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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 43. Die Leges Wisigothorum.
lich umfangreich gewesen sein, denn die überlieferten Bruchstücke
stammen aus der Reihe der Kapitel 276--336. Die meisten Frag-
mente begegnen uns mehr oder minder umgearbeitet und in anderer
Anordnung in der Lex Wisigothorum unter der Überschrift Antiqua, die
übrigens noch bei zahlreichen Gesetzen erscheint, welche uns in den
Pariser Fragmenten fehlen.

Die Entstehungszeit der Sammlung, welcher die Pariser Fragmente
angehören, ist streitig. Was uns über die ältere westgotische Gesetz-
gebung berichtet wird, beschränkt sich auf spärliche Angaben. Einzelne
Gesetze scheint nach ihnen schon Theoderich I. (419--451) oder
Theoderich II. (453--466) gegeben zu haben 2. Doch ist die Erinne-
rung an diese Gesetze im Westgotenreiche früh entschwunden; denn
Bischof Isidor von Sevilla (+ 636) bezeichnet bestimmt den König
Eurich (466--484) als den ersten Gesetzgeber der Westgoten 3. Eine
Verbesserung und Ergänzung der Gesetze Eurichs hat, nach demselben
Isidor, der westgotische König Leovigild (+ 586) vorgenommen 4.
Ausserdem berichtet noch eine späte und nicht sehr lautere Quelle,
die Weltchronik des Lukas von Tuy (+ 1250), König Reccared I.
(586--601) habe im sechsten Jahre seiner Regierung die gotischen
Gesetze in knapperer Fassung zusammenstellen lassen 5.

In den Pariser Fragmenten sehen die meisten den Überrest der
angeblich von Reccared I. vorgenommenen Redaktion des Westgoten-
rechtes 6, andere schreiben sie Alarich II. 7 oder Leovigild 8, dagegen
E. Th. Gaupp und Gustav Hänel 9 dem König Eurich zu. Leovigild
kann sie nicht verfasst haben, weil aus zwei Stellen hervorgeht 10, dass

2 Apollinaris Sidonius sagt in einem vor 468 abgefassten Briefe (II 12 ed.
Baret) von einem Römer: leges Theodosianas calcans Theodoricianasque proponens.
Es ist kein Grund die Nachricht als wertlos zu verwerfen, wie schon Gaupp und
Binding bemerkt haben.
3 Chronicon seu hist. Gothorum zu 466 (aerae vulg.): sub hoc rege Gothi
legum statuta in scriptis habere coeperunt; nam antea tantum moribus et consue-
tudine tenebantur. Hispania illustr. III 849.
4 Isidor zu 570 (aerae vulg.): in legibus quoque ea, quae ab Eurico incon-
dite constituta videbantur, correxit; plurimas leges praetermissas adiiciens, plerasque
superfluas auferens. Hisp. ill. III 850.
5 Anno regni sui sexto Gothicas leges conpendiose fecit abbreviari. Das. IV 50.
6 So Bluhme, Helfferich, Merkel, Stobbe, Dahn, v. Bethmann-
Hollweg.
7 Petigny, Zöpfl und Walter.
8 So Gaudenzi a. O. S 187.
9 Lex Rom. Visig. S XCVI Anm 31.
10 Nämlich Fr. 277: antiquos uero terminos sic stare iubemus sicut et bonae me-
moriae pater noster in alia lege praecepit. Ferner ebendaselbst: omnes autem causas
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 21

§ 43. Die Leges Wisigothorum.
lich umfangreich gewesen sein, denn die überlieferten Bruchstücke
stammen aus der Reihe der Kapitel 276—336. Die meisten Frag-
mente begegnen uns mehr oder minder umgearbeitet und in anderer
Anordnung in der Lex Wisigothorum unter der Überschrift Antiqua, die
übrigens noch bei zahlreichen Gesetzen erscheint, welche uns in den
Pariser Fragmenten fehlen.

Die Entstehungszeit der Sammlung, welcher die Pariser Fragmente
angehören, ist streitig. Was uns über die ältere westgotische Gesetz-
gebung berichtet wird, beschränkt sich auf spärliche Angaben. Einzelne
Gesetze scheint nach ihnen schon Theoderich I. (419—451) oder
Theoderich II. (453—466) gegeben zu haben 2. Doch ist die Erinne-
rung an diese Gesetze im Westgotenreiche früh entschwunden; denn
Bischof Isidor von Sevilla († 636) bezeichnet bestimmt den König
Eurich (466—484) als den ersten Gesetzgeber der Westgoten 3. Eine
Verbesserung und Ergänzung der Gesetze Eurichs hat, nach demselben
Isidor, der westgotische König Leovigild († 586) vorgenommen 4.
Auſserdem berichtet noch eine späte und nicht sehr lautere Quelle,
die Weltchronik des Lukas von Tuy († 1250), König Reccared I.
(586—601) habe im sechsten Jahre seiner Regierung die gotischen
Gesetze in knapperer Fassung zusammenstellen lassen 5.

