Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 98. Ladung und Streitgedinge.
hiess der Akt bannire, bannitio. Abgesehen von den Fällen, in welchen
der Richter von Amtswegen vorging, stand es zunächst im Belieben
des Klägers, ob er den Weg der rechtsförmlichen Mannitio beschreiten
oder die richterliche Bannitio herbeiführen wollte. Nur in Streitig-
keiten um Freiheit und Grundeigentum wurde die volksrechtliche Form
der Ladung vor das echte Ding noch als Erfordernis aufrechterhalten34;
im übrigen war die Mannitio der überlegenen Konkurrenz der dem
Kläger minder gefährlichen und minder beschwerlichen Bannitio preis-
gegeben, die denn auch jene schliesslich schlechthin verdrängte35.

Auf die Bannitio sind zum Teile die Rechtssätze übergegangen,
welche für die Mannitio galten. Die richterliche Vorladung ansässiger
Leute musste ebenso wie die mannitio in deren Behausung erfolgen36.
Sie geschah in der Weise, dass der Bote des Richters oder der Richter
selbst mit Zeugen die Ladung vornahm37. Der Bote lud unter Vor-
weisung des Richterzeichens oder eines Ladungsbriefes38. Die Ladung
nannte den Prozessgegner und den Klaggrund; sie setzte wie die Man-
nitio dem Vorgeladenen die gesetzliche Frist39. Die Busse, welche
der Ausbleibende verwirkte, fiel aber nicht wie aus Anlass der ver-
geblichen Mannitio (mit Abzug des fredus) an den Prozessgegner,
sondern als bannus an die öffentliche Gewalt40. Ihre Höhe war ver-

34 Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Item Cap. legi add. v. J. 816, c. 3,
I 270. Cap. legibus add. v. J. 818/9, c. 12, I 283.
35 Die Ewa Chamavorum erwähnt nur noch die bannitio. Vgl. oben I 280.
36 Ed. Pist. v. J. 864, c. 6, LL I 489. Vgl. oben I 379 f. Nach friesischem
Rechte hat nachmals der Beklagte die Einrede, quod ille bonnerus vel bedellus
actionem non indixit in atrio neque in domo. Die 24 Landrechte, const. 1, Richt-
hofen, Rqu. S. 40.
37 Ed. Pist. v. J. 864 a. O. Die Dingtalen von Delft (Sonderabdruck S. 35)
überliefern folgendes Formular einer richterlichen Ladung: Soe gaet die scout
mitten scepenen ende daghet hem totten huyse, daer hy laest plach te woenen
ende hy seyt ende hy clopt mit die roede (mit dem Richterstab) an dat huys: hier
daghe ik Pieter Woutersz. van huyden tot opten dach, die gheleyt is -- dien
noempt hy -- ter goeder tijt voermiddach, Dierick Pietersz. te antwoerden van al-
sulcke claghe, als hy daer op te claghen heeft, als van verlies van Vrancken sijn's
broeders doot. Des neem ick hier tuyghe an schepenen.
38 Arg. Lex Rom. Cur. 27, 9. Lex Alam. 22, 2; 27, 1--3. Lex Baiuw.
II 13. Lex Wisig. II 1, c. 18. Über die Ladung mit dem Richterzeichen Ho-
meyer
, Richtsteig Landrechts S. 428. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
S. 115, Anm. 47; Dahn, Studien S. 248. Zeumer in LL V 440. Über die ger-
manischen Ladungszeichen Weinhold, Berliner SB 1891, S. 547 f.
39 Lex Chamav. c. 43.
40 Hincmar sagt Opera II 224: et quia prius per manninas veniebant, excogi-
taverunt quidam, ut per bannos venirent ad placita, quasi propterea melius essent,

§ 98. Ladung und Streitgedinge.
hieſs der Akt bannire, bannitio. Abgesehen von den Fällen, in welchen
der Richter von Amtswegen vorging, stand es zunächst im Belieben
des Klägers, ob er den Weg der rechtsförmlichen Mannitio beschreiten
oder die richterliche Bannitio herbeiführen wollte. Nur in Streitig-
keiten um Freiheit und Grundeigentum wurde die volksrechtliche Form
der Ladung vor das echte Ding noch als Erfordernis aufrechterhalten34;
im übrigen war die Mannitio der überlegenen Konkurrenz der dem
Kläger minder gefährlichen und minder beschwerlichen Bannitio preis-
gegeben, die denn auch jene schlieſslich schlechthin verdrängte35.

