burgunds zugedacht.
Vgl. Mühlbacher, Deutsche Gesch. unter den Karolingern S. 223.
27 Ludwig I. lieſs sich 814 von Bernhard Hulde und Mannschaft leisten.
28 So bezeichnet von Boretius, Cap. I 270, der sich mit Recht gegen die
Bezeichnung divisio imperii erklärt, da sie ausdrücklich sagt, daſs sie keine
divisio sein wolle.
29 … nequaquam nobis nec his, qui sanum sapiunt, visum fuit, ut amore
filiorum aut gratia unitas imperii a Deo nobis conservati divisione humana
scinderetur, ne forte hac occasione scandalum in sancta ecclesia oriretur.
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[28/0046] § 62. Die Thronfolge. gleichen Teilen, aber zu gleichem Rechte, indem er seinem ältesten Sohne Karl den gröſsten Anteil zuwies 26. Falls dieser stürbe, sollten seine zwei jüngeren Söhne, Pippin und Ludwig, das Reich in derselben Weise teilen, wie es 768 geteilt worden war. Von einer Oberhoheit des Ältesten, von der Kaiserwürde, war damals nicht die Rede. Erst als er seine zwei älteren Söhne verloren und 812 die Anerkennung seiner Kaiserwürde vom byzantinischen Hofe erwirkt hatte, zog Karl der Groſse die Konsequenz des Kaisertums, indem er 813, sachlich und formell byzantinisches Vorbild nachahmend, Ludwig zum Mit- kaiser krönte und zum Nachfolger im Reiche bestimmte, während Pippins auſserehelicher Sohn, Bernhard, Italien als Unterkönigtum erhielt 27, wie es sein Vater besessen hatte. Auf denselben staats- rechtlichen Gedanken beruhte die ordinatio imperii 28, durch welche Ludwig I. im Jahre 817 die Thronfolge ordnete. Er erhob und krönte seinen ältesten Sohn Lothar zum Mitkaiser und Mitregenten und be- stellte ihn als Nachfolger im ganzen Reiche. Die jüngeren Söhne wurden auf die Stellung von Unterkönigen beschränkt. Pippin sollte Aquitanien, Ludwig Baiern mit königlichem Namen verwalten. Jähr- lich sollen sie sich bei Lothar einfinden und mit ihm Regierungs- angelegenheiten beraten. Sie bedürfen der Zustimmung Lothars, um sich zu verheiraten, um Kriege zu führen, Frieden zu schlieſsen und mit Gesandten auswärtiger Mächte zu verhandeln. Hatte im Jahre 813 nur das Bedürfnis vorgelegen, dem Gedanken der ungeteilten Reichs- verwaltung die Rücksichtnahme auf einen Enkel unterzuordnen, der nicht aus echter Ehe stammte, so galt es 817, zu Gunsten der kaiser- lichen Stellung Lothars das Recht der zwei jüngeren Söhne Ludwigs I. abzuschwächen. Der Sachlage hätte das Vorbild des Jahres 806 ent- sprochen. Allein die ordinatio von 817 ahmte die Entscheidung des Jahres 813 nach. Die Kaiseridee hatte inzwischen unter kirchlichem Einfluſs festeren Boden gewonnen. Damit die Kirche nicht Schaden leide, sagt die Ordnung von 817, dürfe die Einheit des Reiches nicht aus Familienrücksichten durch Teilung zerrissen werden 29. Das Kom- 26 Pippin wurde Italien, ein Teil von Schwaben und Baiern, Ludwig Aqui- tanien und das südliche Gallien mit dem gröſseren Teile Burgunds zugedacht. Vgl. Mühlbacher, Deutsche Gesch. unter den Karolingern S. 223. 27 Ludwig I. lieſs sich 814 von Bernhard Hulde und Mannschaft leisten. 28 So bezeichnet von Boretius, Cap. I 270, der sich mit Recht gegen die Bezeichnung divisio imperii erklärt, da sie ausdrücklich sagt, daſs sie keine divisio sein wolle. 29 … nequaquam nobis nec his, qui sanum sapiunt, visum fuit, ut amore filiorum aut gratia unitas imperii a Deo nobis conservati divisione humana scinderetur, ne forte hac occasione scandalum in sancta ecclesia oriretur.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/46>, abgerufen am 19.04.2024.