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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 71. Hof und Hofstaat.
unter dem Namen austaldi 32. Die eigentlichen Leibwächter des Königs
werden in der Zeit Karls des Grossen als satellites zusammengefasst 33
oder heissen wohl auch milites 34, viri militares 35. Sie scheinen aus
Vassallen, zum Teil wohl auch aus unfreien Ministerialen bestanden
zu haben.

Die vier germanischen Hausämter des Truchsess, des Marschalls,
des Schenken und des Kämmerers 36 finden sich auch am Hofe des
fränkischen Königs. Der Truchsess wird in merowingischer Zeit nicht
genannt. Vermutlich war mit seinem Amte die Oberaufsicht über den
Hofhalt verbunden, und erscheint er deshalb als Seneschalk 37, vor-
übergehend auch als maior domus. In karolingischer Zeit wird er
gelegentlich als regiae mensae praepositus, als infertor oder als prin-
ceps coquorum, seit dem letzten Viertel des neunten Jahrhunderts
auch als dapifer bezeichnet 38. Der merowingische Kämmerer heisst
thesaurarius oder cubicularius. Er hat die Aufsicht über den Hort
des Königs. Durch seine Hand gehen Geschenke, die der König
daraus spendet. Er hat Unterbeamte, camararii genannt 39. Im karo-
lingischen Sprachgebrauch ist umgekehrt der camerarius der oberste
Schatzbeamte 40, während cubicularii, saccelarii und dispensatores 41 seine
Unterbeamten sind. Der Marschall tritt am Hofe des Königs unter
dem römischen Titel comes stabuli, constabulus auf, wogegen mare-
scalcus für die niederen Stalldiener gebraucht wird 42. Gelegentlich
wird er als Heerführer verwendet. Doch reicht seine Bedeutung nicht

domno imperatore domi remanserint . . Annales Lauresham. z. J. 802, SS I 38:
noluit de infra palatio pauperiores vassos suos transmittere. Cap. miss. v. J. 819,
c. 27, I 291. Cap. de exped. Corsic. v. J. 825, c. 1, I 325. Cap. Papiense v. J.
876, c. 13, II 103.
32 Siehe darüber unten § 92.
33 Satelles für vassallus in den Stellen bei Waitz, VG III 546, Anm. 2 ff.
Satellitium für vassalitium bei Waitz, VG VI 40.
34 Hincmar, De ordine palatii c. 22. 27.
35 Monachus S. Galli I 11, MG SS II 736: militares viri vel scholares aulae.
Vgl. Z2 f. RG IX 212.
36 Vgl. oben I 235.
37 Ahd. *siniscalh von scalc, Knecht, und dem selbständig nicht nachweisbaren
got. Adjectivum sins, alt, das uns nur in dem Superlativ sinista (oben I 125, Anm. 33)
vorliegt. Grimm, Gesch. d. deutsch. Spr. S. 706. Graff, Sprachschatz VI 25.
38 Waitz, VG III 500, Anm. 2.
39 Waitz, VG II 2, S. 73 f.
40 In Mon. S. Galli II 6, MG SS II 750 ist unter dem magister der cubi-
cularii der camerarius gemeint.
41 Hincmar, De ordine pal. c. 17.
42 Cap. Aquigr. 801--813, c. 10, I 171.

§ 71. Hof und Hofstaat.
unter dem Namen austaldi 32. Die eigentlichen Leibwächter des Königs
werden in der Zeit Karls des Groſsen als satellites zusammengefaſst 33
oder heiſsen wohl auch milites 34, viri militares 35. Sie scheinen aus
Vassallen, zum Teil wohl auch aus unfreien Ministerialen bestanden
zu haben.

Die vier germanischen Hausämter des Truchseſs, des Marschalls,
des Schenken und des Kämmerers 36 finden sich auch am Hofe des
fränkischen Königs. Der Truchseſs wird in merowingischer Zeit nicht
genannt. Vermutlich war mit seinem Amte die Oberaufsicht über den
Hofhalt verbunden, und erscheint er deshalb als Seneschalk 37, vor-
übergehend auch als maior domus. In karolingischer Zeit wird er
gelegentlich als regiae mensae praepositus, als infertor oder als prin-
ceps coquorum, seit dem letzten Viertel des neunten Jahrhunderts
auch als dapifer bezeichnet 38. Der merowingische Kämmerer heiſst
thesaurarius oder cubicularius. Er hat die Aufsicht über den Hort
des Königs. Durch seine Hand gehen Geschenke, die der König
daraus spendet. Er hat Unterbeamte, camararii genannt 39. Im karo-
lingischen Sprachgebrauch ist umgekehrt der camerarius der oberste
Schatzbeamte 40, während cubicularii, saccelarii und dispensatores 41 seine
Unterbeamten sind. Der Marschall tritt am Hofe des Königs unter
dem römischen Titel comes stabuli, constabulus auf, wogegen mare-
scalcus für die niederen Stalldiener gebraucht wird 42. Gelegentlich
wird er als Heerführer verwendet. Doch reicht seine Bedeutung nicht