Auf die Bannitio sind zum Teile die Rechtssätze übergegangen,
welche für die Mannitio galten. Die richterliche Vorladung ansässiger
Leute muſste ebenso wie die mannitio in deren Behausung erfolgen36.
Sie geschah in der Weise, daſs der Bote des Richters oder der Richter
selbst mit Zeugen die Ladung vornahm37. Der Bote lud unter Vor-
weisung des Richterzeichens oder eines Ladungsbriefes38. Die Ladung
nannte den Prozeſsgegner und den Klaggrund; sie setzte wie die Man-
nitio dem Vorgeladenen die gesetzliche Frist39. Die Buſse, welche
der Ausbleibende verwirkte, fiel aber nicht wie aus Anlaſs der ver-
geblichen Mannitio (mit Abzug des fredus) an den Prozeſsgegner,
sondern als bannus an die öffentliche Gewalt40. Ihre Höhe war ver-

34 Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Item Cap. legi add. v. J. 816, c. 3,
I 270. Cap. legibus add. v. J. 818/9, c. 12, I 283.
35 Die Ewa Chamavorum erwähnt nur noch die bannitio. Vgl. oben I 280.
36 Ed. Pist. v. J. 864, c. 6, LL I 489. Vgl. oben I 379 f. Nach friesischem
Rechte hat nachmals der Beklagte die Einrede, quod ille bonnerus vel bedellus
actionem non indixit in atrio neque in domo. Die 24 Landrechte, const. 1, Richt-
hofen, Rqu. S. 40.
37 Ed. Pist. v. J. 864 a. O. Die Dingtalen von Delft (Sonderabdruck S. 35)
überliefern folgendes Formular einer richterlichen Ladung: Soe gaet die scout
mitten scepenen ende daghet hem totten huyse, daer hy laest plach te woenen
ende hy seyt ende hy clopt mit die roede (mit dem Richterstab) an dat huys: hier
daghe ik Pieter Woutersz. van huyden tot opten dach, die gheleyt is — dien
noempt hy — ter goeder tijt voermiddach, Dierick Pietersz. te antwoerden van al-
sulcke claghe, als hy daer op te claghen heeft, als van verlies van Vrancken sijn’s
broeders doot. Des neem ick hier tuyghe an schepenen.
38 Arg. Lex Rom. Cur. 27, 9. Lex Alam. 22, 2; 27, 1—3. Lex Baiuw.
II 13. Lex Wisig. II 1, c. 18. Über die Ladung mit dem Richterzeichen Ho-
meyer
, Richtsteig Landrechts S. 428. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
S. 115, Anm. 47; Dahn, Studien S. 248. Zeumer in LL V 440. Über die ger-
manischen Ladungszeichen Weinhold, Berliner SB 1891, S. 547 f.
