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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 94. Die Immunität.
hunderte mehren sich die Beispiele von Urkunden, welche die der
gefreiten Kirche zustehende Gerichtsbarkeit ausdrücklich erwähnen60.
Auf den Fiskalgütern, die ja das Vorbild der durch Verleihung be-
gründeten Immunität abgeben, sind es die Domänenbeamten, welche
die Gerichtsbarkeit ausüben und in ihren Amtsbezirken Gerichtstage
abhalten61. Unter den Gesichtspunkt der Immunität fällt auch die
Jurisdiktion, welche die in Septimanien und in der spanischen
Mark angesiedelten Spanier auf Grund königlichen Privilegs über ihre
Hintersassen handhabten62.

Sicherlich ist es kein Zufall, dass die Immunitätsbriefe, die
eine Gerichtsbarkeit der Kirche oder ihres Vogtes erwähnen, nicht
den gallo-römischen Gegenden, sondern den Gebieten mit germani-
scher Bevölkerung oder Italien angehören. Die immerhin auffallende
Erscheinung, dass die älteren Immunitätsbriefe von einer eigentlichen
Gerichtsbarkeit des Immunitätsherrn schweigen und nur die negative
Seite der Immunität oder höchstens die Übertragung der Gefälle her-
vorkehren, dürfte sich aus den thatsächlichen Verhältnissen erklären,
in welchen sich die grösseren gallischen Kirchen vor den Immunitäts-

Immunitätsbeamten als Vertreter der Hintersassen von Dritten (im öffentlichen Ge-
richt) ihr Recht erhalten sollen (über veritatem recipere siehe H. Brunner,
Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 23, Anm. 2). Dem entspricht es, dass der Text
fortfährt: ut ubi fidem (nicht fredum, wie Waitz lesen will) ipsi agentes aut reli-
qui homines memoratae ecclesiae accipiebant, freti ad ipsa loca sanctorum ...
deberent proficere. Von den Bussen, welche den Immunitätsbeamten oder den
kirchlichen Hintersassen im öffentlichen Gerichte gelobt werden (mittelst fides facta),
soll der fredus der Kirche zufallen, eine Bestimmung, durch die beide Privilegien
über den normalen Inhalt der Immunität hinausgehen, nach welchem die Kirche
nur die von ihren Leuten, nicht die von Dritten verwirkten freda erhält. Doch
findet sich dieselbe Ausnahme in Lothar für Prüm v. J. 855, Mühlbacher,
Nr. 1137, Beyer, Mrh. UB I 94.
60 Siehe die Urkunden, welche W. Sickel, Mitth. EB II 212, Waitz, VG IV
452, Anm. 2, anführt, und die von Wickede, Vogtei S. 43, Anm. 2, ausgezogenen
Stellen. Mühlbacher Nr. 1088. 1363. 1382. 1444. 1508. 1512. 1529. 1777. 1941.
Vgl. 1751.
61 Cap. de villis c. 56, I 88.
62 Const. de Hisp. v. J. 815, c. 3, Cap. I 262. In dem Privileg für Johannes,
Vaissete II, Nr. 34, heisst es, dass er und seine Nachkommen über ihre Leute richten
sollen et quidquid per legem iudicaverunt, stabilis permaneat. Verwandt mit der
Immunitätsgerichtsbarkeit ist die, einzelnen Bevölkerungsklassen eingeräumte ge-
nossenschaftliche Jurisdiktion. So hatten die erwähnten Spanier das Recht, ihre
causae minores unter sich zu erledigen. Const. cit. c. 2, Cap. I 262. Vaissete
Nr. 119, c. 3. So gewährte Ludwig I. den fiskalischen Förstern in den Vogesen
das Recht, von ihren freigewählten Forstmeistern gerichtet zu werden, ausser in
Kriminalsachen. Form. imper. Nr. 43.

§ 94. Die Immunität.
hunderte mehren sich die Beispiele von Urkunden, welche die der
gefreiten Kirche zustehende Gerichtsbarkeit ausdrücklich erwähnen60.
Auf den Fiskalgütern, die ja das Vorbild der durch Verleihung be-
gründeten Immunität abgeben, sind es die Domänenbeamten, welche
die Gerichtsbarkeit ausüben und in ihren Amtsbezirken Gerichtstage
abhalten61. Unter den Gesichtspunkt der Immunität fällt auch die
Jurisdiktion, welche die in Septimanien und in der spanischen
Mark angesiedelten Spanier auf Grund königlichen Privilegs über ihre
Hintersassen handhabten62.

Sicherlich ist es kein Zufall, daſs die Immunitätsbriefe, die
eine Gerichtsbarkeit der Kirche oder ihres Vogtes erwähnen, nicht
den gallo-römischen Gegenden, sondern den Gebieten mit germani-
scher Bevölkerung oder Italien angehören. Die immerhin auffallende
Erscheinung, daſs die älteren Immunitätsbriefe von einer eigentlichen
Gerichtsbarkeit des Immunitätsherrn schweigen und nur die negative
Seite der Immunität oder höchstens die Übertragung der Gefälle her-
vorkehren, dürfte sich aus den thatsächlichen Verhältnissen erklären,
in welchen sich die gröſseren gallischen Kirchen vor den Immunitäts-

