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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 43. Die Leges Wisigothorum.
der Gesetzgeber Sohn eines westgotischen Königs war, was nicht auf
Leovigild, wohl aber auf Eurich, den Sohn Theoderichs I., auf
Alarich II., den Sohn Eurichs, und auf Reccared, den Sohn Leovigilds,
passen würde. Gegen Reccareds Autorschaft spricht ebenso wie gegen
diejenige Alarichs II. das Schweigen Isidors. Will man dieses Schweigen
damit erklären, dass Reccareds Redaktion nur wenig an dem vor-
handenen Gesetzesstoff geändert habe 11, so bricht man der Streitfrage
die Spitze ab, denn dann müssen die in der Antiqua vorliegenden
Rechtssätze in der Hauptsache eben von Eurich oder von Leovigild
herrühren.

Reccared war der erste katholische König der Westgoten. Man
glaubt, dass die Begünstigung des Katholizismus für ihn der Anlass
zu einer neuen Redaktion des Westgotenrechtes gewesen sei, und will
in den Pariser Fragmenten die Einwirkung eines 589 auf dem dritten
Konzil von Toledo gefassten Beschlusses erkennen, indem man an-
nimmt, dass c. 306 der Fragmente aus Kanon 3 des gedachten Konzils
geflossen sei 12. Das Fragment verbietet die Veräusserung von Kirchen-
gütern ohne Zustimmung aller übrigen Kleriker der Kirche 13, eine
Beschränkung, welche nachweislich ein Grundsatz des arianischen
Kirchenrechtes war 14. Dagegen sagt Kanon 3 des toledanischen

quae in regno bonae memoriae patris nostri seu bonae seu male actae sunt, non
permittimus commoveri. Bei dem Inhalt der beiden Rechtssätze wäre es eine Ge-
dankenlosigkeit sondergleichen gewesen, wenn etwa der Autor der Sammlung ein
älteres Gesetz eines Vorgängers mit diesem Wortlaut in dieselbe aufgenommen
hätte. Als Autor der Sammlung kann daher füglich nur der Verfasser von Fr. 277
betrachtet werden.
11 So Dahn S 11; v. Bethmann-Hollweg IV 211 Anm 17.
12 Helfferich a. O. S. 45: Das in den Fragmenten (306) durch einen er-
wünschten Zufall erhaltene alte Gesetz V 1, 3 steht in unverkennbarer Beziehung
zu Conc. Tolet. III c. 3.
13 Si quis episcopus uel presb[yter vel clericus] praeter consensum om[nium
clericorum aliquid de re]bus aecclesiae uende[derit uel donauerit hoc fir]mum non
esse precipimus. Die folgenden Worte: quia secundum canones, sind eine unberech-
tigte Konjektur Bluhmes.
14 In der Urkunde Marini, Pap. dipl. Nr 119, Spangenberg, Tabulae
negotiorum S 266 f. v. J. 551 verkauft der gotische Klerus der heiligen Anastasia zu
Ravenna ein Grundstück. Die Verkäufer versprechen ausdrücklich Gewährschaft zu
leisten, si forte quis conministrorum nostrorum qui nunc absentes sunt ... contra
hanc nostram deliverationem temptaverint sive ipsi aut forsitan futurus episcopus.
Dieses Gewährschaftsversprechen setzt voraus, dass die Zustimmung der conministri
absentes nötig gewesen wäre und diese de iure den Verkauf anfechten könnten.
Theoderichs I. Edikt, LL V 169, welches die Veräusserung des Eigentums an
Kirchengütern schlechtweg verbietet (s. unten § 52), bezieht sich auf die katholische
Kirche.

§ 43. Die Leges Wisigothorum.
der Gesetzgeber Sohn eines westgotischen Königs war, was nicht auf
Leovigild, wohl aber auf Eurich, den Sohn Theoderichs I., auf
Alarich II., den Sohn Eurichs, und auf Reccared, den Sohn Leovigilds,
passen würde. Gegen Reccareds Autorschaft spricht ebenso wie gegen
diejenige Alarichs II. das Schweigen Isidors. Will man dieses Schweigen
damit erklären, daſs Reccareds Redaktion nur wenig an dem vor-
handenen Gesetzesstoff geändert habe 11, so bricht man der Streitfrage
die Spitze ab, denn dann müssen die in der Antiqua vorliegenden
Rechtssätze in der Hauptsache eben von Eurich oder von Leovigild
herrühren.

Reccared war der erste katholische König der Westgoten. Man
glaubt, daſs die Begünstigung des Katholizismus für ihn der Anlaſs
zu einer neuen Redaktion des Westgotenrechtes gewesen sei, und will
in den Pariser Fragmenten die Einwirkung eines 589 auf dem dritten
Konzil von Toledo gefaſsten Beschlusses erkennen, indem man an-
nimmt, daſs c. 306 der Fragmente aus Kanon 3 des gedachten Konzils
geflossen sei 12. Das Fragment verbietet die Veräuſserung von Kirchen-
gütern ohne Zustimmung aller übrigen Kleriker der Kirche 13, eine
Beschränkung, welche nachweislich ein Grundsatz des arianischen
Kirchenrechtes war 14. Dagegen sagt Kanon 3 des toledanischen

