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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
mit der angeblichen Krone Konstantins30, das heisst mit jener Krone,
welche nach einer berüchtigten Fälschung, nach dem sogen. Consti-
tutum Constantini, Kaiser Konstantin dem Papste Silvester geschenkt
haben soll, als er ihm und seinen Nachfolgern die kaiserliche Würde
und die Herrschaft über das Abendland übertrug31. Wahrscheinlich
war es von päpstlicher Seite darauf abgesehen, die wiederholte Krönung
zu motivieren und wurde zu diesem Zwecke die Fabel des Constitu-
tum Constantini verwertet. Wie Ludwig I., ist auch sein Sohn
Lothar nachträglich, nämlich 823, von Papst Paschalis I. gekrönt wor-
den. Auch diesmal ging die Initiative vom Papste aus. Der Papst
war es, der Lothar I. gebeten hatte, nach Rom zu kommen32.

Erst um die Mitte des neunten Jahrhunderts macht sich die be-
zeichnende Wendung geltend, welche die Kreation des Kaisers in den
päpstlichen Weiheakt verlegt. Als die konstitutive Handlung gilt aber
vorerst nicht die Krönung, sondern die Salbung, bei welcher der Papst
keine Konkurrenz der kaiserlichen Väter zu besorgen hatte. Lud-
wig II., den sein Vater Lothar I. zum Kaiser ernannt hatte, wurde

30 Ermoldus Nigellus II 425: coronam, quae Constantini caesaris ante fuit.
H. Brunner, Constitutum Constantini S. 28. Wenn Scheffer-Boichorst
meine Ausführungen dahin ergänzt, dass nach meiner Auffassung Ludwigs Kaiser-
tum für den Papst erst 816 beginne, so ist dies Willkür. Für den, der zwischen
formeller und staatsrechtlicher Bedeutung der Krönung zu unterscheiden weiss, er-
giebt sich jene Konsequenz mit nichten, ganz abgesehen davon, dass die Kurie sich
von je nur dann auf Logik steifte, wenn ihren Interessen die Macht zur Seite
stand. Damit fällt die ganze Polemik in sich zusammen, in welcher Scheffer-
Boichorst
mit dem Ausdruck 'wahre Kaiserkrone' Fangball spielt, der von mir
in dem unterlegten Sinne nicht gebraucht worden ist. Auf ein Missverständnis
meiner Ausführungen geht es zurück, wenn Scheffer-Boichorst gegen meine
angebliche Behauptung polemisiert, dass Stephan IV. im Besitz der Kaiserkrone
geblieben sei. Die Bemerkung, dass Rom im weiteren Verlauf des neunten Jahr-
hunderts keinen dringenden Anlass gehabt habe, den Besitz der konstantinischen
Kaiserkrone zu betonen, ist, wie der Schluss des Absatzes und das Voraus-
gehende ergeben, als ein Argument gegen die Entstehung des Constitutum nach
816 gemeint.
31 Über die Entstehungszeit des Constitutum habe ich die Vermutung ausgespro-
chen, dass es 813 bis 816 gefälscht oder interpoliert worden sei. Die Litteratur
der Streitfrage ist seitdem erheblich gewachsen. Ein gründliches Referat giebt
E. Loening in v. Sybels hist. Zeitschr. N. F XXIX 193, in dem er seinerseits für
die Abfassung in den Jahren 772--781 eintritt. Die Schwierigkeiten, welche die
überlieferte Form des Constitutum der Annahme so früher Entstehungszeit entgegen-
setzt, scheinen mir auch durch Loening nicht oder doch nicht völlig behoben
zu sein.
32 Lothar ging nach Rom rogante Paschale. Dass der Papst ihn einlud,
sagt Lothar I. selbst in Mühlbacher Nr. 1043. Siehe Richter, Annalen d.
fränk. Reichs II 240 f.

§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
mit der angeblichen Krone Konstantins30, das heiſst mit jener Krone,
welche nach einer berüchtigten Fälschung, nach dem sogen. Consti-
tutum Constantini, Kaiser Konstantin dem Papste Silvester geschenkt
haben soll, als er ihm und seinen Nachfolgern die kaiserliche Würde
und die Herrschaft über das Abendland übertrug31. Wahrscheinlich
war es von päpstlicher Seite darauf abgesehen, die wiederholte Krönung
zu motivieren und wurde zu diesem Zwecke die Fabel des Constitu-
tum Constantini verwertet. Wie Ludwig I., ist auch sein Sohn
Lothar nachträglich, nämlich 823, von Papst Paschalis I. gekrönt wor-
den. Auch diesmal ging die Initiative vom Papste aus. Der Papst
war es, der Lothar I. gebeten hatte, nach Rom zu kommen32.

Erst um die Mitte des neunten Jahrhunderts macht sich die be-
zeichnende Wendung geltend, welche die Kreation des Kaisers in den
päpstlichen Weiheakt verlegt. Als die konstitutive Handlung gilt aber
vorerst nicht die Krönung, sondern die Salbung, bei welcher der Papst
keine Konkurrenz der kaiserlichen Väter zu besorgen hatte. Lud-
wig II., den sein Vater Lothar I. zum Kaiser ernannt hatte, wurde

