findet bei der Ausbreitung des fränkischen Reiches jede Einverleibung romanischer Provinzen ihr Widerspiel in einem Zuwachs deutscher Volkskräfte, eine Erscheinung, die sich nachmals unter Karl dem Grossen wiederholte, als im Süden das Langobardenreich, im Norden der Stamm der Sachsen unterworfen, im Westen die spanische, im Osten die avarische Mark errichtet wurden.
Auf die Zeit der kraftvollen Konstituierung des Reiches folgten die inneren Wirren und Thronstreitigkeiten unter den Söhnen und Enkeln Chlothars I. Der häusliche Zwist streute die Saat für das Emporwuchern einer trotzigen und selbstsüchtigen Aristokratie, er ver- tiefte den bei den Reichsteilungen beachteten Gegensatz zwischen Neustrien, dem überwiegend romanischen Neufranken, und dem fast ausschliesslich deutschen Austrasien, er bahnte die Entwicklung an, durch welche die Hausmeier, ursprünglich königliche Hofbeamte, als Führer der Grossen entscheidenden Einfluss auf die Reichsverwaltung gewannen. Nach dem Tode Dagoberts I. (639), der letzten wirklichen Herrschergestalt des merowingischen Hauses, führte die Schwäche des Königtums allenthalben zur Ausbildung territorialer Sondergewalten. Das Reich schien dem Untergange nahe zu sein. Da gelang es einer jener Sondergewalten, dem austrasischen Herzogsgeschlechte der Arnul- finger, die Hausmeierwürde über das gesamte Reich zu erwerben. Im Namen des Königtums, das sie vertraten, wussten sie den Wider- stand der territorialen Mächte zu brechen, die von den Arabern be- drohte Existenz des Reiches zu retten, die Grenzen durch Erwerbung Septimaniens und durch die Unterwerfung der West- und Mittelfriesen zu erweitern und im Innern wieder eine starke Staatsgewalt herzu- stellen. Als diese Aufgabe vollbracht war, beseitigte der letzte Haus- meier, Pippin, der Sohn Karl Martells, das merowingische Schatten- königtum, indem er sich im November 751 von den Franken zum König erheben liess.
Der Übergang der königlichen Gewalt auf das Haus der Arnul- finger, welches nach seinem glänzendsten Vertreter auch das der Karolinger genannt wird, bezeichnet den wichtigsten Wendepunkt der fränkischen Geschichte. Zwischen der merowingischen und der karo- lingischen Epoche besteht ein tiefer innerer Gegensatz, der nicht über- sehen aber freilich auch nicht, wie dies mitunter geschieht, überschätzt werden darf. Hatten die schwachen Merowinger die Provinzen zu einer Selbständigkeit gelangen lassen, welche den Bestand des Reichs in Frage stellte, so verfolgten die Karolinger das Ziel, die regionalen Gegensätze auszugleichen und die Regierung möglichst zu zentralisieren. Die Staatsgewalt dehnte ihre Aufgaben auf bisher unberührte Lebens-
§ 24. Das fränkische Reich.
findet bei der Ausbreitung des fränkischen Reiches jede Einverleibung romanischer Provinzen ihr Widerspiel in einem Zuwachs deutscher Volkskräfte, eine Erscheinung, die sich nachmals unter Karl dem Groſsen wiederholte, als im Süden das Langobardenreich, im Norden der Stamm der Sachsen unterworfen, im Westen die spanische, im Osten die avarische Mark errichtet wurden.
Auf die Zeit der kraftvollen Konstituierung des Reiches folgten die inneren Wirren und Thronstreitigkeiten unter den Söhnen und Enkeln Chlothars I. Der häusliche Zwist streute die Saat für das Emporwuchern einer trotzigen und selbstsüchtigen Aristokratie, er ver- tiefte den bei den Reichsteilungen beachteten Gegensatz zwischen Neustrien, dem überwiegend romanischen Neufranken, und dem fast ausschlieſslich deutschen Austrasien, er bahnte die Entwicklung an, durch welche die Hausmeier, ursprünglich königliche Hofbeamte, als Führer der Groſsen entscheidenden Einfluſs auf die Reichsverwaltung gewannen. Nach dem Tode Dagoberts I. (639), der letzten wirklichen Herrschergestalt des merowingischen Hauses, führte die Schwäche des Königtums allenthalben zur Ausbildung territorialer Sondergewalten. Das Reich schien dem Untergange nahe zu sein. Da gelang es einer jener Sondergewalten, dem austrasischen Herzogsgeschlechte der Arnul- finger, die Hausmeierwürde über das gesamte Reich zu erwerben. Im Namen des Königtums, das sie vertraten, wuſsten sie den Wider- stand der territorialen Mächte zu brechen, die von den Arabern be- drohte Existenz des Reiches zu retten, die Grenzen durch Erwerbung Septimaniens und durch die Unterwerfung der West- und Mittelfriesen zu erweitern und im Innern wieder eine starke Staatsgewalt herzu- stellen. Als diese Aufgabe vollbracht war, beseitigte der letzte Haus- meier, Pippin, der Sohn Karl Martells, das merowingische Schatten- königtum, indem er sich im November 751 von den Franken zum König erheben lieſs.
