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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
fünfzehnten Jahrhundert die den nordischen handgengnir menn ent-
sprechende Bezeichnung: hantgange mannen, überliefert77).

Im Kreise der fränkisch-italischen Quellen wird die Wendung
manibus se tradere gelegentlich für die Ergebung in die Hörigkeit78)
und für die Vermönchung79) gebraucht. Manus dare sagen die Ge-
schichtschreiber, um die Unterwerfung unter den Sieger zu bezeich-
nen80). Manibus oder in manu, in manus se commendare bedeutet
den Eintritt in Schutzverhältnisse und Dienstverhältnisse81).

Commendare hat die spätrömische Terminologie für die Ergebung
in das patrocinium82). Doch fehlt dem Akte die Handreichung; viel-
mehr scheint es Sitte gewesen zu sein, dass der Klient eine Urkunde
ausstellte83). Commendare verwendet das älteste westgotische Rechts-
denkmal für den Eintritt in das Dienstverhältnis des bucellarius84),
der Edictus Rotharis für die Hingabe in das Mundium85), eine Titel-
rubrik der Lex Ribuaria für den Akt, durch welchen ein freier Mann
sich in das obsequium eines anderen begiebt86). Commendare schlecht-

Auf diese wie auf die in Anm. 74 und 75 genannten Stellen war K. Lehmann
vor Jahren so freundlich mich aufmerksam zu machen. Siehe unten Anm. 88.
77) Schiller und Lübben, Mnd. WB s. v. hantgange, die das Wort nicht er-
klären können und folgende Belegstelle von 1451 aus Styffe, Bidrag till Skandi-
naviens Historia ur utländiska arkiver, Stockholm 1859 ff. III, Nr. 21 mitteilen:
item bidden wy ju dat gy seggen den vrigebornen mannen, hantgangen mannen
unde hofflude to, de in den lenen wohnen ...
78) Chartes de Cluny I, Nr. 30, v. J. 887.
79) Registrum Farfense Nr. 165, ein Placitum v. J. 801, wo auf eine ältere
Urkunde Bezug genommen wird: et iterum ipse P. iunctis manibus Mauroaldi ab-
batis (manibus oder partibus) .. cum omnibus rebus suis se contradidit. S. Emme-
ramer Tradition mitgeteilt von Bretholz in Mitth. des Instit. f. österr. Gf. XII 38.
G. tempore monachice conversationis quando se commendavit mancipari ..
80) Vita Hludowici c. 30, MG SS II 623: Brittannia victa succubuit et manus
dedit. A. O. c. 59, S. 643: et manus dederunt et fidelitatem sacramento obstrinxe-
runt. A. O. c. 33: quidam Carantanorum .. B. nostro duci manus dederunt, wo
Einhard Ann. z. J. 820 sagt: se dediderunt.
81) Siehe u. a. oben S. 51 und S. 270, Anm. 71.
82) Greg. Tur. Hist. Franc. IV 46. Über die römischen Schutzverhältnisse
handelt Flach, Origines de l'ancienne France, ein Buch, welches m. E. von der
deutschen Kritik bedeutend überschätzt worden ist; denn es enthält mehr Dekla-
mation als greifbare Resultate. Die Untersuchung von Fustel de Coulanges,
Origines du systeme feodal S. 205 ff., konnte, da mir das Werk erst während der
Korrekturen zu Gesichte kam, leider nicht mehr genügend verwertet werden.
83) Arg. Form. Turon. 43, Carta patrocinalis in Form. Arvern. 5.
84) Leges Eurici, fragm. 310.
85) Rothari 195--197.
86) Der Index des Codex Gothanus (A. 7) hat für Lex Rib. 31 (37) die Inhalts-

§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.
fünfzehnten Jahrhundert die den nordischen handgengnir menn ent-
sprechende Bezeichnung: hantgange mannen, überliefert77).

Im Kreise der fränkisch-italischen Quellen wird die Wendung
manibus se tradere gelegentlich für die Ergebung in die Hörigkeit78)
und für die Vermönchung79) gebraucht. Manus dare sagen die Ge-
schichtschreiber, um die Unterwerfung unter den Sieger zu bezeich-
nen80). Manibus oder in manu, in manus se commendare bedeutet
den Eintritt in Schutzverhältnisse und Dienstverhältnisse81).

Commendare hat die spätrömische Terminologie für die Ergebung
in das patrocinium82). Doch fehlt dem Akte die Handreichung; viel-
mehr scheint es Sitte gewesen zu sein, daſs der Klient eine Urkunde
ausstellte83). Commendare verwendet das älteste westgotische Rechts-
denkmal für den Eintritt in das Dienstverhältnis des bucellarius84),
der Edictus Rotharis für die Hingabe in das Mundium85), eine Titel-
rubrik der Lex Ribuaria für den Akt, durch welchen ein freier Mann
sich in das obsequium eines anderen begiebt86). Commendare schlecht-

