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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 94. Die Immunität.
konnte die 'repraesentatio' des Angeschuldigten verlangen 12. Anderer-
seits hatte der Domänenbeamte das Recht, der Verhandlung bei-
zuwohnen und den Angeschuldigten zu verteidigen 13. Da aber die
Domänenbeamten ihre Stellung missbrauchten, um Verbrecher dem
Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, bestimmte Honorius i. J. 398,
dass der Statthalter bei Verfolgung von Verbrechern die Vermittlung
des Domänenbeamten nicht abzuwarten habe, sondern von Amtswegen
zugreifen dürfe 14. An der Präsentationspflicht der Gutsbeamten
wurde dadurch nichts geändert, sondern nur dem Statthalter die Voll-
macht gegeben, ihren etwaigen Widerstand zu überwinden. Die Juris-
diktion des Statthalters scheint sich nur auf die, seiner Kompetenz
vorbehaltenen schweren oder eigentlichen Kriminalfälle bezogen zu
haben 15. Leichtere Unthaten wurden wohl ebenso wie Civilsachen,
die zwischen den Domänenbauern anhängig waren, von den Organen
der Domänenverwaltung erledigt 16, während Klagen Dritter unter An-
wesenheit eines Vertreters der Domänen vor dem öffentlichen Richter
zur Verhandlung kamen 17.

Als Freiheit von öffentlichen Abgaben und Leistungen erscheint
auch im fränkischen Reiche die Immunität oder, wie der Ausdruck
in den älteren Denkmälern lautet, die emunitas. Während aber im
römischen Reiche die gerichtliche Sonderstellung der Hintersassen
nicht in die Immunität als solche eingeschlossen ist, wird sie im frän-
kischen Reiche soweit hineingezogen, als die Gerichtsbarkeit einen
finanziellen Charakter besitzt, also die von den Hintersassen ver-
wirkten Friedensgelder und Bannbussen in Frage kommen.

Allgemein stand die Immunität dem Königsgute zu. Der König

Gesetz rührt nicht von Konstantin, sondern von Konstantius her und kann, weil
dem Jahre 358 angehörig, nicht, wie v. Sybel a. O. S. 489 annimmt, durch Cod.
Theod. II 1, 1 v. J. 349 aufgehoben worden sein.
12 Cod. Theod. X 4, 3.
13 Cod. Iust. III 26, 8 v. J. 358. Cod. Theod. I 11, 2 v. J. 398 ergiebt, dass
der ausgelieferte Verbrecher vom actor dominicus verteidigt werden konnte. Cod.
Theod. X 4, 3 verlangt in Civilsachen die Gegenwart des defensor domus nostrae.
14 Cod. Theod. II 1, 11 und I 11, 2. Vgl. Interpr. zu Cod. Theod. II 1, 11.
15 (scelera, quae) pro sua atrocitate ulcisci potestas nisi ferro accincta non
posset, sagt Cod. Theod. I 11, 2.
16 Cod. Iust. III 26, 7 v. J. 349.
17 Die orientalische Konstitution, Cod. Iust. III 26, 11 v. J. 442, wies Kri-
minal- und Civilsachen von Insassen derjenigen Domänen, die unter dem prae-
positus sacri cubiculi standen, diesem und dem comes domorum zu. Es muss be-
stritten werden, dass sie für die Verhältnisse Galliens irgendwie in Betracht
komme.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 19

§ 94. Die Immunität.
konnte die ‘repraesentatio’ des Angeschuldigten verlangen 12. Anderer-
seits hatte der Domänenbeamte das Recht, der Verhandlung bei-
zuwohnen und den Angeschuldigten zu verteidigen 13. Da aber die
Domänenbeamten ihre Stellung miſsbrauchten, um Verbrecher dem
Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, bestimmte Honorius i. J. 398,
daſs der Statthalter bei Verfolgung von Verbrechern die Vermittlung
des Domänenbeamten nicht abzuwarten habe, sondern von Amtswegen
zugreifen dürfe 14. An der Präsentationspflicht der Gutsbeamten
wurde dadurch nichts geändert, sondern nur dem Statthalter die Voll-
macht gegeben, ihren etwaigen Widerstand zu überwinden. Die Juris-
diktion des Statthalters scheint sich nur auf die, seiner Kompetenz
vorbehaltenen schweren oder eigentlichen Kriminalfälle bezogen zu
haben 15. Leichtere Unthaten wurden wohl ebenso wie Civilsachen,
die zwischen den Domänenbauern anhängig waren, von den Organen
der Domänenverwaltung erledigt 16, während Klagen Dritter unter An-
wesenheit eines Vertreters der Domänen vor dem öffentlichen Richter
zur Verhandlung kamen 17.

Als Freiheit von öffentlichen Abgaben und Leistungen erscheint
auch im fränkischen Reiche die Immunität oder, wie der Ausdruck
in den älteren Denkmälern lautet, die emunitas. Während aber im
römischen Reiche die gerichtliche Sonderstellung der Hintersassen
nicht in die Immunität als solche eingeschlossen ist, wird sie im frän-
kischen Reiche soweit hineingezogen, als die Gerichtsbarkeit einen
finanziellen Charakter besitzt, also die von den Hintersassen ver-
wirkten Friedensgelder und Bannbuſsen in Frage kommen.

