Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 71. Hof und Hofstaat.
wahrscheinlich des Königs degane, Degen, genannt. Denn ein mero-
wingisches Heiligenleben erzählt uns, dass die scholares der Griechen
bei den Franken bellatores hiessen, was füglich für Übersetzung von
degane gelten darf 17. Vielleicht ist der Ausdruck Antrustionen in
Anlehnung an die Bezeichnung der Nobelgarde des römischen Kaisers
entstanden, welche corpus, schola protectorum hiess und ihrerseits auf
Einflüsse des germanischen Gefolgswesen zurückgehen dürfte 18.

Die Antrustionen stehen im siebenten Jahrhundert unter der Füh-
rung des Hausmeiers 19. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen ihnen gelten
besondere Grundsätze des Rechtsganges 20. Der unter ihnen waltende
Korpsgeist kommt u. a. in dem Rechtssatze zum Ausdruck, dass der
Antrustio bussfällig wird, der gegen einen Genossen als Zeuge
schwört 21.

Antrustionen konnten nicht nur Freie, sondern auch Liten und
Knechte sein 22. Sie hatten das dreifache Wergeld ihrer Geburt.
Während die Lex Salica den freien Römer, den der König zu seinem
Tischgenossen erhob, noch von der königlichen trustis ausscheidet 23, ken-
nen jüngere Quellen des salischen Rechtes auch den Romanus in truste

17 Siehe die oben Anm. 15 citierte Stelle der Vita Aldegundis. Mit degan
werden miles, defensor glossiert. Wie im Beowulf und in den angelsächsischen
Gesetzen die Gefolgsleute thegnas genannt werden, so sind auch im Hildebrands-
liede die Gefolgsgenossen gemeint, wenn es daselbst Vers 19 heisst: forn er ostar
giuueit . . hina mit Theotreihhe enti seinero degano filu.
18 Die protectores werden in domestici oder protectores domestici und in
protectores schlechtweg eingeteilt. Die domestici waren wohl solche protectores
im weiteren Sinne, welche im kaiserlichen Palaste wohnten, während bei den übrigen
Protektoren das Merkmal der Hausgenossenschaft mit dem Cäsar fehlte. Wie an-
trustio zu protector, verhält sich der vandalische und westgotische gardingus zu
domesticus (vgl. Dahn, Könige I 187, VI 108, Helfferich, Entstehung u. Gesch.
des Westgotenrechts S. 150). Stammt gardingus von gards, domus, so ist es ge-
nau domesticus. Auch bei den Angelsachsen werden die höheren Dienstmannen,
die Thane, als domestici (hiredmen) bezeichnet. Schmid, Ges. der Ags. S. 665.
An die byzantinischen protectores scheint sich der arabische Ausdruck für Prä-
torianer `a 'wan, adiutores, anzuschliessen. Reiske zu Constant. Porphyrogen. II 56.
Über die römischen protectores siehe Mommsen, Ephemeris epigraph. V 121.
Camille Jullian, De protectoribus et domesticis Augustorum, Parisiis 1883. Z2
f. RG IX 217. -- Lydus, De magistratibus I 46: primoscutarii, qui nunc protec-
tores dicuntur.
19 Siehe unten S. 105.
20 Lex Sal. 106 (Hessels).
21 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 46 f.
22 Siehe oben I 236.
23 Siehe oben I 302.
7*

§ 71. Hof und Hofstaat.
wahrscheinlich des Königs degane, Degen, genannt. Denn ein mero-
wingisches Heiligenleben erzählt uns, daſs die scholares der Griechen
bei den Franken bellatores hieſsen, was füglich für Übersetzung von
degane gelten darf 17. Vielleicht ist der Ausdruck Antrustionen in
Anlehnung an die Bezeichnung der Nobelgarde des römischen Kaisers
entstanden, welche corpus, schola protectorum hieſs und ihrerseits auf
Einflüsse des germanischen Gefolgswesen zurückgehen dürfte 18.

Die Antrustionen stehen im siebenten Jahrhundert unter der Füh-
rung des Hausmeiers 19. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen ihnen gelten
besondere Grundsätze des Rechtsganges 20. Der unter ihnen waltende
Korpsgeist kommt u. a. in dem Rechtssatze zum Ausdruck, daſs der
Antrustio buſsfällig wird, der gegen einen Genossen als Zeuge
schwört 21.