In den Pariser Fragmenten sehen die meisten den Überrest der
angeblich von Reccared I. vorgenommenen Redaktion des Westgoten-
rechtes 6, andere schreiben sie Alarich II. 7 oder Leovigild 8, dagegen
E. Th. Gaupp und Gustav Hänel 9 dem König Eurich zu. Leovigild
kann sie nicht verfaſst haben, weil aus zwei Stellen hervorgeht 10, daſs

2 Apollinaris Sidonius sagt in einem vor 468 abgefaſsten Briefe (II 12 éd.
Baret) von einem Römer: leges Theodosianas calcans Theodoricianasque proponens.
Es ist kein Grund die Nachricht als wertlos zu verwerfen, wie schon Gaupp und
Binding bemerkt haben.
3 Chronicon seu hist. Gothorum zu 466 (aerae vulg.): sub hoc rege Gothi
legum statuta in scriptis habere coeperunt; nam antea tantum moribus et consue-
tudine tenebantur. Hispania illustr. III 849.
4 Isidor zu 570 (aerae vulg.): in legibus quoque ea, quae ab Eurico incon-
dite constituta videbantur, correxit; plurimas leges praetermissas adiiciens, plerasque
superfluas auferens. Hisp. ill. III 850.
5 Anno regni sui sexto Gothicas leges conpendiose fecit abbreviari. Das. IV 50.
6 So Bluhme, Helfferich, Merkel, Stobbe, Dahn, v. Bethmann-
Hollweg.
7 Pétigny, Zöpfl und Walter.
8 So Gaudenzi a. O. S 187.
9 Lex Rom. Visig. S XCVI Anm 31.
10 Nämlich Fr. 277: antiquos uero terminos sic stare iubemus sicut et bonae me-
moriae pater noster in alia lege praecepit. Ferner ebendaselbst: omnes autem causas
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 21
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[321/0339] § 43. Die Leges Wisigothorum. lich umfangreich gewesen sein, denn die überlieferten Bruchstücke stammen aus der Reihe der Kapitel 276—336. Die meisten Frag- mente begegnen uns mehr oder minder umgearbeitet und in anderer Anordnung in der Lex Wisigothorum unter der Überschrift Antiqua, die übrigens noch bei zahlreichen Gesetzen erscheint, welche uns in den Pariser Fragmenten fehlen. Die Entstehungszeit der Sammlung, welcher die Pariser Fragmente angehören, ist streitig. Was uns über die ältere westgotische Gesetz- gebung berichtet wird, beschränkt sich auf spärliche Angaben. Einzelne Gesetze scheint nach ihnen schon Theoderich I. (419—451) oder Theoderich II. (453—466) gegeben zu haben 2. Doch ist die Erinne- rung an diese Gesetze im Westgotenreiche früh entschwunden; denn Bischof Isidor von Sevilla († 636) bezeichnet bestimmt den König Eurich (466—484) als den ersten Gesetzgeber der Westgoten 3. Eine Verbesserung und Ergänzung der Gesetze Eurichs hat, nach demselben Isidor, der westgotische König Leovigild († 586) vorgenommen 4. Auſserdem berichtet noch eine späte und nicht sehr lautere Quelle, die Weltchronik des Lukas von Tuy († 1250), König Reccared I. (586—601) habe im sechsten Jahre seiner Regierung die gotischen Gesetze in knapperer Fassung zusammenstellen lassen 5. In den Pariser Fragmenten sehen die meisten den Überrest der angeblich von Reccared I. vorgenommenen Redaktion des Westgoten- rechtes 6, andere schreiben sie Alarich II. 7 oder Leovigild 8, dagegen E. Th. Gaupp und Gustav Hänel 9 dem König Eurich zu. Leovigild kann sie nicht verfaſst haben, weil aus zwei Stellen hervorgeht 10, daſs 2 Apollinaris Sidonius sagt in einem vor 468 abgefaſsten Briefe (II 12 éd. Baret) von einem Römer: leges Theodosianas calcans Theodoricianasque proponens. Es ist kein Grund die Nachricht als wertlos zu verwerfen, wie schon Gaupp und Binding bemerkt haben. 3 Chronicon seu hist. Gothorum zu 466 (aerae vulg.): sub hoc rege Gothi legum statuta in scriptis habere coeperunt; nam antea tantum moribus et consue- tudine tenebantur. Hispania illustr. III 849. 4 Isidor zu 570 (aerae vulg.): in legibus quoque ea, quae ab Eurico incon- dite constituta videbantur, correxit; plurimas leges praetermissas adiiciens, plerasque superfluas auferens. Hisp. ill. III 850. 5 Anno regni sui sexto Gothicas leges conpendiose fecit abbreviari. Das. IV 50. 6 So Bluhme, Helfferich, Merkel, Stobbe, Dahn, v. Bethmann- Hollweg. 7 Pétigny, Zöpfl und Walter. 8 So Gaudenzi a. O. S 187. 9 Lex Rom. Visig. S XCVI Anm 31. 10 Nämlich Fr. 277: antiquos uero terminos sic stare iubemus sicut et bonae me- moriae pater noster in alia lege praecepit. Ferner ebendaselbst: omnes autem causas Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 21

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/339>, abgerufen am 24.11.2024.