Allgemein stand die Immunität dem Königsgute zu. Der König

Gesetz rührt nicht von Konstantin, sondern von Konstantius her und kann, weil
dem Jahre 358 angehörig, nicht, wie v. Sybel a. O. S. 489 annimmt, durch Cod.
Theod. II 1, 1 v. J. 349 aufgehoben worden sein.
12 Cod. Theod. X 4, 3.
13 Cod. Iust. III 26, 8 v. J. 358. Cod. Theod. I 11, 2 v. J. 398 ergiebt, daſs
der ausgelieferte Verbrecher vom actor dominicus verteidigt werden konnte. Cod.
Theod. X 4, 3 verlangt in Civilsachen die Gegenwart des defensor domus nostrae.
14 Cod. Theod. II 1, 11 und I 11, 2. Vgl. Interpr. zu Cod. Theod. II 1, 11.
15 (scelera, quae) pro sua atrocitate ulcisci potestas nisi ferro accincta non
posset, sagt Cod. Theod. I 11, 2.
16 Cod. Iust. III 26, 7 v. J. 349.
17 Die orientalische Konstitution, Cod. Iust. III 26, 11 v. J. 442, wies Kri-
minal- und Civilsachen von Insassen derjenigen Domänen, die unter dem prae-
positus sacri cubiculi standen, diesem und dem comes domorum zu. Es muſs be-
stritten werden, daſs sie für die Verhältnisse Galliens irgendwie in Betracht
komme.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 19
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[289/0307] § 94. Die Immunität. konnte die ‘repraesentatio’ des Angeschuldigten verlangen 12. Anderer- seits hatte der Domänenbeamte das Recht, der Verhandlung bei- zuwohnen und den Angeschuldigten zu verteidigen 13. Da aber die Domänenbeamten ihre Stellung miſsbrauchten, um Verbrecher dem Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, bestimmte Honorius i. J. 398, daſs der Statthalter bei Verfolgung von Verbrechern die Vermittlung des Domänenbeamten nicht abzuwarten habe, sondern von Amtswegen zugreifen dürfe 14. An der Präsentationspflicht der Gutsbeamten wurde dadurch nichts geändert, sondern nur dem Statthalter die Voll- macht gegeben, ihren etwaigen Widerstand zu überwinden. Die Juris- diktion des Statthalters scheint sich nur auf die, seiner Kompetenz vorbehaltenen schweren oder eigentlichen Kriminalfälle bezogen zu haben 15. Leichtere Unthaten wurden wohl ebenso wie Civilsachen, die zwischen den Domänenbauern anhängig waren, von den Organen der Domänenverwaltung erledigt 16, während Klagen Dritter unter An- wesenheit eines Vertreters der Domänen vor dem öffentlichen Richter zur Verhandlung kamen 17. Als Freiheit von öffentlichen Abgaben und Leistungen erscheint auch im fränkischen Reiche die Immunität oder, wie der Ausdruck in den älteren Denkmälern lautet, die emunitas. Während aber im römischen Reiche die gerichtliche Sonderstellung der Hintersassen nicht in die Immunität als solche eingeschlossen ist, wird sie im frän- kischen Reiche soweit hineingezogen, als die Gerichtsbarkeit einen finanziellen Charakter besitzt, also die von den Hintersassen ver- wirkten Friedensgelder und Bannbuſsen in Frage kommen. Allgemein stand die Immunität dem Königsgute zu. Der König 11 12 Cod. Theod. X 4, 3. 13 Cod. Iust. III 26, 8 v. J. 358. Cod. Theod. I 11, 2 v. J. 398 ergiebt, daſs der ausgelieferte Verbrecher vom actor dominicus verteidigt werden konnte. Cod. Theod. X 4, 3 verlangt in Civilsachen die Gegenwart des defensor domus nostrae. 14 Cod. Theod. II 1, 11 und I 11, 2. Vgl. Interpr. zu Cod. Theod. II 1, 11. 15 (scelera, quae) pro sua atrocitate ulcisci potestas nisi ferro accincta non posset, sagt Cod. Theod. I 11, 2. 16 Cod. Iust. III 26, 7 v. J. 349. 17 Die orientalische Konstitution, Cod. Iust. III 26, 11 v. J. 442, wies Kri- minal- und Civilsachen von Insassen derjenigen Domänen, die unter dem prae- positus sacri cubiculi standen, diesem und dem comes domorum zu. Es muſs be- stritten werden, daſs sie für die Verhältnisse Galliens irgendwie in Betracht komme. 11 Gesetz rührt nicht von Konstantin, sondern von Konstantius her und kann, weil dem Jahre 358 angehörig, nicht, wie v. Sybel a. O. S. 489 annimmt, durch Cod. Theod. II 1, 1 v. J. 349 aufgehoben worden sein. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 19

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/307>, abgerufen am 23.11.2024.