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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 71. Hof und Hofstaat.
dominica 24. Zur Zeit, da der älteste Bestandteil der Lex Ribuaria ent-
stand, hatte die Stellung der Antrustionen sich so sehr gehoben, dass
Liten und Knechte nicht mehr unter ihnen vertreten sind, da sie
sämtlich das dreifache Wergeld und die dreifache Busse des vollfreien
Franken geniessen 25.

Die Antrustionen spielen eine bedeutsame Rolle im Rate des
Königs, nehmen insbesondere an der Beratung von Satzungen teil 26.
Sie werden zu wichtigen Reichsgeschäften, namentlich zu Gesandt-
schaften, verwendet 27. Es gab verheiratete Antrustionen 28 und solche,
die sich im Besitz von Haus und Hof befanden 29. Diese waren
wenigstens für die Regel aus dem königlichen Hofstaat ausgeschieden,
um während der Friedenszeit auf ihren Besitzungen zu leben.

Wie der König, hatte auch die Königin eine eingeschworene
trustis 30.

Im achten Jahrhundert hören wir nichts mehr von Antrustionen.
Auf den dürftigen Meierhöfen, auf welchen die letzten Merowinger
hausten, war kein Raum für eine Gefolgschaft von der Bedeutung des
alten Antrustionats. An Stelle der Antrustionen, die schon in mero-
wingischer Zeit wohl zum grössten Teile vom Hofe abgeschichtet wor-
den waren, erscheint unter den Karolingern eine jüngere Schichtung
der königlichen Gefolgschaft. Für den Hofstaat kommen davon haupt-
sächlich die am Hofe lebenden Vassallen in Betracht. Da die Be-
deutung der Vassallität weit über die des Hofstaates hinausreicht,
wird sie unten § 92 im Zusammenhange erörtert werden. Hier ist
zunächst nur von Belang, dass für jeden Vassallen die Pflicht der
Hoffolge bestand, d. h. die Pflicht, an den Hof zu kommen, sobald der
Herr es gebot, und dass es zahlreiche königliche Vassallen gab, die
am Hofe ihren ständigen Aufenthalt hatten und zu Hofdienst ver-
bunden waren 31. In italienischen Kapitularien erscheinen letztere

24 Recapitulatio legis Salicae A. 30.
25 Lex Rib. 11, 1. Vgl. Marculf I 18.
26 Ed. Chilp. Cap. I 8: pertractantes in Dei nomine cum viris magnificentis-
simis obtimatibus vel antrustionibus et omni populo nostro convenit ...
27 Septem causae VIII 7.
28 Lex Salica (Hessels) 106, § 7: qui eum paverit (den friedlosen Antrustio)
et hospitium illi dederit, si fuerit uxor sua propria ...
29 Der Antrustio kann in domo sua überfallen werden. Lex Salica 42, 1.
Auch der Gerichtsstand ante judice ad mallobergo in Lex Sal. 106 (2. Cap. c. 8)
weist auf selbständigen Wohnsitz hin.
30 Fortunat VI 5.
31 Cap. Bonon. v. J. 811, c. 7, I 167: de vassis dominicis, qui adhuc intra
casam serviunt et tamen beneficia habere noscuntur . . quicumque ex eis cum

§ 71. Hof und Hofstaat.
dominica 24. Zur Zeit, da der älteste Bestandteil der Lex Ribuaria ent-
stand, hatte die Stellung der Antrustionen sich so sehr gehoben, daſs
Liten und Knechte nicht mehr unter ihnen vertreten sind, da sie
sämtlich das dreifache Wergeld und die dreifache Buſse des vollfreien
Franken genieſsen 25.

Die Antrustionen spielen eine bedeutsame Rolle im Rate des
Königs, nehmen insbesondere an der Beratung von Satzungen teil 26.
Sie werden zu wichtigen Reichsgeschäften, namentlich zu Gesandt-
schaften, verwendet 27. Es gab verheiratete Antrustionen 28 und solche,
die sich im Besitz von Haus und Hof befanden 29. Diese waren
wenigstens für die Regel aus dem königlichen Hofstaat ausgeschieden,
um während der Friedenszeit auf ihren Besitzungen zu leben.

Wie der König, hatte auch die Königin eine eingeschworene
trustis 30.