domno imperatore domi remanserint . . Annales Lauresham. z. J. 802, SS I 38:
noluit de infra palatio pauperiores vassos suos transmittere. Cap. miss. v. J. 819,
c. 27, I 291. Cap. de exped. Corsic. v. J. 825, c. 1, I 325. Cap. Papiense v. J.
876, c. 13, II 103.
32 Siehe darüber unten § 92.
33 Satelles für vassallus in den Stellen bei Waitz, VG III 546, Anm. 2 ff.
Satellitium für vassalitium bei Waitz, VG VI 40.
34 Hincmar, De ordine palatii c. 22. 27.
35 Monachus S. Galli I 11, MG SS II 736: militares viri vel scholares aulae.
Vgl. Z2 f. RG IX 212.
36 Vgl. oben I 235.
37 Ahd. *siniscalh von scalc, Knecht, und dem selbständig nicht nachweisbaren
got. Adjectivum sins, alt, das uns nur in dem Superlativ sinista (oben I 125, Anm. 33)
vorliegt. Grimm, Gesch. d. deutsch. Spr. S. 706. Graff, Sprachschatz VI 25.
38 Waitz, VG III 500, Anm. 2.
39 Waitz, VG II 2, S. 73 f.
40 In Mon. S. Galli II 6, MG SS II 750 ist unter dem magister der cubi-
cularii der camerarius gemeint.
41 Hincmar, De ordine pal. c. 17.
42 Cap. Aquigr. 801—813, c. 10, I 171.
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[101/0119] § 71. Hof und Hofstaat. unter dem Namen austaldi 32. Die eigentlichen Leibwächter des Königs werden in der Zeit Karls des Groſsen als satellites zusammengefaſst 33 oder heiſsen wohl auch milites 34, viri militares 35. Sie scheinen aus Vassallen, zum Teil wohl auch aus unfreien Ministerialen bestanden zu haben. Die vier germanischen Hausämter des Truchseſs, des Marschalls, des Schenken und des Kämmerers 36 finden sich auch am Hofe des fränkischen Königs. Der Truchseſs wird in merowingischer Zeit nicht genannt. Vermutlich war mit seinem Amte die Oberaufsicht über den Hofhalt verbunden, und erscheint er deshalb als Seneschalk 37, vor- übergehend auch als maior domus. In karolingischer Zeit wird er gelegentlich als regiae mensae praepositus, als infertor oder als prin- ceps coquorum, seit dem letzten Viertel des neunten Jahrhunderts auch als dapifer bezeichnet 38. Der merowingische Kämmerer heiſst thesaurarius oder cubicularius. Er hat die Aufsicht über den Hort des Königs. Durch seine Hand gehen Geschenke, die der König daraus spendet. Er hat Unterbeamte, camararii genannt 39. Im karo- lingischen Sprachgebrauch ist umgekehrt der camerarius der oberste Schatzbeamte 40, während cubicularii, saccelarii und dispensatores 41 seine Unterbeamten sind. Der Marschall tritt am Hofe des Königs unter dem römischen Titel comes stabuli, constabulus auf, wogegen mare- scalcus für die niederen Stalldiener gebraucht wird 42. Gelegentlich wird er als Heerführer verwendet. Doch reicht seine Bedeutung nicht 31 32 Siehe darüber unten § 92. 33 Satelles für vassallus in den Stellen bei Waitz, VG III 546, Anm. 2 ff. Satellitium für vassalitium bei Waitz, VG VI 40. 34 Hincmar, De ordine palatii c. 22. 27. 35 Monachus S. Galli I 11, MG SS II 736: militares viri vel scholares aulae. Vgl. Z2 f. RG IX 212. 36 Vgl. oben I 235. 37 Ahd. *siniscalh von scalc, Knecht, und dem selbständig nicht nachweisbaren got. Adjectivum sins, alt, das uns nur in dem Superlativ sinista (oben I 125, Anm. 33) vorliegt. Grimm, Gesch. d. deutsch. Spr. S. 706. Graff, Sprachschatz VI 25. 38 Waitz, VG III 500, Anm. 2. 39 Waitz, VG II 2, S. 73 f. 40 In Mon. S. Galli II 6, MG SS II 750 ist unter dem magister der cubi- cularii der camerarius gemeint. 41 Hincmar, De ordine pal. c. 17. 42 Cap. Aquigr. 801—813, c. 10, I 171. 31 domno imperatore domi remanserint . . Annales Lauresham. z. J. 802, SS I 38: noluit de infra palatio pauperiores vassos suos transmittere. Cap. miss. v. J. 819, c. 27, I 291. Cap. de exped. Corsic. v. J. 825, c. 1, I 325. Cap. Papiense v. J. 876, c. 13, II 103.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/119>, abgerufen am 06.05.2024.