Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 98. Ladung und Streitgedinge.
schieden je nach der Banngewalt des bannierenden Richters41. Seit
dem Aufkommen der richterlichen Ladung muss die Solsadierung des
Abwesenden allmählich ausser Gebrauch gekommen sein. An Stelle
der Parteihandlung trat vermutlich mehrmaliges Ausrufen des Ausge-
bliebenen durch den Weibel oder Büttel des Richters42. Auch die
durch Bannitio vorgeladene Partei hatte Anspruch auf wiederholte
Tagung. Doch erhielt die Bannitio insofern eine schärfere Wirkung,
als Kapitularien Ludwigs I. (in Fällen, in denen es sich nicht um
Freiheit oder Grundeigeutum handelte) dem Grafen gestatteten, schon
nach der zweiten vergeblichen Ladung gegen den Ausbleibenden die
missio in bannum regis zu verhängen, eine provisorische Einziehung
des Vermögens, die ihn zwingen sollte, im dritten Termin zu erscheinen43.

Ist die richterliche Bannitio als amtsrechtliche Vorladung von der
volksrechtlichen mannitio begrifflich strenge zu scheiden, so wird doch
in der Sprache der Rechtsquellen der Ausdruck mannire auch für die
Ladung durch richterlichen Befehl gebraucht44.

Die Verdrängung der Parteiladung durch die richterliche Ladung,
wie wir sie bei den Franken an der Hand der Quellen verfolgen können,
hatte sich bei anderen germanischen Stämmen bereits so früh vollzogen,
dass uns ihre Rechtsquellen nur die jüngere Form der Ladung bezeugen.
Das gilt von den Westgoten45 und von den Langobarden46. Die Lex
Burgundionum und das bairische Volksrecht kennen eine subsidiäre
richterliche Ladung. Sie tritt bei den Burgundern ein, wenn der
Kläger den Beklagten zweimal vergeblich vorgeladen47, bei den
Baiern, nachdem die Partei ihren Gegner fruchtlos aufgefordert hatte,

ne ipsas manninas alterutrum solverent, haec ideo facientes, ut ipsi bannum acci-
perent et in tantum inde affligerentur pauperes.
41 Bannte der Graf, so betrug die Bannbusse 15 Solidi, also ebensoviel als
die Mannitionsbusse.
42 Dies zeigt das jüngere Recht. Het Bouc van tale ende wedertale, Cou-
tume von Ardenburg, bei Gilliodts von Severen, Coutumes du Quartier de Bruges,
Petites villes et seigneuries I 266, c. 30: scoutete sal voort heeschen: coomt voort
Heinric ende doet recht, eenen waerven, ander waerven, derde waerven.
43 Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Cap. legib. add. 818/9, c. 12, I 284.
44 So schon im Ed. Chilp. c. 8. Über den Sprachgebrauch der karolingischen
Zeit siehe Waitz, VG IV 383 f. Sohm, Reichs- u. GV S. 116. Von den Glossen
zu Lex Rib. 32, 1, LL V 277 giebt eine mannire mit bannan, eine andere mit
menan wieder. In flämischen Quellen begegnet uns nachmals ein officialis des
Grafen als maenre, Mahner. Tautologisch steht banne und manne im Weistum
von Perl v. J. 1468, Grimm, Weistümer II 239.
45 Lex Wisig. II 1, 18. Dahn, Studien S. 249.
46 Liu. 25. Bethmann-Hollweg IV 378. Pertile VI 507.
47 Lex Burg. 17, 4.
22*

§ 98. Ladung und Streitgedinge.
schieden je nach der Banngewalt des bannierenden Richters41. Seit
dem Aufkommen der richterlichen Ladung muſs die Solsadierung des
Abwesenden allmählich auſser Gebrauch gekommen sein. An Stelle
der Parteihandlung trat vermutlich mehrmaliges Ausrufen des Ausge-
bliebenen durch den Weibel oder Büttel des Richters42. Auch die
durch Bannitio vorgeladene Partei hatte Anspruch auf wiederholte
Tagung. Doch erhielt die Bannitio insofern eine schärfere Wirkung,
als Kapitularien Ludwigs I. (in Fällen, in denen es sich nicht um
Freiheit oder Grundeigeutum handelte) dem Grafen gestatteten, schon
nach der zweiten vergeblichen Ladung gegen den Ausbleibenden die
missio in bannum regis zu verhängen, eine provisorische Einziehung
des Vermögens, die ihn zwingen sollte, im dritten Termin zu erscheinen43.

Ist die richterliche Bannitio als amtsrechtliche Vorladung von der
volksrechtlichen mannitio begrifflich strenge zu scheiden, so wird doch
in der Sprache der Rechtsquellen der Ausdruck mannire auch für die
Ladung durch richterlichen Befehl gebraucht44.