Antrustionen konnten nicht nur Freie, sondern auch Liten und
Knechte sein 22. Sie hatten das dreifache Wergeld ihrer Geburt.
Während die Lex Salica den freien Römer, den der König zu seinem
Tischgenossen erhob, noch von der königlichen trustis ausscheidet 23, ken-
nen jüngere Quellen des salischen Rechtes auch den Romanus in truste

17 Siehe die oben Anm. 15 citierte Stelle der Vita Aldegundis. Mit degan
werden miles, defensor glossiert. Wie im Beowulf und in den angelsächsischen
Gesetzen die Gefolgsleute thegnas genannt werden, so sind auch im Hildebrands-
liede die Gefolgsgenossen gemeint, wenn es daselbst Vers 19 heiſst: forn er ôstar
giuueit . . hina mit Theotrîhhe enti sînero degano filu.
18 Die protectores werden in domestici oder protectores domestici und in
protectores schlechtweg eingeteilt. Die domestici waren wohl solche protectores
im weiteren Sinne, welche im kaiserlichen Palaste wohnten, während bei den übrigen
Protektoren das Merkmal der Hausgenossenschaft mit dem Cäsar fehlte. Wie an-
trustio zu protector, verhält sich der vandalische und westgotische gardingus zu
domesticus (vgl. Dahn, Könige I 187, VI 108, Helfferich, Entstehung u. Gesch.
des Westgotenrechts S. 150). Stammt gardingus von gards, domus, so ist es ge-
nau domesticus. Auch bei den Angelsachsen werden die höheren Dienstmannen,
die Thane, als domestici (hírédmen) bezeichnet. Schmid, Ges. der Ags. S. 665.
An die byzantinischen protectores scheint sich der arabische Ausdruck für Prä-
torianer ʾa ʿwân, adiutores, anzuschlieſsen. Reiske zu Constant. Porphyrogen. II 56.
Über die römischen protectores siehe Mommsen, Ephemeris epigraph. V 121.
Camille Jullian, De protectoribus et domesticis Augustorum, Parisiis 1883. Z2
f. RG IX 217. — Lydus, De magistratibus I 46: primoscutarii, qui nunc protec-
tores dicuntur.
19 Siehe unten S. 105.
20 Lex Sal. 106 (Hessels).
21 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 46 f.
22 Siehe oben I 236.
23 Siehe oben I 302.
7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0117" n="99"/><fw place="top" type="header">§ 71. Hof und Hofstaat.</fw><lb/>
wahrscheinlich des Königs degane, Degen, genannt. Denn ein mero-<lb/>
wingisches Heiligenleben erzählt uns, da&#x017F;s die scholares der Griechen<lb/>
bei den Franken bellatores hie&#x017F;sen, was füglich für Übersetzung von<lb/>
degane gelten darf <note place="foot" n="17">Siehe die oben Anm. 15 citierte Stelle der Vita Aldegundis. Mit degan<lb/>
werden miles, defensor glossiert. Wie im Beowulf und in den angelsächsischen<lb/>
Gesetzen die Gefolgsleute thegnas genannt werden, so sind auch im Hildebrands-<lb/>
liede die Gefolgsgenossen gemeint, wenn es daselbst Vers 19 hei&#x017F;st: forn er ôstar<lb/>
giuueit . . hina mit Theotrîhhe enti sînero degano filu.</note>. Vielleicht ist der Ausdruck Antrustionen in<lb/>
Anlehnung an die Bezeichnung der Nobelgarde des römischen Kaisers<lb/>
entstanden, welche corpus, schola protectorum hie&#x017F;s und ihrerseits auf<lb/>
Einflüsse des germanischen Gefolgswesen zurückgehen dürfte <note place="foot" n="18">Die protectores werden in domestici oder protectores domestici und in<lb/>
protectores schlechtweg eingeteilt. Die domestici waren wohl solche protectores<lb/>
im weiteren Sinne, welche im kaiserlichen Palaste wohnten, während bei den übrigen<lb/>
Protektoren das Merkmal der Hausgenossenschaft mit dem Cäsar fehlte. Wie an-<lb/>
trustio zu protector, verhält sich der vandalische und westgotische gardingus zu<lb/>
domesticus (vgl. <hi rendition="#g">Dahn</hi>, Könige I 187, VI 108, <hi rendition="#g">Helfferich</hi>, Entstehung u. Gesch.<lb/>
des Westgotenrechts S. 150). Stammt gardingus von gards, domus, so ist es ge-<lb/>
nau domesticus. Auch bei den Angelsachsen werden die höheren Dienstmannen,<lb/>
die Thane, als domestici (hírédmen) bezeichnet. <hi rendition="#g">Schmid</hi>, Ges. der Ags. S. 665.<lb/>
An die byzantinischen protectores scheint sich der arabische Ausdruck für Prä-<lb/>
torianer &#x02BE;a &#x02BF;wân, adiutores, anzuschlie&#x017F;sen. <hi rendition="#g">Reiske</hi> zu Constant. Porphyrogen. II 56.<lb/>
Über die römischen protectores siehe <hi rendition="#g">Mommsen</hi>, Ephemeris epigraph. V 121.<lb/><hi rendition="#g">Camille Jullian</hi>, De protectoribus et domesticis Augustorum, Parisiis 1883. Z<hi rendition="#sup">2</hi><lb/>