Der Übergang der königlichen Gewalt auf das Haus der Arnul- finger, welches nach seinem glänzendsten Vertreter auch das der Karolinger genannt wird, bezeichnet den wichtigsten Wendepunkt der fränkischen Geschichte. Zwischen der merowingischen und der karo- lingischen Epoche besteht ein tiefer innerer Gegensatz, der nicht über- sehen aber freilich auch nicht, wie dies mitunter geschieht, überschätzt werden darf. Hatten die schwachen Merowinger die Provinzen zu einer Selbständigkeit gelangen lassen, welche den Bestand des Reichs in Frage stellte, so verfolgten die Karolinger das Ziel, die regionalen Gegensätze auszugleichen und die Regierung möglichst zu zentralisieren. Die Staatsgewalt dehnte ihre Aufgaben auf bisher unberührte Lebens-
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§ 24. Das fränkische Reich.
findet bei der Ausbreitung des fränkischen Reiches jede Einverleibung
romanischer Provinzen ihr Widerspiel in einem Zuwachs deutscher
Volkskräfte, eine Erscheinung, die sich nachmals unter Karl dem
Groſsen wiederholte, als im Süden das Langobardenreich, im Norden
der Stamm der Sachsen unterworfen, im Westen die spanische, im
Osten die avarische Mark errichtet wurden.
Auf die Zeit der kraftvollen Konstituierung des Reiches folgten
die inneren Wirren und Thronstreitigkeiten unter den Söhnen und
Enkeln Chlothars I. Der häusliche Zwist streute die Saat für das
Emporwuchern einer trotzigen und selbstsüchtigen Aristokratie, er ver-
tiefte den bei den Reichsteilungen beachteten Gegensatz zwischen
Neustrien, dem überwiegend romanischen Neufranken, und dem fast
ausschlieſslich deutschen Austrasien, er bahnte die Entwicklung an,
durch welche die Hausmeier, ursprünglich königliche Hofbeamte, als
Führer der Groſsen entscheidenden Einfluſs auf die Reichsverwaltung
gewannen. Nach dem Tode Dagoberts I. (639), der letzten wirklichen
Herrschergestalt des merowingischen Hauses, führte die Schwäche des
Königtums allenthalben zur Ausbildung territorialer Sondergewalten.
Das Reich schien dem Untergange nahe zu sein. Da gelang es einer
jener Sondergewalten, dem austrasischen Herzogsgeschlechte der Arnul-
finger, die Hausmeierwürde über das gesamte Reich zu erwerben.
Im Namen des Königtums, das sie vertraten, wuſsten sie den Wider-
stand der territorialen Mächte zu brechen, die von den Arabern be-
drohte Existenz des Reiches zu retten, die Grenzen durch Erwerbung
Septimaniens und durch die Unterwerfung der West- und Mittelfriesen
zu erweitern und im Innern wieder eine starke Staatsgewalt herzu-
stellen. Als diese Aufgabe vollbracht war, beseitigte der letzte Haus-
meier, Pippin, der Sohn Karl Martells, das merowingische Schatten-
königtum, indem er sich im November 751 von den Franken zum
König erheben lieſs.
Der Übergang der königlichen Gewalt auf das Haus der Arnul-
finger, welches nach seinem glänzendsten Vertreter auch das der
Karolinger genannt wird, bezeichnet den wichtigsten Wendepunkt der
fränkischen Geschichte. Zwischen der merowingischen und der karo-
lingischen Epoche besteht ein tiefer innerer Gegensatz, der nicht über-
sehen aber freilich auch nicht, wie dies mitunter geschieht, überschätzt
werden darf. Hatten die schwachen Merowinger die Provinzen zu
einer Selbständigkeit gelangen lassen, welche den Bestand des Reichs
in Frage stellte, so verfolgten die Karolinger das Ziel, die regionalen
Gegensätze auszugleichen und die Regierung möglichst zu zentralisieren.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/208>, abgerufen am 23.11.2024.
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