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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.

Die Begründung des Vassallenverhältnisses zeigt wenigstens in
einzelnen Punkten nachweisbare Verwandtschaft mit der Begründung
des Gefolgsverhältnisses. Freie Personen treten in die Vassallität ein
durch Abschluss eines Vertrages, welchem ein Treueid nachfolgt. Der
Vertrag wird von beiden Seiten rechtsförmlich geschlossen. Die Form
besteht auf Seite des Vassallen in der Kommendation, auf Seite des
Herrn in der Darreichung einer Gabe. Die Kommendation71) ist Hand-
reichung und erfolgt in der Weise, dass der Vassall seine gefalteten
Hände in die Hände des Herrn legt, manibus, manibus iunctis se
tradit, in manus (domini) se commendat, manus suas mittit inter ma-
nus domini.

Die Handreichung, wie sie die vassallitische Kommendation kenn-
zeichnet, ist ein deutschrechtlicher Formalakt, der die Unterwerfung,
die Ergebung in die Gewalt eines anderen zum Ausdruck bringt. Sie
findet sich in verschiedenartiger Anwendung.

Angelsächsische Glossen überliefern für deditio, traditio und ma-
nus impositio den Ausdruck handgang, handgong72). Sich in die Ge-
walt eines anderen begeben, heisst in den angelsächsischen Gesetzen
on hand gan, to honda gan73). Das westnordische Recht nennt die Ge-
folgsleute (Hauskerle) nachmals74) handgengnir menn75). Der Name
stammt von der Form des Eintritts in das Gefolge (hird), dem ganga
a hönd, ein Ausdruck, der mitunter auch von sonstiger Unter-
werfung gebraucht wird76). Im Niederdeutschen ist uns aus dem

71) Siehe darüber Th. Sickel, Beiträge zur Diplomatik III 97, Roth, Feu-
dal. S. 269 ff. Waitz, VG IV 234 ff. Ehrenberg, Commendation und Hul-
digung S. 22 ff.
72) Deditio handgang schon in einer Glosse des achten Jahrhunderts, Wright
und Wülcker 17, 14. Vgl. 188, 26; 221, 1; 384, 38.
73) Ine 62: Der Beklagte kann kein Pfand stellen. Ein Dritter stellt es für
ihn unter der Bedingung, dass jener ihm an die Hand gehe (transeat in manum ei),
das heisst als Geisel, bis er ihm sein Pfand freimachen könne. Aelfred 42, 1
setzt den Fall, dass der in seiner Wohnung belagerte Feind sich ergeben will,
wille on hand gan, in manus ire ... (vgl. Aelfred 42, 4). Der Akt, durch welchen
der Dieb sich in die Strafknechtschaft ergiebt, heisst hand on hand syllan, Hand
in Hand legen. Edward II 6: Wenn jemand wegen Diebstahls seine Freiheit ver-
wirkt and hys hand on hand sylle .. Die vetus versio hat: manum suam in manum
mittat. Vgl. Rothari 32. 33. Die Leges Henrici sagen c. 78, § 2 von dem, der
sich in Knechtschaft begiebt: manus in manus domini mittat et caput.
74) Hirdskra c. 27, Norges gamle Love II 416: In alter Zeit war die Sitte,
dass alle Männer, die des Königs Handgänger oder Schwertnehmer waren [varo
handgengnir eda svaerdtakar], Hauskerle genannt wurden. Vgl. Möbius, Gl. S. 163.
75) v. Amira, Recht S. 149. Vgl. u. a. Egilssaga 8, 13. Eyrbyggjasaga 25, 38.
76) Heimskringla, Olafssaga hins helga 38, 246. Vgl. noch Atlamal 99.
§ 92. Gefolgschaft und Vassallität.

Die Begründung des Vassallenverhältnisses zeigt wenigstens in
einzelnen Punkten nachweisbare Verwandtschaft mit der Begründung
des Gefolgsverhältnisses. Freie Personen treten in die Vassallität ein
durch Abschluſs eines Vertrages, welchem ein Treueid nachfolgt. Der
Vertrag wird von beiden Seiten rechtsförmlich geschlossen. Die Form
besteht auf Seite des Vassallen in der Kommendation, auf Seite des
Herrn in der Darreichung einer Gabe. Die Kommendation71) ist Hand-
reichung und erfolgt in der Weise, daſs der Vassall seine gefalteten
Hände in die Hände des Herrn legt, manibus, manibus iunctis se
tradit, in manus (domini) se commendat, manus suas mittit inter ma-
nus domini.

Die Handreichung, wie sie die vassallitische Kommendation kenn-
zeichnet, ist ein deutschrechtlicher Formalakt, der die Unterwerfung,
die Ergebung in die Gewalt eines anderen zum Ausdruck bringt. Sie
findet sich in verschiedenartiger Anwendung.

