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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 24. Das fränkische Reich.
gebiete aus und begann ein Reichsrecht von unbeschränkter territorialer
Geltung zu schaffen. Von kirchlichen Gesichtspunkten erfüllt, nahmen
Verwaltung und Gesetzgebung einen Zug der Bevormundung an,
welcher der merowingischen Zeit völlig fremd war. Während die mero-
wingische Toleranz den ostrheinischen Stämmen gestattet hatte in heid-
nischem Glauben und heidnischer Sitte zu beharren, wurden sie unter
den Karolingern von Staats wegen zum Christentum übergeführt und
in die kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnungen des Westens
hineingezogen. Seit das Christentum als politische Grundlage der
Reichseinheit verwertet und gefördert wurde, veränderte sich das Ver-
hältnis des Staates zur Kirche. Diese wurde zur Mitwirkung an den
unmittelbaren Staatsaufgaben berufen, nachdem sie durch eine Reform
den Charakter der fränkischen Landeskirche eingebüsst hatte.

Das Geschlecht der Merowinger hatte einst in dem heidnischen
Mythus seines göttlichen Ursprungs eine religiöse Stütze seines Herr-
scherrechtes besessen. Eine solche verschaffte sich auch Pippin, indem
er zu seinem Staatsstreiche die Zustimmung des römischen Bischofs
einholte. Kirchliche Weihe und Salbung sollten den Mangel der
Legitimität ersetzen. Die neue Dynastie und das Papsttum traten
sofort in engste Beziehung. Pippin zog auf Bitten des Papstes nach
Italien gegen den Langobardenkönig Aistulf, welcher Rom bedrohte,
entriss ihm die Eroberungen, die er in den vom Papste bean-
spruchten, nominell noch zum oströmischen Reiche gehörigen Teilen
Italiens gemacht hatte, und überwies sie dem Gemeinwesen des hei-
ligen Petrus.

Auf den Höhepunkt seiner Macht erhob sich das fränkische Reich
unter Karl dem Grossen (768--814). Als die Langobarden unter
König Desiderius die Feindseligkeiten gegen das päpstliche Gebiet
erneuerten, unterwarf er sie und machte sich selbst zum König des
Langobardenreiches. Seit dem 5. Juni 774 urkundet er als rex
Francorum et Langobardorum, ein Titel, der die Sonderstellung des
Langobardenreichs zum Ausdruck brachte, welches der fränkischen
Monarchie nicht so enge wie die übrigen Provinzen angegliedert
wurde. In dreissigjährigem Kampfe zwang er die Sachsen unter
die Herrschaft der Franken und des Christentums, der nun auch
die Ostfriesen unterworfen wurden. Die Unbotmässigkeit des Baiern-
herzogs Tassilos III. bot den Anlass, das letzte der in mero-
wingischer Zeit selbständig gewordenen Herzogtümer zu beseitigen
und Baiern dem Reiche wieder völlig einzuverleiben. In glücklichen
Kriegen gegen Avaren und Araber gelang es, die Reichsgrenzen im
Osten und gegen Südwesten vorzuschieben.

§ 24. Das fränkische Reich.
gebiete aus und begann ein Reichsrecht von unbeschränkter territorialer
Geltung zu schaffen. Von kirchlichen Gesichtspunkten erfüllt, nahmen
Verwaltung und Gesetzgebung einen Zug der Bevormundung an,
welcher der merowingischen Zeit völlig fremd war. Während die mero-
wingische Toleranz den ostrheinischen Stämmen gestattet hatte in heid-
nischem Glauben und heidnischer Sitte zu beharren, wurden sie unter
den Karolingern von Staats wegen zum Christentum übergeführt und
in die kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnungen des Westens
hineingezogen. Seit das Christentum als politische Grundlage der
Reichseinheit verwertet und gefördert wurde, veränderte sich das Ver-
hältnis des Staates zur Kirche. Diese wurde zur Mitwirkung an den
unmittelbaren Staatsaufgaben berufen, nachdem sie durch eine Reform
den Charakter der fränkischen Landeskirche eingebüſst hatte.

Das Geschlecht der Merowinger hatte einst in dem heidnischen
Mythus seines göttlichen Ursprungs eine religiöse Stütze seines Herr-
scherrechtes besessen. Eine solche verschaffte sich auch Pippin, indem
er zu seinem Staatsstreiche die Zustimmung des römischen Bischofs
einholte. Kirchliche Weihe und Salbung sollten den Mangel der
Legitimität ersetzen. Die neue Dynastie und das Papsttum traten
sofort in engste Beziehung. Pippin zog auf Bitten des Papstes nach
Italien gegen den Langobardenkönig Aistulf, welcher Rom bedrohte,
entriſs ihm die Eroberungen, die er in den vom Papste bean-
spruchten, nominell noch zum oströmischen Reiche gehörigen Teilen
Italiens gemacht hatte, und überwies sie dem Gemeinwesen des hei-
ligen Petrus.