f. RG IX 217. &#x2014; Lydus, De magistratibus I 46: primoscutarii, qui nunc protec-<lb/>
tores dicuntur.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Antrustionen stehen im siebenten Jahrhundert unter der Füh-<lb/>
rung des Hausmeiers <note place="foot" n="19">Siehe unten S. 105.</note>. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen ihnen gelten<lb/>
besondere Grundsätze des Rechtsganges <note place="foot" n="20">Lex Sal. 106 (Hessels).</note>. Der unter ihnen waltende<lb/>
Korpsgeist kommt u. a. in dem Rechtssatze zum Ausdruck, da&#x017F;s der<lb/>
Antrustio bu&#x017F;sfällig wird, der gegen einen Genossen als Zeuge<lb/>
schwört <note place="foot" n="21">H. <hi rendition="#g">Brunner</hi>, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 46 f.</note>.</p><lb/>
            <p>Antrustionen konnten nicht nur Freie, sondern auch Liten und<lb/>
Knechte sein <note place="foot" n="22">Siehe oben I 236.</note>. Sie hatten das dreifache Wergeld ihrer Geburt.<lb/>
Während die Lex Salica den freien Römer, den der König zu seinem<lb/>
Tischgenossen erhob, noch von der königlichen trustis ausscheidet <note place="foot" n="23">Siehe oben I 302.</note>, ken-<lb/>
nen jüngere Quellen des salischen Rechtes auch den Romanus in truste<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0117] § 71. Hof und Hofstaat. wahrscheinlich des Königs degane, Degen, genannt. Denn ein mero- wingisches Heiligenleben erzählt uns, daſs die scholares der Griechen bei den Franken bellatores hieſsen, was füglich für Übersetzung von degane gelten darf 17. Vielleicht ist der Ausdruck Antrustionen in Anlehnung an die Bezeichnung der Nobelgarde des römischen Kaisers entstanden, welche corpus, schola protectorum hieſs und ihrerseits auf Einflüsse des germanischen Gefolgswesen zurückgehen dürfte 18. Die Antrustionen stehen im siebenten Jahrhundert unter der Füh- rung des Hausmeiers 19. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen ihnen gelten besondere Grundsätze des Rechtsganges 20. Der unter ihnen waltende Korpsgeist kommt u. a. in dem Rechtssatze zum Ausdruck, daſs der Antrustio buſsfällig wird, der gegen einen Genossen als Zeuge schwört 21. Antrustionen konnten nicht nur Freie, sondern auch Liten und Knechte sein 22. Sie hatten das dreifache Wergeld ihrer Geburt. Während die Lex Salica den freien Römer, den der König zu seinem Tischgenossen erhob, noch von der königlichen trustis ausscheidet 23, ken- nen jüngere Quellen des salischen Rechtes auch den Romanus in truste 17 Siehe die oben Anm. 15 citierte Stelle der Vita Aldegundis. Mit degan werden miles, defensor glossiert. Wie im Beowulf und in den angelsächsischen Gesetzen die Gefolgsleute thegnas genannt werden, so sind auch im Hildebrands- liede die Gefolgsgenossen gemeint, wenn es daselbst Vers 19 heiſst: forn er ôstar giuueit . . hina mit Theotrîhhe enti sînero degano filu. 18 Die protectores werden in domestici oder protectores domestici und in protectores schlechtweg eingeteilt. Die domestici waren wohl solche protectores im weiteren Sinne, welche im kaiserlichen Palaste wohnten, während bei den übrigen Protektoren das Merkmal der Hausgenossenschaft mit dem Cäsar fehlte. Wie an- trustio zu protector, verhält sich der vandalische und westgotische gardingus zu domesticus (vgl. Dahn, Könige I 187, VI 108, Helfferich, Entstehung u. Gesch. des Westgotenrechts S. 150). Stammt gardingus von gards, domus, so ist es ge- nau domesticus. Auch bei den Angelsachsen werden die höheren Dienstmannen, die Thane, als domestici (hírédmen) bezeichnet. Schmid, Ges. der Ags. S. 665. An die byzantinischen protectores scheint sich der arabische Ausdruck für Prä- torianer ʾa ʿwân, adiutores, anzuschlieſsen. Reiske zu Constant. Porphyrogen. II 56. Über die römischen protectores siehe Mommsen, Ephemeris epigraph. V 121. Camille Jullian, De protectoribus et domesticis Augustorum, Parisiis 1883. Z2 f. RG IX 217. — Lydus, De magistratibus I 46: primoscutarii, qui nunc protec- tores dicuntur. 19 Siehe unten S. 105. 20 Lex Sal. 106 (Hessels). 21 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 46 f. 22 Siehe oben I 236. 23 Siehe oben I 302. 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/117
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/117>, abgerufen am 06.05.2024.