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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 94. Die Immunität.
die kirchliche Immunität, nicht auch die der Laien die Bedeutung
eines territorialen Sonderfriedens erlangte, dürfte sich das Aufkom-
men eines Sprachgebrauches erklären, der das Wort immunitates
auf die geistlichen Herrschaften einschränkte.

Von alters her schloss die Immunität eine Gerichtsbarkeit des
geistlichen oder weltlichen Immunitätsherrn in sich55. Zwar wird sie
in den meisten Immunitätsbriefen nicht direkt ausgesprochen. Allein
sie ergiebt sich mit genügender Sicherheit aus einer Anzahl ver-
einzelter Belege. Immunitätsbriefe aus merowingischer und vom An-
fang der karolingischen Zeit56 sagen von den Immunitätsleuten, dass
sie dem Immunitätsherrn Mithio schulden, das heisst, dass sie ver-
pflichtet sind, sich vor ihm zu verantworten57. Die Immunität war
ja, wie Chlothars II. Edikt sich ausdrückt, vom König gegeben pro
pace atque disciplina facienda, eine Aufgabe, die ohne Mithiopflicht
der Eingesessenen nicht erfüllt werden konnte. Von Karl dem Grossen
erhielten die Kirchen von Trier und von Metz in den Jahren 772
und 775 zwei nahezu gleichlautende Immunitätsprivilegien58, nach
welchen die Hintersassen nicht in den mallus der öffentlichen Be-
amten geladen, sondern vor den Beamten der Kirchen, auf deren
privaten Gerichtstagen, gerichtet werden sollten59. Im neunten Jahr-

munitätsbriefen regelmässig nur die curtes et villae genannt oder ähnliche Aus-
drücke verwendet werden, die auf eingeschlossene Räumlichkeiten zu deuten sind,
so erklärt sich dies daraus, dass gerade solche Örtlichkeiten für die verbotene
Ausübung von Amtshandlungen der öffentlichen Beamten in Betracht kamen. Vgl.
Th. Sickel, Beiträge V 24, Waitz, VG II 2, S. 344, Anm. 1.
55 Die Existenz der Immunitätsgerichtsbarkeit ist für die fränkische Zeit be-
stritten worden. So von Heusler, Prost, G. Meyer, Edg. Loening. Dafür
Waitz, W. Sickel, Fustel de Coulanges, Beauchet und Sohm, welcher
Deutsche Litteraturzeitung 1882, Sp. 793 seinen Widerspruch gegen das Vor-
handensein eigentlicher Immunitätsgerichte aufgab.
56 Childerich III. für Stablo v. J. 744, Pertz, Dipl. M. 97, und Pippin für
Utrecht v. J. 753, Mühlbacher Nr. 69, eine Bestätigung der damals vorgelegten
Immunitätsbriefe Chlothars und Theudeberts, welchen der massgebende Passus ent-
lehnt worden sein dürfte.
57 H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 16 und oben S. 276.
58 Mühlbacher Nr. 142. 174. Vgl. Th. Sickel, Beiträge III 51 ff.
59 Karl für Trier, Beyer, Mrh. UB I 28 (Text nach Waitz, VG IV 451,
Anm. 1; 448, Anm. 3): nec homines eorum per mallobergiis nullus (ex iudicibus
publicis) deberet admallare ut (lies aut) per aliqua ingenia praesumerent condempnare
... sed in eorum privatas audientias agentes ipsius ecclesie unicuique de
reputatis condicionibus directum facerent. Der folgende Satz: et ab aliis simulque
percipiant veritatem (agentes), bezieht sich nicht auf die privatae audientiae, in
welche Dritte als Beklagte nicht geladen werden können, sondern besagt, dass die

§ 94. Die Immunität.
die kirchliche Immunität, nicht auch die der Laien die Bedeutung
eines territorialen Sonderfriedens erlangte, dürfte sich das Aufkom-
men eines Sprachgebrauches erklären, der das Wort immunitates
auf die geistlichen Herrschaften einschränkte.

Von alters her schloſs die Immunität eine Gerichtsbarkeit des
geistlichen oder weltlichen Immunitätsherrn in sich55. Zwar wird sie
in den meisten Immunitätsbriefen nicht direkt ausgesprochen. Allein
sie ergiebt sich mit genügender Sicherheit aus einer Anzahl ver-
einzelter Belege. Immunitätsbriefe aus merowingischer und vom An-
fang der karolingischen Zeit56 sagen von den Immunitätsleuten, daſs
sie dem Immunitätsherrn Mithio schulden, das heiſst, daſs sie ver-
pflichtet sind, sich vor ihm zu verantworten57. Die Immunität war
ja, wie Chlothars II. Edikt sich ausdrückt, vom König gegeben pro
pace atque disciplina facienda, eine Aufgabe, die ohne Mithiopflicht
der Eingesessenen nicht erfüllt werden konnte. Von Karl dem Groſsen
erhielten die Kirchen von Trier und von Metz in den Jahren 772
und 775 zwei nahezu gleichlautende Immunitätsprivilegien58, nach
welchen die Hintersassen nicht in den mallus der öffentlichen Be-
amten geladen, sondern vor den Beamten der Kirchen, auf deren
privaten Gerichtstagen, gerichtet werden sollten59. Im neunten Jahr-