Auf den Höhepunkt seiner Macht erhob sich das fränkische Reich
unter Karl dem Groſsen (768—814). Als die Langobarden unter
König Desiderius die Feindseligkeiten gegen das päpstliche Gebiet
erneuerten, unterwarf er sie und machte sich selbst zum König des
Langobardenreiches. Seit dem 5. Juni 774 urkundet er als rex
Francorum et Langobardorum, ein Titel, der die Sonderstellung des
Langobardenreichs zum Ausdruck brachte, welches der fränkischen
Monarchie nicht so enge wie die übrigen Provinzen angegliedert
wurde. In dreiſsigjährigem Kampfe zwang er die Sachsen unter
die Herrschaft der Franken und des Christentums, der nun auch
die Ostfriesen unterworfen wurden. Die Unbotmäſsigkeit des Baiern-
herzogs Tassilos III. bot den Anlaſs, das letzte der in mero-
wingischer Zeit selbständig gewordenen Herzogtümer zu beseitigen
und Baiern dem Reiche wieder völlig einzuverleiben. In glücklichen
Kriegen gegen Avaren und Araber gelang es, die Reichsgrenzen im
Osten und gegen Südwesten vorzuschieben.

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[191/0209] § 24. Das fränkische Reich. gebiete aus und begann ein Reichsrecht von unbeschränkter territorialer Geltung zu schaffen. Von kirchlichen Gesichtspunkten erfüllt, nahmen Verwaltung und Gesetzgebung einen Zug der Bevormundung an, welcher der merowingischen Zeit völlig fremd war. Während die mero- wingische Toleranz den ostrheinischen Stämmen gestattet hatte in heid- nischem Glauben und heidnischer Sitte zu beharren, wurden sie unter den Karolingern von Staats wegen zum Christentum übergeführt und in die kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnungen des Westens hineingezogen. Seit das Christentum als politische Grundlage der Reichseinheit verwertet und gefördert wurde, veränderte sich das Ver- hältnis des Staates zur Kirche. Diese wurde zur Mitwirkung an den unmittelbaren Staatsaufgaben berufen, nachdem sie durch eine Reform den Charakter der fränkischen Landeskirche eingebüſst hatte. Das Geschlecht der Merowinger hatte einst in dem heidnischen Mythus seines göttlichen Ursprungs eine religiöse Stütze seines Herr- scherrechtes besessen. Eine solche verschaffte sich auch Pippin, indem er zu seinem Staatsstreiche die Zustimmung des römischen Bischofs einholte. Kirchliche Weihe und Salbung sollten den Mangel der Legitimität ersetzen. Die neue Dynastie und das Papsttum traten sofort in engste Beziehung. Pippin zog auf Bitten des Papstes nach Italien gegen den Langobardenkönig Aistulf, welcher Rom bedrohte, entriſs ihm die Eroberungen, die er in den vom Papste bean- spruchten, nominell noch zum oströmischen Reiche gehörigen Teilen Italiens gemacht hatte, und überwies sie dem Gemeinwesen des hei- ligen Petrus. Auf den Höhepunkt seiner Macht erhob sich das fränkische Reich unter Karl dem Groſsen (768—814). Als die Langobarden unter König Desiderius die Feindseligkeiten gegen das päpstliche Gebiet erneuerten, unterwarf er sie und machte sich selbst zum König des Langobardenreiches. Seit dem 5. Juni 774 urkundet er als rex Francorum et Langobardorum, ein Titel, der die Sonderstellung des Langobardenreichs zum Ausdruck brachte, welches der fränkischen Monarchie nicht so enge wie die übrigen Provinzen angegliedert wurde. In dreiſsigjährigem Kampfe zwang er die Sachsen unter die Herrschaft der Franken und des Christentums, der nun auch die Ostfriesen unterworfen wurden. Die Unbotmäſsigkeit des Baiern- herzogs Tassilos III. bot den Anlaſs, das letzte der in mero- wingischer Zeit selbständig gewordenen Herzogtümer zu beseitigen und Baiern dem Reiche wieder völlig einzuverleiben. In glücklichen Kriegen gegen Avaren und Araber gelang es, die Reichsgrenzen im Osten und gegen Südwesten vorzuschieben.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/209>, abgerufen am 27.11.2024.