30 Ermoldus Nigellus II 425: coronam, quae Constantini caesaris ante fuit.
H. Brunner, Constitutum Constantini S. 28. Wenn Scheffer-Boichorst
meine Ausführungen dahin ergänzt, daſs nach meiner Auffassung Ludwigs Kaiser-
tum für den Papst erst 816 beginne, so ist dies Willkür. Für den, der zwischen
formeller und staatsrechtlicher Bedeutung der Krönung zu unterscheiden weiſs, er-
giebt sich jene Konsequenz mit nichten, ganz abgesehen davon, daſs die Kurie sich
von je nur dann auf Logik steifte, wenn ihren Interessen die Macht zur Seite
stand. Damit fällt die ganze Polemik in sich zusammen, in welcher Scheffer-
Boichorst
mit dem Ausdruck ‘wahre Kaiserkrone’ Fangball spielt, der von mir
in dem unterlegten Sinne nicht gebraucht worden ist. Auf ein Miſsverständnis
meiner Ausführungen geht es zurück, wenn Scheffer-Boichorst gegen meine
angebliche Behauptung polemisiert, daſs Stephan IV. im Besitz der Kaiserkrone
geblieben sei. Die Bemerkung, daſs Rom im weiteren Verlauf des neunten Jahr-
hunderts keinen dringenden Anlaſs gehabt habe, den Besitz der konstantinischen
Kaiserkrone zu betonen, ist, wie der Schluſs des Absatzes und das Voraus-
gehende ergeben, als ein Argument gegen die Entstehung des Constitutum nach
816 gemeint.
31 Über die Entstehungszeit des Constitutum habe ich die Vermutung ausgespro-
chen, daſs es 813 bis 816 gefälscht oder interpoliert worden sei. Die Litteratur
der Streitfrage ist seitdem erheblich gewachsen. Ein gründliches Referat giebt
E. Loening in v. Sybels hist. Zeitschr. N. F XXIX 193, in dem er seinerseits für
die Abfassung in den Jahren 772—781 eintritt. Die Schwierigkeiten, welche die
überlieferte Form des Constitutum der Annahme so früher Entstehungszeit entgegen-
setzt, scheinen mir auch durch Loening nicht oder doch nicht völlig behoben
zu sein.
32 Lothar ging nach Rom rogante Paschale. Daſs der Papst ihn einlud,
sagt Lothar I. selbst in Mühlbacher Nr. 1043. Siehe Richter, Annalen d.
fränk. Reichs II 240 f.
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[90/0108] § 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum mit der angeblichen Krone Konstantins 30, das heiſst mit jener Krone, welche nach einer berüchtigten Fälschung, nach dem sogen. Consti- tutum Constantini, Kaiser Konstantin dem Papste Silvester geschenkt haben soll, als er ihm und seinen Nachfolgern die kaiserliche Würde und die Herrschaft über das Abendland übertrug 31. Wahrscheinlich war es von päpstlicher Seite darauf abgesehen, die wiederholte Krönung zu motivieren und wurde zu diesem Zwecke die Fabel des Constitu- tum Constantini verwertet. Wie Ludwig I., ist auch sein Sohn Lothar nachträglich, nämlich 823, von Papst Paschalis I. gekrönt wor- den. Auch diesmal ging die Initiative vom Papste aus. Der Papst war es, der Lothar I. gebeten hatte, nach Rom zu kommen 32. Erst um die Mitte des neunten Jahrhunderts macht sich die be- zeichnende Wendung geltend, welche die Kreation des Kaisers in den päpstlichen Weiheakt verlegt. Als die konstitutive Handlung gilt aber vorerst nicht die Krönung, sondern die Salbung, bei welcher der Papst keine Konkurrenz der kaiserlichen Väter zu besorgen hatte. Lud- wig II., den sein Vater Lothar I. zum Kaiser ernannt hatte, wurde 30 Ermoldus Nigellus II 425: coronam, quae Constantini caesaris ante fuit. H. Brunner, Constitutum Constantini S. 28. Wenn Scheffer-Boichorst meine Ausführungen dahin ergänzt, daſs nach meiner Auffassung Ludwigs Kaiser- tum für den Papst erst 816 beginne, so ist dies Willkür. Für den, der zwischen formeller und staatsrechtlicher Bedeutung der Krönung zu unterscheiden weiſs, er- giebt sich jene Konsequenz mit nichten, ganz abgesehen davon, daſs die Kurie sich von je nur dann auf Logik steifte, wenn ihren Interessen die Macht zur Seite stand. Damit fällt die ganze Polemik in sich zusammen, in welcher Scheffer- Boichorst mit dem Ausdruck ‘wahre Kaiserkrone’ Fangball spielt, der von mir in dem unterlegten Sinne nicht gebraucht worden ist. Auf ein Miſsverständnis meiner Ausführungen geht es zurück, wenn Scheffer-Boichorst gegen meine angebliche Behauptung polemisiert, daſs Stephan IV. im Besitz der Kaiserkrone geblieben sei. Die Bemerkung, daſs Rom im weiteren Verlauf des neunten Jahr- hunderts keinen dringenden Anlaſs gehabt habe, den Besitz der konstantinischen Kaiserkrone zu betonen, ist, wie der Schluſs des Absatzes und das Voraus- gehende ergeben, als ein Argument gegen die Entstehung des Constitutum nach 816 gemeint. 31 Über die Entstehungszeit des Constitutum habe ich die Vermutung ausgespro- chen, daſs es 813 bis 816 gefälscht oder interpoliert worden sei. Die Litteratur der Streitfrage ist seitdem erheblich gewachsen. Ein gründliches Referat giebt E. Loening in v. Sybels hist. Zeitschr. N. F XXIX 193, in dem er seinerseits für die Abfassung in den Jahren 772—781 eintritt. Die Schwierigkeiten, welche die überlieferte Form des Constitutum der Annahme so früher Entstehungszeit entgegen- setzt, scheinen mir auch durch Loening nicht oder doch nicht völlig behoben zu sein. 32 Lothar ging nach Rom rogante Paschale. Daſs der Papst ihn einlud, sagt Lothar I. selbst in Mühlbacher Nr. 1043. Siehe Richter, Annalen d. fränk. Reichs II 240 f.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/108>, abgerufen am 24.11.2024.