Im achten Jahrhundert hören wir nichts mehr von Antrustionen.
Auf den dürftigen Meierhöfen, auf welchen die letzten Merowinger
hausten, war kein Raum für eine Gefolgschaft von der Bedeutung des
alten Antrustionats. An Stelle der Antrustionen, die schon in mero-
wingischer Zeit wohl zum gröſsten Teile vom Hofe abgeschichtet wor-
den waren, erscheint unter den Karolingern eine jüngere Schichtung
der königlichen Gefolgschaft. Für den Hofstaat kommen davon haupt-
sächlich die am Hofe lebenden Vassallen in Betracht. Da die Be-
deutung der Vassallität weit über die des Hofstaates hinausreicht,
wird sie unten § 92 im Zusammenhange erörtert werden. Hier ist
zunächst nur von Belang, daſs für jeden Vassallen die Pflicht der
Hoffolge bestand, d. h. die Pflicht, an den Hof zu kommen, sobald der
Herr es gebot, und daſs es zahlreiche königliche Vassallen gab, die
am Hofe ihren ständigen Aufenthalt hatten und zu Hofdienst ver-
bunden waren 31. In italienischen Kapitularien erscheinen letztere

24 Recapitulatio legis Salicae A. 30.
25 Lex Rib. 11, 1. Vgl. Marculf I 18.
26 Ed. Chilp. Cap. I 8: pertractantes in Dei nomine cum viris magnificentis-
simis obtimatibus vel antrustionibus et omni populo nostro convenit …
27 Septem causae VIII 7.
28 Lex Salica (Hessels) 106, § 7: qui eum paverit (den friedlosen Antrustio)
et hospitium illi dederit, si fuerit uxor sua propria …
29 Der Antrustio kann in domo sua überfallen werden. Lex Salica 42, 1.
Auch der Gerichtsstand ante judice ad mallobergo in Lex Sal. 106 (2. Cap. c. 8)
weist auf selbständigen Wohnsitz hin.
30 Fortunat VI 5.
31 Cap. Bonon. v. J. 811, c. 7, I 167: de vassis dominicis, qui adhuc intra
casam serviunt et tamen beneficia habere noscuntur . . quicumque ex eis cum
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[100/0118] § 71. Hof und Hofstaat. dominica 24. Zur Zeit, da der älteste Bestandteil der Lex Ribuaria ent- stand, hatte die Stellung der Antrustionen sich so sehr gehoben, daſs Liten und Knechte nicht mehr unter ihnen vertreten sind, da sie sämtlich das dreifache Wergeld und die dreifache Buſse des vollfreien Franken genieſsen 25. Die Antrustionen spielen eine bedeutsame Rolle im Rate des Königs, nehmen insbesondere an der Beratung von Satzungen teil 26. Sie werden zu wichtigen Reichsgeschäften, namentlich zu Gesandt- schaften, verwendet 27. Es gab verheiratete Antrustionen 28 und solche, die sich im Besitz von Haus und Hof befanden 29. Diese waren wenigstens für die Regel aus dem königlichen Hofstaat ausgeschieden, um während der Friedenszeit auf ihren Besitzungen zu leben. Wie der König, hatte auch die Königin eine eingeschworene trustis 30. Im achten Jahrhundert hören wir nichts mehr von Antrustionen. Auf den dürftigen Meierhöfen, auf welchen die letzten Merowinger hausten, war kein Raum für eine Gefolgschaft von der Bedeutung des alten Antrustionats. An Stelle der Antrustionen, die schon in mero- wingischer Zeit wohl zum gröſsten Teile vom Hofe abgeschichtet wor- den waren, erscheint unter den Karolingern eine jüngere Schichtung der königlichen Gefolgschaft. Für den Hofstaat kommen davon haupt- sächlich die am Hofe lebenden Vassallen in Betracht. Da die Be- deutung der Vassallität weit über die des Hofstaates hinausreicht, wird sie unten § 92 im Zusammenhange erörtert werden. Hier ist zunächst nur von Belang, daſs für jeden Vassallen die Pflicht der Hoffolge bestand, d. h. die Pflicht, an den Hof zu kommen, sobald der Herr es gebot, und daſs es zahlreiche königliche Vassallen gab, die am Hofe ihren ständigen Aufenthalt hatten und zu Hofdienst ver- bunden waren 31. In italienischen Kapitularien erscheinen letztere 24 Recapitulatio legis Salicae A. 30. 25 Lex Rib. 11, 1. Vgl. Marculf I 18. 26 Ed. Chilp. Cap. I 8: pertractantes in Dei nomine cum viris magnificentis- simis obtimatibus vel antrustionibus et omni populo nostro convenit … 27 Septem causae VIII 7. 28 Lex Salica (Hessels) 106, § 7: qui eum paverit (den friedlosen Antrustio) et hospitium illi dederit, si fuerit uxor sua propria … 29 Der Antrustio kann in domo sua überfallen werden. Lex Salica 42, 1. Auch der Gerichtsstand ante judice ad mallobergo in Lex Sal. 106 (2. Cap. c. 8) weist auf selbständigen Wohnsitz hin. 30 Fortunat VI 5. 31 Cap. Bonon. v. J. 811, c. 7, I 167: de vassis dominicis, qui adhuc intra casam serviunt et tamen beneficia habere noscuntur . . quicumque ex eis cum

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/118>, abgerufen am 06.05.2024.