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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 106. Die Gottesurteile.
gegen Knechte aussergerichtlich mit Zustimmung des Herrn ange-
wendet wurde 25. Dass einzelne Ordalien in fränkischer Zeit trotz des
geschriebenen Rechtes fortlebten, findet ein Analogon in der fort-
dauernden Übung, in der die Ordalien sich noch erhielten, nach-
dem sie die Kirche 1215 verboten und das kirchliche Verbot im welt-
lichen Rechte Anerkennung gefunden hatte 26.

Nach diesen Erörterungen mag auf die einzelnen Ordalien ein-
gegangen werden, deren Betrachtung uns für den Rechtsgang der
fränkischen Zeit obliegt.

1. Der Kesselfang oder Kesselgriff, iudicium aquae ferventis,
aenei (aheni), caldariae, friesisch ketelfong, nordisch ketilfang, ketil-
tak. Die Ordalhandlung bestand darin, dass Wasser in einem Kessel 27
zum Sieden gebracht wurde und der Beweisführer mit entblösstem
Arm hineingriff, um einen Ring oder Stein herauszulangen. Erschienen
nach Ablauf einer bestimmten Frist Hand und Arm als heil, so war
das Ordal gelungen. Der Kesselfang zählt zu den Feuerordalien; denn
es ist die Wirkung des Feuers, die den Schuldigen überführt; auch
wird in den kirchlichen Beschwörungsformeln, die bei dem Kesselfang
gebraucht werden, häufig auf das Wunder hingewiesen, das die drei
Jünglinge im Feuerofen errettete 28.

Der Kesselfang ist das spezifische Ordal der Lex Salica. Sie
kennt ihn als prinzipales Beweismittel des Beklagten, wenn der Kläger
die Klage als eine ordalbedürftige einbringt (ad ineum admallare 29),
als subsidiäres Beweismittel des Beklagten, wenn er die erforderliche
Zahl von Helfern nicht aufbringen kann 30, als prinzipales Beweismittel

25 Liu. 50. Vgl. Lib. Pap. Lothar 81.
26 Ruprecht von Freising II, c. 121 ed. Maurer S. 364 sagt von dem, der im
Bahrgericht beweisfällig geworden ist, dass er für schuldig gelte 'und hat dy urtail
uber sich selbs geben, das (dasz) er sich des gerichts (der Bahrprobe) angenommen
hat, wann sein nyemand genött möcht haben. Das geschicht alzo allen den, di sich
verpottne recht annemen, das sy das haiss eysen tragen oder in ain wallendn
kessl greiffn und ist daz es sy prennt, so ist er schuldig'.
27 In der Lex Salica und in den salischen Kapitularien aeneum, ineum, inium,
hinium, igneum.
28 Die Formeln für Kesselfang und Handeisen sind handschriftlich nicht selten
mit einander verbunden; mitunter ist dieselbe Formel auf beide Ordalien berechnet.
Zeumer, Formulae S. 608. Vgl. Kaegi a. O. S. 52.
29 Lex Sal. 53, 1. 5. Ad calidam provocare Lex Sal. 82. Ad aeneum pro-
vocare in Pactus pro tenore pacis c. 4. Unter Antrustionen ist Kesselfang nur
zulässig, wenn es sich um das Wergeld handelt und der Kläger selbzwölft einen
Voreid schwört. Lex Sal. 106.
30 Lex Sal. 14, 2 (Cod. 2), 16, 3 (Cod. 2), Edictum Chilp. c. 7, wo statt ini-
tium inium zu lesen ist.

§ 106. Die Gottesurteile.
gegen Knechte auſsergerichtlich mit Zustimmung des Herrn ange-
wendet wurde 25. Daſs einzelne Ordalien in fränkischer Zeit trotz des
geschriebenen Rechtes fortlebten, findet ein Analogon in der fort-
dauernden Übung, in der die Ordalien sich noch erhielten, nach-
dem sie die Kirche 1215 verboten und das kirchliche Verbot im welt-
lichen Rechte Anerkennung gefunden hatte 26.

Nach diesen Erörterungen mag auf die einzelnen Ordalien ein-
gegangen werden, deren Betrachtung uns für den Rechtsgang der
fränkischen Zeit obliegt.

1. Der Kesselfang oder Kesselgriff, iudicium aquae ferventis,
aenei (aheni), caldariae, friesisch ketelfong, nordisch ketilfang, ketil-
tak. Die Ordalhandlung bestand darin, daſs Wasser in einem Kessel 27
zum Sieden gebracht wurde und der Beweisführer mit entblöſstem
Arm hineingriff, um einen Ring oder Stein herauszulangen. Erschienen
nach Ablauf einer bestimmten Frist Hand und Arm als heil, so war
das Ordal gelungen. Der Kesselfang zählt zu den Feuerordalien; denn
es ist die Wirkung des Feuers, die den Schuldigen überführt; auch
wird in den kirchlichen Beschwörungsformeln, die bei dem Kesselfang
gebraucht werden, häufig auf das Wunder hingewiesen, das die drei
Jünglinge im Feuerofen errettete 28.

