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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 62. Die Thronfolge.
unter den steigenden Einfluss der Grossen des Reiches 19. Sie üben
die Befugnis, den neuen König durch feierliche Thronerhebung (ele-
vatio) in die Herrschaft einzusetzen, und gewinnen, indem sie die her-
gebrachte Sitte der Erbteilungen ausser Acht lassen, das Recht, den
erledigten Thron durch das von ihnen ausgewählte Mitglied des Königs-
geschlechtes zu besetzen 20. Sache des Hausmeiers war es, bei Un-
mündigkeit des Königs die Grossen zur Thronerhebung einzuberufen 21.
Ein rechtlich erheblicher Wahlakt scheint nicht stattgefunden zu haben.
Die formlos verabredete Wahl fand ihren Ausdruck in der elevatio.
Schliesslich wich das Recht der Grossen dem Rechte der Hausmeier,
den König nach Gutdünken aus dem Geschlechte der Merowinger zu
ernennen und zu erheben 22. Da der eigentliche Gegenstand der
Teilungen von je die Reichsverwaltung war, so wurde in der Zeit der
Hausmeier nicht mehr das dekorative Königtum, sondern die erblich
gewordene Hausmeierwürde geteilt 23.

Die Erhebung Pippins zum König war zugleich die Erhebung
seines Hauses zum fränkischen Königsgeschlechte 24. Um die Aus-
schliessung der Söhne seines Bruders Karlmann von der Thronfolge
sicherzustellen 25, liess Pippin die fränkischen Grossen vom Papste 754
ausdrücklich verpflichten, dass sie sich niemals aus der Nachkommen-
schaft eines anderen einen König setzen würden. In dem neuen
Königshause wurde die Reichsverwaltung zunächst ebenfalls zu gleichen
Teilen und zu gleichem Rechte geteilt. In dieser Weise teilte sie
Pippin 768 zwischen seinen Söhnen Karl und Karlmann.

Die Erneuerung des abendländischen Kaisertums führte zu Kon-
sequenzen, mit welchen sich das hergebrachte Teilungsprinzip nicht
vertrug. Denn die Universalmonarchie, wie sie das Kaisertum dar-
stellen sollte, verlangte die Individualsuccession. Karl der Grosse hatte,
solange er mehrere Söhne besass, nicht die Absicht, mit dem Teilungs-
grundsatze zu brechen. Er verfügte 806 eine Teilung zwar zu un-

19 Waitz, VG II 1 S. 160. 167 ff.
20 Siehe oben S. 19.
21 Siehe die oben S. 18 Anm. 24 citierte Stelle der Vita Leodegarii.
22 Liber Hist. Franc. c. 53 von Karl Martell: regemque sibi statuit Chlotha-
rium nomine. Childerich III. sagt in einer Urkunde, Pertz, Dipl. M. 97, von Karl
Martell: qui nobis in solium regis instituit. Auf die trübe Nachricht der späten
Vita Dagoberti III c. 2, SS rer. Mer. II 512: Pippinus princeps omnisque exercitus
Francorum Hildebertum elegit in regem, ist kein Gewicht zu legen.
23 Siehe unten § 72.
24 Nach Fredegarii Cont. 33 (117) wurde Pippin una cum regina Bertradane
erhoben (sublimatur in regno).
25 Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern S. 65.

§ 62. Die Thronfolge.
unter den steigenden Einfluſs der Groſsen des Reiches 19. Sie üben
die Befugnis, den neuen König durch feierliche Thronerhebung (ele-
vatio) in die Herrschaft einzusetzen, und gewinnen, indem sie die her-
gebrachte Sitte der Erbteilungen auſser Acht lassen, das Recht, den
erledigten Thron durch das von ihnen ausgewählte Mitglied des Königs-
geschlechtes zu besetzen 20. Sache des Hausmeiers war es, bei Un-
mündigkeit des Königs die Groſsen zur Thronerhebung einzuberufen 21.
Ein rechtlich erheblicher Wahlakt scheint nicht stattgefunden zu haben.
Die formlos verabredete Wahl fand ihren Ausdruck in der elevatio.
Schlieſslich wich das Recht der Groſsen dem Rechte der Hausmeier,
den König nach Gutdünken aus dem Geschlechte der Merowinger zu
ernennen und zu erheben 22. Da der eigentliche Gegenstand der
Teilungen von je die Reichsverwaltung war, so wurde in der Zeit der
Hausmeier nicht mehr das dekorative Königtum, sondern die erblich
gewordene Hausmeierwürde geteilt 23.

Die Erhebung Pippins zum König war zugleich die Erhebung
seines Hauses zum fränkischen Königsgeschlechte 24. Um die Aus-
schlieſsung der Söhne seines Bruders Karlmann von der Thronfolge
sicherzustellen 25, lieſs Pippin die fränkischen Groſsen vom Papste 754
ausdrücklich verpflichten, daſs sie sich niemals aus der Nachkommen-
schaft eines anderen einen König setzen würden. In dem neuen
Königshause wurde die Reichsverwaltung zunächst ebenfalls zu gleichen
Teilen und zu gleichem Rechte geteilt. In dieser Weise teilte sie
Pippin 768 zwischen seinen Söhnen Karl und Karlmann.