quae in regno bonae memoriae patris nostri seu bonae seu male actae sunt, non
permittimus commoveri. Bei dem Inhalt der beiden Rechtssätze wäre es eine Ge-
dankenlosigkeit sondergleichen gewesen, wenn etwa der Autor der Sammlung ein
älteres Gesetz eines Vorgängers mit diesem Wortlaut in dieselbe aufgenommen
hätte. Als Autor der Sammlung kann daher füglich nur der Verfasser von Fr. 277
betrachtet werden.
11 So Dahn S 11; v. Bethmann-Hollweg IV 211 Anm 17.
12 Helfferich a. O. S. 45: Das in den Fragmenten (306) durch einen er-
wünschten Zufall erhaltene alte Gesetz V 1, 3 steht in unverkennbarer Beziehung
zu Conc. Tolet. III c. 3.
13 Si quis episcopus uel presb[yter vel clericus] praeter consensum om[nium
clericorum aliquid de re]bus aecclesiae uende[derit uel donauerit hoc fir]mum non
esse precipimus. Die folgenden Worte: quia secundum canones, sind eine unberech-
tigte Konjektur Bluhmes.
14 In der Urkunde Marini, Pap. dipl. Nr 119, Spangenberg, Tabulae
negotiorum S 266 f. v. J. 551 verkauft der gotische Klerus der heiligen Anastasia zu
Ravenna ein Grundstück. Die Verkäufer versprechen ausdrücklich Gewährschaft zu
leisten, si forte quis conministrorum nostrorum qui nunc absentes sunt … contra
hanc nostram deliverationem temptaverint sive ipsi aut forsitan futurus episcopus.
Dieses Gewährschaftsversprechen setzt voraus, daſs die Zustimmung der conministri
absentes nötig gewesen wäre und diese de iure den Verkauf anfechten könnten.
Theoderichs I. Edikt, LL V 169, welches die Veräuſserung des Eigentums an
Kirchengütern schlechtweg verbietet (s. unten § 52), bezieht sich auf die katholische
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[322/0340] § 43. Die Leges Wisigothorum. der Gesetzgeber Sohn eines westgotischen Königs war, was nicht auf Leovigild, wohl aber auf Eurich, den Sohn Theoderichs I., auf Alarich II., den Sohn Eurichs, und auf Reccared, den Sohn Leovigilds, passen würde. Gegen Reccareds Autorschaft spricht ebenso wie gegen diejenige Alarichs II. das Schweigen Isidors. Will man dieses Schweigen damit erklären, daſs Reccareds Redaktion nur wenig an dem vor- handenen Gesetzesstoff geändert habe 11, so bricht man der Streitfrage die Spitze ab, denn dann müssen die in der Antiqua vorliegenden Rechtssätze in der Hauptsache eben von Eurich oder von Leovigild herrühren. Reccared war der erste katholische König der Westgoten. Man glaubt, daſs die Begünstigung des Katholizismus für ihn der Anlaſs zu einer neuen Redaktion des Westgotenrechtes gewesen sei, und will in den Pariser Fragmenten die Einwirkung eines 589 auf dem dritten Konzil von Toledo gefaſsten Beschlusses erkennen, indem man an- nimmt, daſs c. 306 der Fragmente aus Kanon 3 des gedachten Konzils geflossen sei 12. Das Fragment verbietet die Veräuſserung von Kirchen- gütern ohne Zustimmung aller übrigen Kleriker der Kirche 13, eine Beschränkung, welche nachweislich ein Grundsatz des arianischen Kirchenrechtes war 14. Dagegen sagt Kanon 3 des toledanischen 10 11 So Dahn S 11; v. Bethmann-Hollweg IV 211 Anm 17. 12 Helfferich a. O. S. 45: Das in den Fragmenten (306) durch einen er- wünschten Zufall erhaltene alte Gesetz V 1, 3 steht in unverkennbarer Beziehung zu Conc. Tolet. III c. 3. 13 Si quis episcopus uel presb[yter vel clericus] praeter consensum om[nium clericorum aliquid de re]bus aecclesiae uende[derit uel donauerit hoc fir]mum non esse precipimus. Die folgenden Worte: quia secundum canones, sind eine unberech- tigte Konjektur Bluhmes. 14 In der Urkunde Marini, Pap. dipl. Nr 119, Spangenberg, Tabulae negotiorum S 266 f. v. J. 551 verkauft der gotische Klerus der heiligen Anastasia zu Ravenna ein Grundstück. Die Verkäufer versprechen ausdrücklich Gewährschaft zu leisten, si forte quis conministrorum nostrorum qui nunc absentes sunt … contra hanc nostram deliverationem temptaverint sive ipsi aut forsitan futurus episcopus. Dieses Gewährschaftsversprechen setzt voraus, daſs die Zustimmung der conministri absentes nötig gewesen wäre und diese de iure den Verkauf anfechten könnten. Theoderichs I. Edikt, LL V 169, welches die Veräuſserung des Eigentums an Kirchengütern schlechtweg verbietet (s. unten § 52), bezieht sich auf die katholische Kirche. 10 quae in regno bonae memoriae patris nostri seu bonae seu male actae sunt, non permittimus commoveri. Bei dem Inhalt der beiden Rechtssätze wäre es eine Ge- dankenlosigkeit sondergleichen gewesen, wenn etwa der Autor der Sammlung ein älteres Gesetz eines Vorgängers mit diesem Wortlaut in dieselbe aufgenommen hätte. Als Autor der Sammlung kann daher füglich nur der Verfasser von Fr. 277 betrachtet werden.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/340>, abgerufen am 24.11.2024.