Immunitätsbeamten als Vertreter der Hintersassen von Dritten (im öffentlichen Ge-
richt) ihr Recht erhalten sollen (über veritatem recipere siehe H. Brunner,
Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 23, Anm. 2). Dem entspricht es, daſs der Text
fortfährt: ut ubi fidem (nicht fredum, wie Waitz lesen will) ipsi agentes aut reli-
qui homines memoratae ecclesiae accipiebant, freti ad ipsa loca sanctorum …
deberent proficere. Von den Buſsen, welche den Immunitätsbeamten oder den
kirchlichen Hintersassen im öffentlichen Gerichte gelobt werden (mittelst fides facta),
soll der fredus der Kirche zufallen, eine Bestimmung, durch die beide Privilegien
über den normalen Inhalt der Immunität hinausgehen, nach welchem die Kirche
nur die von ihren Leuten, nicht die von Dritten verwirkten freda erhält. Doch
findet sich dieselbe Ausnahme in Lothar für Prüm v. J. 855, Mühlbacher,
Nr. 1137, Beyer, Mrh. UB I 94.
60 Siehe die Urkunden, welche W. Sickel, Mitth. EB II 212, Waitz, VG IV
452, Anm. 2, anführt, und die von Wickede, Vogtei S. 43, Anm. 2, ausgezogenen
Stellen. Mühlbacher Nr. 1088. 1363. 1382. 1444. 1508. 1512. 1529. 1777. 1941.
Vgl. 1751.
61 Cap. de villis c. 56, I 88.
62 Const. de Hisp. v. J. 815, c. 3, Cap. I 262. In dem Privileg für Johannes,
Vaissete II, Nr. 34, heiſst es, daſs er und seine Nachkommen über ihre Leute richten
sollen et quidquid per legem iudicaverunt, stabilis permaneat. Verwandt mit der
Immunitätsgerichtsbarkeit ist die, einzelnen Bevölkerungsklassen eingeräumte ge-
nossenschaftliche Jurisdiktion. So hatten die erwähnten Spanier das Recht, ihre
causae minores unter sich zu erledigen. Const. cit. c. 2, Cap. I 262. Vaissete
Nr. 119, c. 3. So gewährte Ludwig I. den fiskalischen Förstern in den Vogesen
das Recht, von ihren freigewählten Forstmeistern gerichtet zu werden, auſser in
Kriminalsachen. Form. imper. Nr. 43.
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[299/0317] § 94. Die Immunität. hunderte mehren sich die Beispiele von Urkunden, welche die der gefreiten Kirche zustehende Gerichtsbarkeit ausdrücklich erwähnen 60. Auf den Fiskalgütern, die ja das Vorbild der durch Verleihung be- gründeten Immunität abgeben, sind es die Domänenbeamten, welche die Gerichtsbarkeit ausüben und in ihren Amtsbezirken Gerichtstage abhalten 61. Unter den Gesichtspunkt der Immunität fällt auch die Jurisdiktion, welche die in Septimanien und in der spanischen Mark angesiedelten Spanier auf Grund königlichen Privilegs über ihre Hintersassen handhabten 62. Sicherlich ist es kein Zufall, daſs die Immunitätsbriefe, die eine Gerichtsbarkeit der Kirche oder ihres Vogtes erwähnen, nicht den gallo-römischen Gegenden, sondern den Gebieten mit germani- scher Bevölkerung oder Italien angehören. Die immerhin auffallende Erscheinung, daſs die älteren Immunitätsbriefe von einer eigentlichen Gerichtsbarkeit des Immunitätsherrn schweigen und nur die negative Seite der Immunität oder höchstens die Übertragung der Gefälle her- vorkehren, dürfte sich aus den thatsächlichen Verhältnissen erklären, in welchen sich die gröſseren gallischen Kirchen vor den Immunitäts- 59 60 Siehe die Urkunden, welche W. Sickel, Mitth. EB II 212, Waitz, VG IV 452, Anm. 2, anführt, und die von Wickede, Vogtei S. 43, Anm. 2, ausgezogenen Stellen. Mühlbacher Nr. 1088. 1363. 1382. 1444. 1508. 1512. 1529. 1777. 1941. Vgl. 1751. 61 Cap. de villis c. 56, I 88. 62 Const. de Hisp. v. J. 815, c. 3, Cap. I 262. In dem Privileg für Johannes, Vaissete II, Nr. 34, heiſst es, daſs er und seine Nachkommen über ihre Leute richten sollen et quidquid per legem iudicaverunt, stabilis permaneat. Verwandt mit der Immunitätsgerichtsbarkeit ist die, einzelnen Bevölkerungsklassen eingeräumte ge- nossenschaftliche Jurisdiktion. So hatten die erwähnten Spanier das Recht, ihre causae minores unter sich zu erledigen. Const. cit. c. 2, Cap. I 262. Vaissete Nr. 119, c. 3. So gewährte Ludwig I. den fiskalischen Förstern in den Vogesen das Recht, von ihren freigewählten Forstmeistern gerichtet zu werden, auſser in Kriminalsachen. Form. imper. Nr. 43. 59 Immunitätsbeamten als Vertreter der Hintersassen von Dritten (im öffentlichen Ge- richt) ihr Recht erhalten sollen (über veritatem recipere siehe H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 23, Anm. 2). Dem entspricht es, daſs der Text fortfährt: ut ubi fidem (nicht fredum, wie Waitz lesen will) ipsi agentes aut reli- qui homines memoratae ecclesiae accipiebant, freti ad ipsa loca sanctorum … deberent proficere. Von den Buſsen, welche den Immunitätsbeamten oder den kirchlichen Hintersassen im öffentlichen Gerichte gelobt werden (mittelst fides facta), soll der fredus der Kirche zufallen, eine Bestimmung, durch die beide Privilegien über den normalen Inhalt der Immunität hinausgehen, nach welchem die Kirche nur die von ihren Leuten, nicht die von Dritten verwirkten freda erhält. Doch findet sich dieselbe Ausnahme in Lothar für Prüm v. J. 855, Mühlbacher, Nr. 1137, Beyer, Mrh. UB I 94.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/317>, abgerufen am 25.11.2024.