munitätsbriefen regelmäſsig nur die curtes et villae genannt oder ähnliche Aus-
drücke verwendet werden, die auf eingeschlossene Räumlichkeiten zu deuten sind,
so erklärt sich dies daraus, daſs gerade solche Örtlichkeiten für die verbotene
Ausübung von Amtshandlungen der öffentlichen Beamten in Betracht kamen. Vgl.
Th. Sickel, Beiträge V 24, Waitz, VG II 2, S. 344, Anm. 1.
55 Die Existenz der Immunitätsgerichtsbarkeit ist für die fränkische Zeit be-
stritten worden. So von Heusler, Prost, G. Meyer, Edg. Loening. Dafür
Waitz, W. Sickel, Fustel de Coulanges, Beauchet und Sohm, welcher
Deutsche Litteraturzeitung 1882, Sp. 793 seinen Widerspruch gegen das Vor-
handensein eigentlicher Immunitätsgerichte aufgab.
56 Childerich III. für Stablo v. J. 744, Pertz, Dipl. M. 97, und Pippin für
Utrecht v. J. 753, Mühlbacher Nr. 69, eine Bestätigung der damals vorgelegten
Immunitätsbriefe Chlothars und Theudeberts, welchen der maſsgebende Passus ent-
lehnt worden sein dürfte.
57 H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 16 und oben S. 276.
58 Mühlbacher Nr. 142. 174. Vgl. Th. Sickel, Beiträge III 51 ff.
59 Karl für Trier, Beyer, Mrh. UB I 28 (Text nach Waitz, VG IV 451,
Anm. 1; 448, Anm. 3): nec homines eorum per mallobergiis nullus (ex iudicibus
publicis) deberet admallare ut (lies aut) per aliqua ingenia praesumerent condempnare
… sed in eorum privatas audientias agentes ipsius ecclesie unicuique de
reputatis condicionibus directum facerent. Der folgende Satz: et ab aliis simulque
percipiant veritatem (agentes), bezieht sich nicht auf die privatae audientiae, in
welche Dritte als Beklagte nicht geladen werden können, sondern besagt, daſs die
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[298/0316] § 94. Die Immunität. die kirchliche Immunität, nicht auch die der Laien die Bedeutung eines territorialen Sonderfriedens erlangte, dürfte sich das Aufkom- men eines Sprachgebrauches erklären, der das Wort immunitates auf die geistlichen Herrschaften einschränkte. Von alters her schloſs die Immunität eine Gerichtsbarkeit des geistlichen oder weltlichen Immunitätsherrn in sich 55. Zwar wird sie in den meisten Immunitätsbriefen nicht direkt ausgesprochen. Allein sie ergiebt sich mit genügender Sicherheit aus einer Anzahl ver- einzelter Belege. Immunitätsbriefe aus merowingischer und vom An- fang der karolingischen Zeit 56 sagen von den Immunitätsleuten, daſs sie dem Immunitätsherrn Mithio schulden, das heiſst, daſs sie ver- pflichtet sind, sich vor ihm zu verantworten 57. Die Immunität war ja, wie Chlothars II. Edikt sich ausdrückt, vom König gegeben pro pace atque disciplina facienda, eine Aufgabe, die ohne Mithiopflicht der Eingesessenen nicht erfüllt werden konnte. Von Karl dem Groſsen erhielten die Kirchen von Trier und von Metz in den Jahren 772 und 775 zwei nahezu gleichlautende Immunitätsprivilegien 58, nach welchen die Hintersassen nicht in den mallus der öffentlichen Be- amten geladen, sondern vor den Beamten der Kirchen, auf deren privaten Gerichtstagen, gerichtet werden sollten 59. Im neunten Jahr- 54 55 Die Existenz der Immunitätsgerichtsbarkeit ist für die fränkische Zeit be- stritten worden. So von Heusler, Prost, G. Meyer, Edg. Loening. Dafür Waitz, W. Sickel, Fustel de Coulanges, Beauchet und Sohm, welcher Deutsche Litteraturzeitung 1882, Sp. 793 seinen Widerspruch gegen das Vor- handensein eigentlicher Immunitätsgerichte aufgab. 56 Childerich III. für Stablo v. J. 744, Pertz, Dipl. M. 97, und Pippin für Utrecht v. J. 753, Mühlbacher Nr. 69, eine Bestätigung der damals vorgelegten Immunitätsbriefe Chlothars und Theudeberts, welchen der maſsgebende Passus ent- lehnt worden sein dürfte. 57 H. Brunner, Mithio und Sperantes S. 16 und oben S. 276. 58 Mühlbacher Nr. 142. 174. Vgl. Th. Sickel, Beiträge III 51 ff. 59 Karl für Trier, Beyer, Mrh. UB I 28 (Text nach Waitz, VG IV 451, Anm. 1; 448, Anm. 3): nec homines eorum per mallobergiis nullus (ex iudicibus publicis) deberet admallare ut (lies aut) per aliqua ingenia praesumerent condempnare … sed in eorum privatas audientias agentes ipsius ecclesie unicuique de reputatis condicionibus directum facerent. Der folgende Satz: et ab aliis simulque percipiant veritatem (agentes), bezieht sich nicht auf die privatae audientiae, in welche Dritte als Beklagte nicht geladen werden können, sondern besagt, daſs die 54 munitätsbriefen regelmäſsig nur die curtes et villae genannt oder ähnliche Aus- drücke verwendet werden, die auf eingeschlossene Räumlichkeiten zu deuten sind, so erklärt sich dies daraus, daſs gerade solche Örtlichkeiten für die verbotene Ausübung von Amtshandlungen der öffentlichen Beamten in Betracht kamen. Vgl. Th. Sickel, Beiträge V 24, Waitz, VG II 2, S. 344, Anm. 1.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/316>, abgerufen am 22.11.2024.