Die Verdrängung der Parteiladung durch die richterliche Ladung,
wie wir sie bei den Franken an der Hand der Quellen verfolgen können,
hatte sich bei anderen germanischen Stämmen bereits so früh vollzogen,
daſs uns ihre Rechtsquellen nur die jüngere Form der Ladung bezeugen.
Das gilt von den Westgoten45 und von den Langobarden46. Die Lex
Burgundionum und das bairische Volksrecht kennen eine subsidiäre
richterliche Ladung. Sie tritt bei den Burgundern ein, wenn der
Kläger den Beklagten zweimal vergeblich vorgeladen47, bei den
Baiern, nachdem die Partei ihren Gegner fruchtlos aufgefordert hatte,

ne ipsas manninas alterutrum solverent, haec ideo facientes, ut ipsi bannum acci-
perent et in tantum inde affligerentur pauperes.
41 Bannte der Graf, so betrug die Bannbuſse 15 Solidi, also ebensoviel als
die Mannitionsbuſse.
42 Dies zeigt das jüngere Recht. Het Bouc van tale ende wedertale, Cou-
tume von Ardenburg, bei Gilliodts von Severen, Coutumes du Quartier de Bruges,
Petites villes et seigneuries I 266, c. 30: scoutete sal voort heeschen: coomt voort
Heinric ende doet recht, eenen waerven, ander waerven, derde waerven.
43 Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Cap. legib. add. 818/9, c. 12, I 284.
44 So schon im Ed. Chilp. c. 8. Über den Sprachgebrauch der karolingischen
Zeit siehe Waitz, VG IV 383 f. Sohm, Reichs- u. GV S. 116. Von den Glossen
zu Lex Rib. 32, 1, LL V 277 giebt eine mannire mit bannan, eine andere mit
menan wieder. In flämischen Quellen begegnet uns nachmals ein officialis des
Grafen als maenre, Mahner. Tautologisch steht banne und manne im Weistum
von Perl v. J. 1468, Grimm, Weistümer II 239.
45 Lex Wisig. II 1, 18. Dahn, Studien S. 249.
46 Liu. 25. Bethmann-Hollweg IV 378. Pertile VI 507.
47 Lex Burg. 17, 4.
22*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0357" n="339"/><fw place="top" type="header">§ 98. Ladung und Streitgedinge.</fw><lb/>
schieden je nach der Banngewalt des bannierenden Richters<note place="foot" n="41">Bannte der Graf, so betrug die Bannbu&#x017F;se 15 Solidi, also ebensoviel als<lb/>
die Mannitionsbu&#x017F;se.</note>. Seit<lb/>
dem Aufkommen der richterlichen Ladung mu&#x017F;s die Solsadierung des<lb/>
Abwesenden allmählich au&#x017F;ser Gebrauch gekommen sein. An Stelle<lb/>
der Parteihandlung trat vermutlich mehrmaliges Ausrufen des Ausge-<lb/>
bliebenen durch den Weibel oder Büttel des Richters<note place="foot" n="42">Dies zeigt das jüngere Recht. Het Bouc van tale ende wedertale, Cou-<lb/>
tume von Ardenburg, bei Gilliodts von Severen, Coutumes du Quartier de Bruges,<lb/>
Petites villes et seigneuries I 266, c. 30: scoutete sal voort heeschen: coomt voort<lb/>
Heinric ende doet recht, eenen waerven, ander waerven, derde waerven.</note>. Auch die<lb/>
durch Bannitio vorgeladene Partei hatte Anspruch auf wiederholte<lb/>
Tagung. Doch erhielt die Bannitio insofern eine schärfere Wirkung,<lb/>
als Kapitularien Ludwigs I. (in Fällen, in denen es sich nicht um<lb/>
Freiheit oder Grundeigeutum handelte) dem Grafen gestatteten, schon<lb/>
nach der zweiten vergeblichen Ladung gegen den Ausbleibenden die<lb/>
missio in bannum regis zu verhängen, eine provisorische Einziehung<lb/>
des Vermögens, die ihn zwingen sollte, im dritten Termin zu erscheinen<note place="foot" n="43">Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Cap. legib. add. 818/9, c. 12, I 284.</note>.</p><lb/>
              <p>Ist die richterliche Bannitio als amtsrechtliche Vorladung von der<lb/>
volksrechtlichen mannitio begrifflich strenge zu scheiden, so wird doch<lb/>
in der Sprache der Rechtsquellen der Ausdruck mannire auch für die<lb/>
Ladung durch richterlichen Befehl gebraucht<note place="foot" n="44">So schon im Ed. Chilp. c. 8. Über den Sprachgebrauch der karolingischen<lb/>
Zeit siehe <hi rendition="#g">Waitz</hi>, VG IV 383 f. <hi rendition="#g">Sohm</hi>, Reichs- u. GV S. 116. Von den Glossen<lb/>
zu Lex Rib. 32, 1, LL V 277 giebt eine mannire mit bannan, eine andere mit<lb/>
menan wieder. In flämischen Quellen begegnet uns nachmals ein officialis des<lb/>
Grafen als maenre, Mahner. Tautologisch steht banne und manne im Weistum<lb/>
von Perl v. J. 1468, <hi rendition="#g">Grimm</hi>, Weistümer II 239.</note>.</p><lb/>