39 Lex Chamav. c. 43.
40 Hincmar sagt Opera II 224: et quia prius per manninas veniebant, excogi-
taverunt quidam, ut per bannos venirent ad placita, quasi propterea melius essent,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0356" n="338"/><fw place="top" type="header">§ 98. Ladung und Streitgedinge.</fw><lb/>
hie&#x017F;s der Akt bannire, bannitio. Abgesehen von den Fällen, in welchen<lb/>
der Richter von Amtswegen vorging, stand es zunächst im Belieben<lb/>
des Klägers, ob er den Weg der rechtsförmlichen Mannitio beschreiten<lb/>
oder die richterliche Bannitio herbeiführen wollte. Nur in Streitig-<lb/>
keiten um Freiheit und Grundeigentum wurde die volksrechtliche Form<lb/>
der Ladung vor das echte Ding noch als Erfordernis aufrechterhalten<note place="foot" n="34">Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Item Cap. legi add. v. J. 816, c. 3,<lb/>
I 270. Cap. legibus add. v. J. 818/9, c. 12, I 283.</note>;<lb/>
im übrigen war die Mannitio der überlegenen Konkurrenz der dem<lb/>
Kläger minder gefährlichen und minder beschwerlichen Bannitio preis-<lb/>
gegeben, die denn auch jene schlie&#x017F;slich schlechthin verdrängte<note place="foot" n="35">Die Ewa Chamavorum erwähnt nur noch die bannitio. Vgl. oben I 280.</note>.</p><lb/>
              <p>Auf die Bannitio sind zum Teile die Rechtssätze übergegangen,<lb/>
welche für die Mannitio galten. Die richterliche Vorladung ansässiger<lb/>
Leute mu&#x017F;ste ebenso wie die mannitio in deren Behausung erfolgen<note place="foot" n="36">Ed. Pist. v. J. 864, c. 6, LL I 489. Vgl. oben I 379 f. Nach friesischem<lb/>
Rechte hat nachmals der Beklagte die Einrede, quod ille bonnerus vel bedellus<lb/>
actionem non indixit in atrio neque in domo. Die 24 Landrechte, const. 1, Richt-<lb/>
hofen, Rqu. S. 40.</note>.<lb/>
Sie geschah in der Weise, da&#x017F;s der Bote des Richters oder der Richter<lb/>
selbst mit Zeugen die Ladung vornahm<note place="foot" n="37">Ed. Pist. v. J. 864 a. O. Die Dingtalen von Delft (Sonderabdruck S. 35)<lb/>
überliefern folgendes Formular einer richterlichen Ladung: Soe gaet die scout<lb/>
mitten scepenen ende daghet hem totten huyse, daer hy laest plach te woenen<lb/>
ende hy seyt ende hy clopt mit die roede (mit dem Richterstab) an dat huys: hier<lb/>
daghe ik Pieter Woutersz. van huyden tot opten dach, die gheleyt is &#x2014; dien<lb/>
noempt hy &#x2014; ter goeder tijt voermiddach, Dierick Pietersz. te antwoerden van al-<lb/>
sulcke claghe, als hy daer op te claghen heeft, als van verlies van Vrancken sijn&#x2019;s<lb/>
broeders doot. Des neem ick hier tuyghe an schepenen.</note>. Der Bote lud unter Vor-<lb/>
weisung des Richterzeichens oder eines Ladungsbriefes<note place="foot" n="38">Arg. Lex Rom. Cur. 27, 9. Lex Alam. 22, 2; 27, 1&#x2014;3. Lex Baiuw.<lb/>
II 13. Lex Wisig. II 1, c. 18. Über die Ladung mit dem Richterzeichen <hi rendition="#g">Ho-<lb/>
meyer</hi>, Richtsteig Landrechts S. 428. <hi rendition="#g">Sohm</hi>, Reichs- und Gerichtsverfassung<lb/>
S. 115, Anm. 47; <hi rendition="#g">Dahn</hi>, Studien S. 248. <hi rendition="#g">Zeumer</hi> in LL V 440. Über die ger-<lb/>
manischen Ladungszeichen <hi rendition="#g">Weinhold</hi>, Berliner SB 1891, S. 547 f.</note>. Die Ladung<lb/>
nannte den Proze&#x017F;sgegner und den Klaggrund; sie setzte wie die Man-<lb/>
nitio dem Vorgeladenen die gesetzliche Frist<note place="foot" n="39">Lex Chamav. c. 43.</note>. Die Bu&#x017F;se, welche<lb/>
der Ausbleibende verwirkte, fiel aber nicht wie aus Anla&#x017F;s der ver-<lb/>
