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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 106. Die Gottesurteile.
des Klägers bei der Zeugenschelte 31, vielleicht auch bei Urteilschelte
und Eidesschelte überhaupt. Hat der Beklagte sich durch Kesselfang
zu reinigen, so ist den Parteien nichtsdestoweniger ein Beweisgedinge
gestattet, welches das Ordal durch Eid mit Helfern ersetzt. Der Be-
klagte kann dafür dem Kläger eine Ablösungsgebühr entrichten, die
aber nicht über einen bestimmten Betrag hinausgehen darf 32. Neben
der bereits früh eingeführten christlichen Form des Kesselfangs mögen
die Salier noch eine Zeit lang auch eine an das Heidentum erinnernde
Form missbräuchlich angewendet haben; denn eine Novelle zur Lex
Salica setzt eine Busse, wie es scheint auf den Fall, dass man jemand
zu einer anderen als der vom König vorgeschriebenen Art der Kessel-
probe auffordert 33.

Kein besonderes Ordal des Flammengriffs, sondern der Kesselfang
ist das Feuerordal der Lex Ribuaria, das manum in igneum mittere 34.

31 Lex Sal. 94.
32 Lex Sal. 53: De manu ad eneo redimenda. Die Lösungsgebühr darf ein
bestimmtes Verhältnis zur Busse, die in Frage steht, nicht übersteigen. Wird mehr
gegeben, so verlangt der Fiskus sein volles Friedensgeld.
33 Lex Sal. (Hessels) 82 (Cap. 6, c. 4): si quis alterum ad calidam provoca-
verit preter euisionem dominicam, 600 din. qui fac. sol. 15 culp. iud. Man emen-
diert iussionem und glaubt, dass die Anwendung des Kesselfangs von königlichem
Befehl abhängig gemacht worden sei. Ein solches Eingreifen des Königtums in
das Beweisrecht ist mir unglaublich und widerspricht allem, was wir früher und
später vom Kesselfang bei den Saliern hören. Die Vorschrift wäre auch praktisch
unausführbar gewesen, da die iussio schon für das provocare verlangt wird, wozu
höchstens eine königliche Erlaubnis passen würde. Liest man iussio, so ist die
Stelle so zu verstehen, als ob es hiesse: preter secundum iussionem dominicam, wobei
unter iussio an den Inhalt eines die Form des Ordals normierenden königlichen
Gebotes zu denken wäre. Vielleicht ist aber euisionem zu halten und steht es für iui-
sionem, eine in der Deklination latinisierte Form für das romanische iuisio (spa-
nisch iuizio), altfranzösisch iuis (Cout. de Bourgogne ch. 6, ed. Marnier), juis, juise,
juisium, das Gottesurteil. Die Form iuisium war, wie die Belegstellen bei Du
Cange
(Henschel) III 922 darthun, insbesondere in Burgund gebräuchlich. Iuisium
dominicum würde das königlich sanktionierte Gottesurteil im Gegensatz zu ver-
botenen Formen bedeuten.
34 Lex Rib. 30, 1. Vgl. 30, 2: ad igneum repraesentare, 31, 5: ad igneo se
excusare. Jüngere Handschriften haben dafür ignem. Grimm, RA S. 912, Sie-
gel,
GV S. 237, Dahn und andere sehen darin ein besonderes Ordal, darin be-
stehend, dass man die Hand in ein brennendes Feuer streckte. Allein ein solches
Ordal ist sonst nicht bezeugt (in Greg. Tur. Gloria confess. 14, S. 756 wird ein Ring
aus dem Feuer herausgeholt). Igneus, ignis steht in der Lex Rib. für ineus. So
auch in den Novellen zur Lex Sal. Im Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth.
c. 4 liest Cod. 1 (Hessels) ad igne, wo die anderen Handschriften ad eneo, ineum
haben. In Lex Sal. 106, 6 hat Cod. 1 ignem calefacere, die übrigen Texte aeneo,