Auf diese wie auf die in Anm. 74 und 75 genannten Stellen war K. Lehmann
vor Jahren so freundlich mich aufmerksam zu machen. Siehe unten Anm. 88.
77) Schiller und Lübben, Mnd. WB s. v. hantgange, die das Wort nicht er-
klären können und folgende Belegstelle von 1451 aus Styffe, Bidrag till Skandi-
naviens Historia ur utländiska arkiver, Stockholm 1859 ff. III, Nr. 21 mitteilen:
item bidden wy ju dat gy seggen den vrigebornen mannen, hantgangen mannen
unde hofflude to, de in den lenen wohnen …
78) Chartes de Cluny I, Nr. 30, v. J. 887.
79) Registrum Farfense Nr. 165, ein Placitum v. J. 801, wo auf eine ältere
Urkunde Bezug genommen wird: et iterum ipse P. iunctis manibus Mauroaldi ab-
batis (manibus oder partibus) .. cum omnibus rebus suis se contradidit. S. Emme-
ramer Tradition mitgeteilt von Bretholz in Mitth. des Instit. f. österr. Gf. XII 38.
G. tempore monachice conversationis quando se commendavit mancipari ..
80) Vita Hludowici c. 30, MG SS II 623: Brittannia victa succubuit et manus
dedit. A. O. c. 59, S. 643: et manus dederunt et fidelitatem sacramento obstrinxe-
runt. A. O. c. 33: quidam Carantanorum .. B. nostro duci manus dederunt, wo
Einhard Ann. z. J. 820 sagt: se dediderunt.
81) Siehe u. a. oben S. 51 und S. 270, Anm. 71.
82) Greg. Tur. Hist. Franc. IV 46. Über die römischen Schutzverhältnisse
handelt Flach, Origines de l’ancienne France, ein Buch, welches m. E. von der
deutschen Kritik bedeutend überschätzt worden ist; denn es enthält mehr Dekla-
mation als greifbare Resultate. Die Untersuchung von Fustel de Coulanges,
Origines du système féodal S. 205 ff., konnte, da mir das Werk erst während der
Korrekturen zu Gesichte kam, leider nicht mehr genügend verwertet werden.
83) Arg. Form. Turon. 43, Carta patrocinalis in Form. Arvern. 5.
84) Leges Eurici, fragm. 310.
85) Rothari 195—197.
86) Der Index des Codex Gothanus (A. 7) hat für Lex Rib. 31 (37) die Inhalts-
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[271/0289] § 92. Gefolgschaft und Vassallität. fünfzehnten Jahrhundert die den nordischen handgengnir menn ent- sprechende Bezeichnung: hantgange mannen, überliefert 77). Im Kreise der fränkisch-italischen Quellen wird die Wendung manibus se tradere gelegentlich für die Ergebung in die Hörigkeit 78) und für die Vermönchung 79) gebraucht. Manus dare sagen die Ge- schichtschreiber, um die Unterwerfung unter den Sieger zu bezeich- nen 80). Manibus oder in manu, in manus se commendare bedeutet den Eintritt in Schutzverhältnisse und Dienstverhältnisse 81). Commendare hat die spätrömische Terminologie für die Ergebung in das patrocinium 82). Doch fehlt dem Akte die Handreichung; viel- mehr scheint es Sitte gewesen zu sein, daſs der Klient eine Urkunde ausstellte 83). Commendare verwendet das älteste westgotische Rechts- denkmal für den Eintritt in das Dienstverhältnis des bucellarius 84), der Edictus Rotharis für die Hingabe in das Mundium 85), eine Titel- rubrik der Lex Ribuaria für den Akt, durch welchen ein freier Mann sich in das obsequium eines anderen begiebt 86). Commendare schlecht- 76) 77) Schiller und Lübben, Mnd. WB s. v. hantgange, die das Wort nicht er- klären können und folgende Belegstelle von 1451 aus Styffe, Bidrag till Skandi- naviens Historia ur utländiska arkiver, Stockholm 1859 ff. III, Nr. 21 mitteilen: item bidden wy ju dat gy seggen den vrigebornen mannen, hantgangen mannen unde hofflude to, de in den lenen wohnen … 78) Chartes de Cluny I, Nr. 30, v. J. 887. 79) Registrum Farfense Nr. 165, ein Placitum v. J. 801, wo auf eine ältere Urkunde Bezug genommen wird: et iterum ipse P. iunctis manibus Mauroaldi ab- batis (manibus oder partibus) .. cum omnibus rebus suis se contradidit. S. Emme- ramer Tradition mitgeteilt von Bretholz in Mitth. des Instit. f. österr. Gf. XII 38. G. tempore monachice conversationis quando se commendavit mancipari .. 80) Vita Hludowici c. 30, MG SS II 623: Brittannia victa succubuit et manus dedit. A. O. c. 59, S. 643: et manus dederunt et fidelitatem sacramento obstrinxe- runt. A. O. c. 33: quidam Carantanorum .. B. nostro duci manus dederunt, wo Einhard Ann. z. J. 820 sagt: se dediderunt. 81) Siehe u. a. oben S. 51 und S. 270, Anm. 71. 82) Greg. Tur. Hist. Franc. IV 46. Über die römischen Schutzverhältnisse handelt Flach, Origines de l’ancienne France, ein Buch, welches m. E. von der deutschen Kritik bedeutend überschätzt worden ist; denn es enthält mehr Dekla- mation als greifbare Resultate. Die Untersuchung von Fustel de Coulanges, Origines du système féodal S. 205 ff., konnte, da mir das Werk erst während der Korrekturen zu Gesichte kam, leider nicht mehr genügend verwertet werden. 83) Arg. Form. Turon. 43, Carta patrocinalis in Form. Arvern. 5. 84) Leges Eurici, fragm. 310. 85) Rothari 195—197. 86) Der Index des Codex Gothanus (A. 7) hat für Lex Rib. 31 (37) die Inhalts- 76) Auf diese wie auf die in Anm. 74 und 75 genannten Stellen war K. Lehmann vor Jahren so freundlich mich aufmerksam zu machen. Siehe unten Anm. 88.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/289>, abgerufen am 11.05.2024.