Die Erneuerung des abendländischen Kaisertums führte zu Kon-
sequenzen, mit welchen sich das hergebrachte Teilungsprinzip nicht
vertrug. Denn die Universalmonarchie, wie sie das Kaisertum dar-
stellen sollte, verlangte die Individualsuccession. Karl der Groſse hatte,
solange er mehrere Söhne besaſs, nicht die Absicht, mit dem Teilungs-
grundsatze zu brechen. Er verfügte 806 eine Teilung zwar zu un-

19 Waitz, VG II 1 S. 160. 167 ff.
20 Siehe oben S. 19.
21 Siehe die oben S. 18 Anm. 24 citierte Stelle der Vita Leodegarii.
22 Liber Hist. Franc. c. 53 von Karl Martell: regemque sibi statuit Chlotha-
rium nomine. Childerich III. sagt in einer Urkunde, Pertz, Dipl. M. 97, von Karl
Martell: qui nobis in solium regis instituit. Auf die trübe Nachricht der späten
Vita Dagoberti III c. 2, SS rer. Mer. II 512: Pippinus princeps omnisque exercitus
Francorum Hildebertum elegit in regem, ist kein Gewicht zu legen.
23 Siehe unten § 72.
24 Nach Fredegarii Cont. 33 (117) wurde Pippin una cum regina Bertradane
erhoben (sublimatur in regno).
25 Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern S. 65.
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[27/0045] § 62. Die Thronfolge. unter den steigenden Einfluſs der Groſsen des Reiches 19. Sie üben die Befugnis, den neuen König durch feierliche Thronerhebung (ele- vatio) in die Herrschaft einzusetzen, und gewinnen, indem sie die her- gebrachte Sitte der Erbteilungen auſser Acht lassen, das Recht, den erledigten Thron durch das von ihnen ausgewählte Mitglied des Königs- geschlechtes zu besetzen 20. Sache des Hausmeiers war es, bei Un- mündigkeit des Königs die Groſsen zur Thronerhebung einzuberufen 21. Ein rechtlich erheblicher Wahlakt scheint nicht stattgefunden zu haben. Die formlos verabredete Wahl fand ihren Ausdruck in der elevatio. Schlieſslich wich das Recht der Groſsen dem Rechte der Hausmeier, den König nach Gutdünken aus dem Geschlechte der Merowinger zu ernennen und zu erheben 22. Da der eigentliche Gegenstand der Teilungen von je die Reichsverwaltung war, so wurde in der Zeit der Hausmeier nicht mehr das dekorative Königtum, sondern die erblich gewordene Hausmeierwürde geteilt 23. Die Erhebung Pippins zum König war zugleich die Erhebung seines Hauses zum fränkischen Königsgeschlechte 24. Um die Aus- schlieſsung der Söhne seines Bruders Karlmann von der Thronfolge sicherzustellen 25, lieſs Pippin die fränkischen Groſsen vom Papste 754 ausdrücklich verpflichten, daſs sie sich niemals aus der Nachkommen- schaft eines anderen einen König setzen würden. In dem neuen Königshause wurde die Reichsverwaltung zunächst ebenfalls zu gleichen Teilen und zu gleichem Rechte geteilt. In dieser Weise teilte sie Pippin 768 zwischen seinen Söhnen Karl und Karlmann. Die Erneuerung des abendländischen Kaisertums führte zu Kon- sequenzen, mit welchen sich das hergebrachte Teilungsprinzip nicht vertrug. Denn die Universalmonarchie, wie sie das Kaisertum dar- stellen sollte, verlangte die Individualsuccession. Karl der Groſse hatte, solange er mehrere Söhne besaſs, nicht die Absicht, mit dem Teilungs- grundsatze zu brechen. Er verfügte 806 eine Teilung zwar zu un- 19 Waitz, VG II 1 S. 160. 167 ff. 20 Siehe oben S. 19. 21 Siehe die oben S. 18 Anm. 24 citierte Stelle der Vita Leodegarii. 22 Liber Hist. Franc. c. 53 von Karl Martell: regemque sibi statuit Chlotha- rium nomine. Childerich III. sagt in einer Urkunde, Pertz, Dipl. M. 97, von Karl Martell: qui nobis in solium regis instituit. Auf die trübe Nachricht der späten Vita Dagoberti III c. 2, SS rer. Mer. II 512: Pippinus princeps omnisque exercitus Francorum Hildebertum elegit in regem, ist kein Gewicht zu legen. 23 Siehe unten § 72. 24 Nach Fredegarii Cont. 33 (117) wurde Pippin una cum regina Bertradane erhoben (sublimatur in regno). 25 Mühlbacher, Deutsche Geschichte unter den Karolingern S. 65.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/45>, abgerufen am 29.03.2024.