Angelsächsische Glossen überliefern für deditio, traditio und ma-
nus impositio den Ausdruck handgang, handgong72). Sich in die Ge-
walt eines anderen begeben, heiſst in den angelsächsischen Gesetzen
on hand gán, to honda gán73). Das westnordische Recht nennt die Ge-
folgsleute (Hauskerle) nachmals74) handgengnir menn75). Der Name
stammt von der Form des Eintritts in das Gefolge (hird), dem ganga
a hönd, ein Ausdruck, der mitunter auch von sonstiger Unter-
werfung gebraucht wird76). Im Niederdeutschen ist uns aus dem

71) Siehe darüber Th. Sickel, Beiträge zur Diplomatik III 97, Roth, Feu-
dal. S. 269 ff. Waitz, VG IV 234 ff. Ehrenberg, Commendation und Hul-
digung S. 22 ff.
72) Deditio handgang schon in einer Glosse des achten Jahrhunderts, Wright
und Wülcker 17, 14. Vgl. 188, 26; 221, 1; 384, 38.
73) Ine 62: Der Beklagte kann kein Pfand stellen. Ein Dritter stellt es für
ihn unter der Bedingung, daſs jener ihm an die Hand gehe (transeat in manum ei),
das heiſst als Geisel, bis er ihm sein Pfand freimachen könne. Aelfred 42, 1
setzt den Fall, daſs der in seiner Wohnung belagerte Feind sich ergeben will,
wille on hand gán, in manus ire … (vgl. Aelfred 42, 4). Der Akt, durch welchen
der Dieb sich in die Strafknechtschaft ergiebt, heiſst hand on hand syllan, Hand
in Hand legen. Edward II 6: Wenn jemand wegen Diebstahls seine Freiheit ver-
wirkt and hys hand on hand sylle .. Die vetus versio hat: manum suam in manum
mittat. Vgl. Rothari 32. 33. Die Leges Henrici sagen c. 78, § 2 von dem, der
sich in Knechtschaft begiebt: manus in manus domini mittat et caput.
74) Hirdskrá c. 27, Norges gamle Love II 416: In alter Zeit war die Sitte,
daſs alle Männer, die des Königs Handgänger oder Schwertnehmer waren [varo
handgengnir eda sværdtakar], Hauskerle genannt wurden. Vgl. Möbius, Gl. S. 163.
75) v. Amira, Recht S. 149. Vgl. u. a. Egilssaga 8, 13. Eyrbyggjasaga 25, 38.
76) Heimskringla, Ólafssaga hins helga 38, 246. Vgl. noch Atlamál 99.
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[270/0288] § 92. Gefolgschaft und Vassallität. Die Begründung des Vassallenverhältnisses zeigt wenigstens in einzelnen Punkten nachweisbare Verwandtschaft mit der Begründung des Gefolgsverhältnisses. Freie Personen treten in die Vassallität ein durch Abschluſs eines Vertrages, welchem ein Treueid nachfolgt. Der Vertrag wird von beiden Seiten rechtsförmlich geschlossen. Die Form besteht auf Seite des Vassallen in der Kommendation, auf Seite des Herrn in der Darreichung einer Gabe. Die Kommendation 71) ist Hand- reichung und erfolgt in der Weise, daſs der Vassall seine gefalteten Hände in die Hände des Herrn legt, manibus, manibus iunctis se tradit, in manus (domini) se commendat, manus suas mittit inter ma- nus domini. Die Handreichung, wie sie die vassallitische Kommendation kenn- zeichnet, ist ein deutschrechtlicher Formalakt, der die Unterwerfung, die Ergebung in die Gewalt eines anderen zum Ausdruck bringt. Sie findet sich in verschiedenartiger Anwendung. Angelsächsische Glossen überliefern für deditio, traditio und ma- nus impositio den Ausdruck handgang, handgong 72). Sich in die Ge- walt eines anderen begeben, heiſst in den angelsächsischen Gesetzen on hand gán, to honda gán 73). Das westnordische Recht nennt die Ge- folgsleute (Hauskerle) nachmals 74) handgengnir menn 75). Der Name stammt von der Form des Eintritts in das Gefolge (hird), dem ganga a hönd, ein Ausdruck, der mitunter auch von sonstiger Unter- werfung gebraucht wird 76). Im Niederdeutschen ist uns aus dem 71) Siehe darüber Th. Sickel, Beiträge zur Diplomatik III 97, Roth, Feu- dal. S. 269 ff. Waitz, VG IV 234 ff. Ehrenberg, Commendation und Hul- digung S. 22 ff. 72) Deditio handgang schon in einer Glosse des achten Jahrhunderts, Wright und Wülcker 17, 14. Vgl. 188, 26; 221, 1; 384, 38. 73) Ine 62: Der Beklagte kann kein Pfand stellen. Ein Dritter stellt es für ihn unter der Bedingung, daſs jener ihm an die Hand gehe (transeat in manum ei), das heiſst als Geisel, bis er ihm sein Pfand freimachen könne. Aelfred 42, 1 setzt den Fall, daſs der in seiner Wohnung belagerte Feind sich ergeben will, wille on hand gán, in manus ire … (vgl. Aelfred 42, 4). Der Akt, durch welchen der Dieb sich in die Strafknechtschaft ergiebt, heiſst hand on hand syllan, Hand in Hand legen. Edward II 6: Wenn jemand wegen Diebstahls seine Freiheit ver- wirkt and hys hand on hand sylle .. Die vetus versio hat: manum suam in manum mittat. Vgl. Rothari 32. 33. Die Leges Henrici sagen c. 78, § 2 von dem, der sich in Knechtschaft begiebt: manus in manus domini mittat et caput. 74) Hirdskrá c. 27, Norges gamle Love II 416: In alter Zeit war die Sitte, daſs alle Männer, die des Königs Handgänger oder Schwertnehmer waren [varo handgengnir eda sværdtakar], Hauskerle genannt wurden. Vgl. Möbius, Gl. S. 163. 75) v. Amira, Recht S. 149. Vgl. u. a. Egilssaga 8, 13. Eyrbyggjasaga 25, 38. 76) Heimskringla, Ólafssaga hins helga 38, 246. Vgl. noch Atlamál 99.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/288>, abgerufen am 12.05.2024.