geblichen Mannitio (mit Abzug des fredus) an den Proze&#x017F;sgegner,<lb/>
sondern als bannus an die öffentliche Gewalt<note xml:id="seg2pn_86_1" next="#seg2pn_86_2" place="foot" n="40">Hincmar sagt Opera II 224: et quia prius per manninas veniebant, excogi-<lb/>
taverunt quidam, ut per bannos venirent ad placita, quasi propterea melius essent,</note>. Ihre Höhe war ver-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0356] § 98. Ladung und Streitgedinge. hieſs der Akt bannire, bannitio. Abgesehen von den Fällen, in welchen der Richter von Amtswegen vorging, stand es zunächst im Belieben des Klägers, ob er den Weg der rechtsförmlichen Mannitio beschreiten oder die richterliche Bannitio herbeiführen wollte. Nur in Streitig- keiten um Freiheit und Grundeigentum wurde die volksrechtliche Form der Ladung vor das echte Ding noch als Erfordernis aufrechterhalten 34; im übrigen war die Mannitio der überlegenen Konkurrenz der dem Kläger minder gefährlichen und minder beschwerlichen Bannitio preis- gegeben, die denn auch jene schlieſslich schlechthin verdrängte 35. Auf die Bannitio sind zum Teile die Rechtssätze übergegangen, welche für die Mannitio galten. Die richterliche Vorladung ansässiger Leute muſste ebenso wie die mannitio in deren Behausung erfolgen 36. Sie geschah in der Weise, daſs der Bote des Richters oder der Richter selbst mit Zeugen die Ladung vornahm 37. Der Bote lud unter Vor- weisung des Richterzeichens oder eines Ladungsbriefes 38. Die Ladung nannte den Prozeſsgegner und den Klaggrund; sie setzte wie die Man- nitio dem Vorgeladenen die gesetzliche Frist 39. Die Buſse, welche der Ausbleibende verwirkte, fiel aber nicht wie aus Anlaſs der ver- geblichen Mannitio (mit Abzug des fredus) an den Prozeſsgegner, sondern als bannus an die öffentliche Gewalt 40. Ihre Höhe war ver- 34 Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Item Cap. legi add. v. J. 816, c. 3, I 270. Cap. legibus add. v. J. 818/9, c. 12, I 283. 35 Die Ewa Chamavorum erwähnt nur noch die bannitio. Vgl. oben I 280. 36 Ed. Pist. v. J. 864, c. 6, LL I 489. Vgl. oben I 379 f. Nach friesischem Rechte hat nachmals der Beklagte die Einrede, quod ille bonnerus vel bedellus actionem non indixit in atrio neque in domo. Die 24 Landrechte, const. 1, Richt- hofen, Rqu. S. 40. 37 Ed. Pist. v. J. 864 a. O. Die Dingtalen von Delft (Sonderabdruck S. 35) überliefern folgendes Formular einer richterlichen Ladung: Soe gaet die scout mitten scepenen ende daghet hem totten huyse, daer hy laest plach te woenen ende hy seyt ende hy clopt mit die roede (mit dem Richterstab) an dat huys: hier daghe ik Pieter Woutersz. van huyden tot opten dach, die gheleyt is — dien noempt hy — ter goeder tijt voermiddach, Dierick Pietersz. te antwoerden van al- sulcke claghe, als hy daer op te claghen heeft, als van verlies van Vrancken sijn’s broeders doot. Des neem ick hier tuyghe an schepenen. 38 Arg. Lex Rom. Cur. 27, 9. Lex Alam. 22, 2; 27, 1—3. Lex Baiuw. II 13. Lex Wisig. II 1, c. 18. Über die Ladung mit dem Richterzeichen Ho- meyer, Richtsteig Landrechts S. 428. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung S. 115, Anm. 47; Dahn, Studien S. 248. Zeumer in LL V 440. Über die ger- manischen Ladungszeichen Weinhold, Berliner SB 1891, S. 547 f. 39 Lex Chamav. c. 43. 40 Hincmar sagt Opera II 224: et quia prius per manninas veniebant, excogi- taverunt quidam, ut per bannos venirent ad placita, quasi propterea melius essent,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/356
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/356>, abgerufen am 20.05.2024.