§ 106. Die Gottesurteile.
des Klägers bei der Zeugenschelte 31, vielleicht auch bei Urteilschelte
und Eidesschelte überhaupt. Hat der Beklagte sich durch Kesselfang
zu reinigen, so ist den Parteien nichtsdestoweniger ein Beweisgedinge
gestattet, welches das Ordal durch Eid mit Helfern ersetzt. Der Be-
klagte kann dafür dem Kläger eine Ablösungsgebühr entrichten, die
aber nicht über einen bestimmten Betrag hinausgehen darf 32. Neben
der bereits früh eingeführten christlichen Form des Kesselfangs mögen
die Salier noch eine Zeit lang auch eine an das Heidentum erinnernde
Form miſsbräuchlich angewendet haben; denn eine Novelle zur Lex
Salica setzt eine Buſse, wie es scheint auf den Fall, daſs man jemand
zu einer anderen als der vom König vorgeschriebenen Art der Kessel-
probe auffordert 33.

Kein besonderes Ordal des Flammengriffs, sondern der Kesselfang
ist das Feuerordal der Lex Ribuaria, das manum in igneum mittere 34.

31 Lex Sal. 94.
32 Lex Sal. 53: De manu ad eneo redimenda. Die Lösungsgebühr darf ein
bestimmtes Verhältnis zur Buſse, die in Frage steht, nicht übersteigen. Wird mehr
gegeben, so verlangt der Fiskus sein volles Friedensgeld.
33 Lex Sal. (Hessels) 82 (Cap. 6, c. 4): si quis alterum ad calidam provoca-
verit preter euisionem dominicam, 600 din. qui fac. sol. 15 culp. iud. Man emen-
diert iussionem und glaubt, daſs die Anwendung des Kesselfangs von königlichem
Befehl abhängig gemacht worden sei. Ein solches Eingreifen des Königtums in
das Beweisrecht ist mir unglaublich und widerspricht allem, was wir früher und
später vom Kesselfang bei den Saliern hören. Die Vorschrift wäre auch praktisch
unausführbar gewesen, da die iussio schon für das provocare verlangt wird, wozu
höchstens eine königliche Erlaubnis passen würde. Liest man iussio, so ist die
Stelle so zu verstehen, als ob es hieſse: preter secundum iussionem dominicam, wobei
unter iussio an den Inhalt eines die Form des Ordals normierenden königlichen
Gebotes zu denken wäre. Vielleicht ist aber euisionem zu halten und steht es für iui-
sionem, eine in der Deklination latinisierte Form für das romanische iuisio (spa-
nisch iuizio), altfranzösisch iuis (Cout. de Bourgogne ch. 6, ed. Marnier), juis, juise,
juisium, das Gottesurteil. Die Form iuisium war, wie die Belegstellen bei Du
Cange
(Henschel) III 922 darthun, insbesondere in Burgund gebräuchlich. Iuisium
dominicum würde das königlich sanktionierte Gottesurteil im Gegensatz zu ver-
botenen Formen bedeuten.
34 Lex Rib. 30, 1. Vgl. 30, 2: ad igneum repraesentare, 31, 5: ad igneo se
excusare. Jüngere Handschriften haben dafür ignem. Grimm, RA S. 912, Sie-
gel,
GV S. 237, Dahn und andere sehen darin ein besonderes Ordal, darin be-
stehend, daſs man die Hand in ein brennendes Feuer streckte. Allein ein solches
Ordal ist sonst nicht bezeugt (in Greg. Tur. Gloria confess. 14, S. 756 wird ein Ring
aus dem Feuer herausgeholt). Igneus, ignis steht in der Lex Rib. für ineus. So
auch in den Novellen zur Lex Sal. Im Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth.
c. 4 liest Cod. 1 (Hessels) ad igne, wo die anderen Handschriften ad eneo, ineum
haben. In Lex Sal. 106, 6 hat Cod. 1 ignem calefacere, die übrigen Texte aeneo,