Der Kesselfang ist das spezifische Ordal der Lex Salica. Sie
kennt ihn als prinzipales Beweismittel des Beklagten, wenn der Kläger
die Klage als eine ordalbedürftige einbringt (ad ineum admallare 29),
als subsidiäres Beweismittel des Beklagten, wenn er die erforderliche
Zahl von Helfern nicht aufbringen kann 30, als prinzipales Beweismittel

25 Liu. 50. Vgl. Lib. Pap. Lothar 81.
26 Ruprecht von Freising II, c. 121 ed. Maurer S. 364 sagt von dem, der im
Bahrgericht beweisfällig geworden ist, daſs er für schuldig gelte ‘und hat dy urtail
uber sich selbs geben, das (dasz) er sich des gerichts (der Bahrprobe) angenommen
hat, wann sein nyemand genött möcht haben. Das geschicht alzo allen den, di sich
verpottne recht annemen, das sy das haiſs eysen tragen oder in ain wallendn
kessl greiffn und ist daz es sy prennt, so ist er schuldig’.
27 In der Lex Salica und in den salischen Kapitularien aeneum, ineum, inium,
hinium, igneum.
28 Die Formeln für Kesselfang und Handeisen sind handschriftlich nicht selten
mit einander verbunden; mitunter ist dieselbe Formel auf beide Ordalien berechnet.
Zeumer, Formulae S. 608. Vgl. Kaegi a. O. S. 52.
29 Lex Sal. 53, 1. 5. Ad calidam provocare Lex Sal. 82. Ad aeneum pro-
vocare in Pactus pro tenore pacis c. 4. Unter Antrustionen ist Kesselfang nur
zulässig, wenn es sich um das Wergeld handelt und der Kläger selbzwölft einen
Voreid schwört. Lex Sal. 106.
30 Lex Sal. 14, 2 (Cod. 2), 16, 3 (Cod. 2), Edictum Chilp. c. 7, wo statt ini-
tium inium zu lesen ist.
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[406/0424] § 106. Die Gottesurteile. gegen Knechte auſsergerichtlich mit Zustimmung des Herrn ange- wendet wurde 25. Daſs einzelne Ordalien in fränkischer Zeit trotz des geschriebenen Rechtes fortlebten, findet ein Analogon in der fort- dauernden Übung, in der die Ordalien sich noch erhielten, nach- dem sie die Kirche 1215 verboten und das kirchliche Verbot im welt- lichen Rechte Anerkennung gefunden hatte 26. Nach diesen Erörterungen mag auf die einzelnen Ordalien ein- gegangen werden, deren Betrachtung uns für den Rechtsgang der fränkischen Zeit obliegt. 1. Der Kesselfang oder Kesselgriff, iudicium aquae ferventis, aenei (aheni), caldariae, friesisch ketelfong, nordisch ketilfang, ketil- tak. Die Ordalhandlung bestand darin, daſs Wasser in einem Kessel 27 zum Sieden gebracht wurde und der Beweisführer mit entblöſstem Arm hineingriff, um einen Ring oder Stein herauszulangen. Erschienen nach Ablauf einer bestimmten Frist Hand und Arm als heil, so war das Ordal gelungen. Der Kesselfang zählt zu den Feuerordalien; denn es ist die Wirkung des Feuers, die den Schuldigen überführt; auch wird in den kirchlichen Beschwörungsformeln, die bei dem Kesselfang gebraucht werden, häufig auf das Wunder hingewiesen, das die drei Jünglinge im Feuerofen errettete 28. Der Kesselfang ist das spezifische Ordal der Lex Salica. Sie kennt ihn als prinzipales Beweismittel des Beklagten, wenn der Kläger die Klage als eine ordalbedürftige einbringt (ad ineum admallare 29), als subsidiäres Beweismittel des Beklagten, wenn er die erforderliche Zahl von Helfern nicht aufbringen kann 30, als prinzipales Beweismittel 25 Liu. 50. Vgl. Lib. Pap. Lothar 81. 26 Ruprecht von Freising II, c. 121 ed. Maurer S. 364 sagt von dem, der im Bahrgericht beweisfällig geworden ist, daſs er für schuldig gelte ‘und hat dy urtail uber sich selbs geben, das (dasz) er sich des gerichts (der Bahrprobe) angenommen hat, wann sein nyemand genött möcht haben. Das geschicht alzo allen den, di sich verpottne recht annemen, das sy das haiſs eysen tragen oder in ain wallendn kessl greiffn und ist daz es sy prennt, so ist er schuldig’. 27 In der Lex Salica und in den salischen Kapitularien aeneum, ineum, inium, hinium, igneum. 28 Die Formeln für Kesselfang und Handeisen sind handschriftlich nicht selten mit einander verbunden; mitunter ist dieselbe Formel auf beide Ordalien berechnet. Zeumer, Formulae S. 608. Vgl. Kaegi a. O. S. 52. 29 Lex Sal. 53, 1. 5. Ad calidam provocare Lex Sal. 82. Ad aeneum pro- vocare in Pactus pro tenore pacis c. 4. Unter Antrustionen ist Kesselfang nur zulässig, wenn es sich um das Wergeld handelt und der Kläger selbzwölft einen Voreid schwört. Lex Sal. 106. 30 Lex Sal. 14, 2 (Cod. 2), 16, 3 (Cod. 2), Edictum Chilp. c. 7, wo statt ini- tium inium zu lesen ist.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/424>, abgerufen am 25.11.2024.