              <p>Die Verdrängung der Parteiladung durch die richterliche Ladung,<lb/>
wie wir sie bei den Franken an der Hand der Quellen verfolgen können,<lb/>
hatte sich bei anderen germanischen Stämmen bereits so früh vollzogen,<lb/>
da&#x017F;s uns ihre Rechtsquellen nur die jüngere Form der Ladung bezeugen.<lb/>
Das gilt von den Westgoten<note place="foot" n="45">Lex Wisig. II 1, 18. <hi rendition="#g">Dahn</hi>, Studien S. 249.</note> und von den Langobarden<note place="foot" n="46">Liu. 25. <hi rendition="#g">Bethmann-Hollweg</hi> IV 378. <hi rendition="#g">Pertile</hi> VI 507.</note>. Die Lex<lb/>
Burgundionum und das bairische Volksrecht kennen eine subsidiäre<lb/>
richterliche Ladung. Sie tritt bei den Burgundern ein, wenn der<lb/>
Kläger den Beklagten zweimal vergeblich vorgeladen<note place="foot" n="47">Lex Burg. 17, 4.</note>, bei den<lb/>
Baiern, nachdem die Partei ihren Gegner fruchtlos aufgefordert hatte,<lb/><note xml:id="seg2pn_86_2" prev="#seg2pn_86_1" place="foot" n="40">ne ipsas manninas alterutrum solverent, haec ideo facientes, ut ipsi bannum acci-<lb/>
perent et in tantum inde affligerentur pauperes.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">22*</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0357] § 98. Ladung und Streitgedinge. schieden je nach der Banngewalt des bannierenden Richters 41. Seit dem Aufkommen der richterlichen Ladung muſs die Solsadierung des Abwesenden allmählich auſser Gebrauch gekommen sein. An Stelle der Parteihandlung trat vermutlich mehrmaliges Ausrufen des Ausge- bliebenen durch den Weibel oder Büttel des Richters 42. Auch die durch Bannitio vorgeladene Partei hatte Anspruch auf wiederholte Tagung. Doch erhielt die Bannitio insofern eine schärfere Wirkung, als Kapitularien Ludwigs I. (in Fällen, in denen es sich nicht um Freiheit oder Grundeigeutum handelte) dem Grafen gestatteten, schon nach der zweiten vergeblichen Ladung gegen den Ausbleibenden die missio in bannum regis zu verhängen, eine provisorische Einziehung des Vermögens, die ihn zwingen sollte, im dritten Termin zu erscheinen 43. Ist die richterliche Bannitio als amtsrechtliche Vorladung von der volksrechtlichen mannitio begrifflich strenge zu scheiden, so wird doch in der Sprache der Rechtsquellen der Ausdruck mannire auch für die Ladung durch richterlichen Befehl gebraucht 44. Die Verdrängung der Parteiladung durch die richterliche Ladung, wie wir sie bei den Franken an der Hand der Quellen verfolgen können, hatte sich bei anderen germanischen Stämmen bereits so früh vollzogen, daſs uns ihre Rechtsquellen nur die jüngere Form der Ladung bezeugen. Das gilt von den Westgoten 45 und von den Langobarden 46. Die Lex Burgundionum und das bairische Volksrecht kennen eine subsidiäre richterliche Ladung. Sie tritt bei den Burgundern ein, wenn der Kläger den Beklagten zweimal vergeblich vorgeladen 47, bei den Baiern, nachdem die Partei ihren Gegner fruchtlos aufgefordert hatte, 40 41 Bannte der Graf, so betrug die Bannbuſse 15 Solidi, also ebensoviel als die Mannitionsbuſse. 42 Dies zeigt das jüngere Recht. Het Bouc van tale ende wedertale, Cou- tume von Ardenburg, bei Gilliodts von Severen, Coutumes du Quartier de Bruges, Petites villes et seigneuries I 266, c. 30: scoutete sal voort heeschen: coomt voort Heinric ende doet recht, eenen waerven, ander waerven, derde waerven. 43 Cap. legi add. v. J. 816, c. 4, I 268. Cap. legib. add. 818/9, c. 12, I 284. 44 So schon im Ed. Chilp. c. 8. Über den Sprachgebrauch der karolingischen Zeit siehe Waitz, VG IV 383 f. Sohm, Reichs- u. GV S. 116. Von den Glossen zu Lex Rib. 32, 1, LL V 277 giebt eine mannire mit bannan, eine andere mit menan wieder. In flämischen Quellen begegnet uns nachmals ein officialis des Grafen als maenre, Mahner. Tautologisch steht banne und manne im Weistum von Perl v. J. 1468, Grimm, Weistümer II 239. 45 Lex Wisig. II 1, 18. Dahn, Studien S. 249. 46 Liu. 25. Bethmann-Hollweg IV 378. Pertile VI 507. 47 Lex Burg. 17, 4. 40 ne ipsas manninas alterutrum solverent, haec ideo facientes, ut ipsi bannum acci- perent et in tantum inde affligerentur pauperes. 22*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/357
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/357>, abgerufen am 22.11.2024.