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[407/0425] § 106. Die Gottesurteile. des Klägers bei der Zeugenschelte 31, vielleicht auch bei Urteilschelte und Eidesschelte überhaupt. Hat der Beklagte sich durch Kesselfang zu reinigen, so ist den Parteien nichtsdestoweniger ein Beweisgedinge gestattet, welches das Ordal durch Eid mit Helfern ersetzt. Der Be- klagte kann dafür dem Kläger eine Ablösungsgebühr entrichten, die aber nicht über einen bestimmten Betrag hinausgehen darf 32. Neben der bereits früh eingeführten christlichen Form des Kesselfangs mögen die Salier noch eine Zeit lang auch eine an das Heidentum erinnernde Form miſsbräuchlich angewendet haben; denn eine Novelle zur Lex Salica setzt eine Buſse, wie es scheint auf den Fall, daſs man jemand zu einer anderen als der vom König vorgeschriebenen Art der Kessel- probe auffordert 33. Kein besonderes Ordal des Flammengriffs, sondern der Kesselfang ist das Feuerordal der Lex Ribuaria, das manum in igneum mittere 34. 31 Lex Sal. 94. 32 Lex Sal. 53: De manu ad eneo redimenda. Die Lösungsgebühr darf ein bestimmtes Verhältnis zur Buſse, die in Frage steht, nicht übersteigen. Wird mehr gegeben, so verlangt der Fiskus sein volles Friedensgeld. 33 Lex Sal. (Hessels) 82 (Cap. 6, c. 4): si quis alterum ad calidam provoca- verit preter euisionem dominicam, 600 din. qui fac. sol. 15 culp. iud. Man emen- diert iussionem und glaubt, daſs die Anwendung des Kesselfangs von königlichem Befehl abhängig gemacht worden sei. Ein solches Eingreifen des Königtums in das Beweisrecht ist mir unglaublich und widerspricht allem, was wir früher und später vom Kesselfang bei den Saliern hören. Die Vorschrift wäre auch praktisch unausführbar gewesen, da die iussio schon für das provocare verlangt wird, wozu höchstens eine königliche Erlaubnis passen würde. Liest man iussio, so ist die Stelle so zu verstehen, als ob es hieſse: preter secundum iussionem dominicam, wobei unter iussio an den Inhalt eines die Form des Ordals normierenden königlichen Gebotes zu denken wäre. Vielleicht ist aber euisionem zu halten und steht es für iui- sionem, eine in der Deklination latinisierte Form für das romanische iuisio (spa- nisch iuizio), altfranzösisch iuis (Cout. de Bourgogne ch. 6, ed. Marnier), juis, juise, juisium, das Gottesurteil. Die Form iuisium war, wie die Belegstellen bei Du Cange (Henschel) III 922 darthun, insbesondere in Burgund gebräuchlich. Iuisium dominicum würde das königlich sanktionierte Gottesurteil im Gegensatz zu ver- botenen Formen bedeuten. 34 Lex Rib. 30, 1. Vgl. 30, 2: ad igneum repraesentare, 31, 5: ad igneo se excusare. Jüngere Handschriften haben dafür ignem. Grimm, RA S. 912, Sie- gel, GV S. 237, Dahn und andere sehen darin ein besonderes Ordal, darin be- stehend, daſs man die Hand in ein brennendes Feuer streckte. Allein ein solches Ordal ist sonst nicht bezeugt (in Greg. Tur. Gloria confess. 14, S. 756 wird ein Ring aus dem Feuer herausgeholt). Igneus, ignis steht in der Lex Rib. für ineus. So auch in den Novellen zur Lex Sal. Im Pactus pro tenore pacis Child. et Chloth. c. 4 liest Cod. 1 (Hessels) ad igne, wo die anderen Handschriften ad eneo, ineum haben. In Lex Sal. 106, 6 hat Cod. 1 ignem calefacere, die übrigen Texte aeneo,

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/425>, abgerufen am 20.05.2024.