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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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Erfahrung aus lässt sich sogar dieser Satz dahin erweitern,
dass fragmentirte Steine mit Inschriften allerdings keineswegs
unecht sein müssen, aber dass sie doch stets mit beson-
derer Vorsicht aufzunehmen sind. Das Ganze mag nicht
selten unter der Hand des Fälschers wenig nach Wunsch
ausgefallen sein, während ein Stück die nöthigen Eigenschaf-
ten zu besitzen schien, um es für alt auszugeben. Zu einer
absichtlichen Verstümmelung zu schreiten, mochte man dann
um so weniger Anstand nehmen, als der fragmentirte Zu-
stand von den Verkäufern nicht selten gerade als eine Ge-
währ der Echtheit scheint geltend gemacht worden zu sein.

Da natürlich die Inschrift modern sein muss, sofern sich
die Neuheit der ganzen Arbeit des Steins nachweisen lässt,
so muss sich die Kritik auch auf die bildliche Darstellung
ausdehnen. Die allgemeinen Gesetze dieser Kritik sind für
alle Denkmäler dieselben: was an einer Statue, einem Relief
in Zeichnung, Modellirung, in der Composition, in der ganzen
Auffassung und Denkweise als unantik gelten muss, ist es
natürlich auch an einem geschnittenen Steine, und es brauchen
daher die Gesetze dieser Kritik hier nicht im Einzelnen er-
örtert zu werden. Dagegen erscheint es durchaus angemes-
sen, wenn Stephani S. 194, wie schon bei Gelegenheit des
Schnittes der Buchstaben, so jetzt in Betreff der Behandlung
der Bilder wiederum hinweist auf "jene Sicherheit und Ener-
gie des Geistes bei der Auffassung der Form sowohl, als
bei der von dieser abhängigen mechanischen Ausführung,
deren Mangel sich bald als Aengstlichkeit und Unentschie-
denheit nach jeder Seite hin äussert, bald als äussere glatte
Eleganz in den allgemeinen Formen, aus welcher Flach-
heit und Unklarheit in der Auffassung der besonderen
Theile durchleuchtet, bald endlich als fein berechnete und
vollkommen regelrechte Consequenz oder sogenannte Cor-
rectheit, welche sich selbst auf alle Nebendinge bis zu ihren
letzten Gliedern erstreckt."

Der rein mechanischen Qualität des Schnittes wird für
die Beurtheilung der Echtheit von Stephani kaum irgend ein
Gewicht beigelegt, da das mechanische Verfahren der ausge-
bildeten Steinschneidekunst im Alterthum in allem Wesent-
lichen dasselbe gewesen, wie in neuerer Zeit (S. 195). Soll-
ten aber auch gewisse feine Unterschiede existiren, so wer-

Erfahrung aus lässt sich sogar dieser Satz dahin erweitern,
dass fragmentirte Steine mit Inschriften allerdings keineswegs
unecht sein müssen, aber dass sie doch stets mit beson-
derer Vorsicht aufzunehmen sind. Das Ganze mag nicht
selten unter der Hand des Fälschers wenig nach Wunsch
ausgefallen sein, während ein Stück die nöthigen Eigenschaf-
ten zu besitzen schien, um es für alt auszugeben. Zu einer
absichtlichen Verstümmelung zu schreiten, mochte man dann
um so weniger Anstand nehmen, als der fragmentirte Zu-
stand von den Verkäufern nicht selten gerade als eine Ge-
währ der Echtheit scheint geltend gemacht worden zu sein.

Da natürlich die Inschrift modern sein muss, sofern sich
die Neuheit der ganzen Arbeit des Steins nachweisen lässt,
so muss sich die Kritik auch auf die bildliche Darstellung
ausdehnen. Die allgemeinen Gesetze dieser Kritik sind für
alle Denkmäler dieselben: was an einer Statue, einem Relief
in Zeichnung, Modellirung, in der Composition, in der ganzen
Auffassung und Denkweise als unantik gelten muss, ist es
natürlich auch an einem geschnittenen Steine, und es brauchen
daher die Gesetze dieser Kritik hier nicht im Einzelnen er-
örtert zu werden. Dagegen erscheint es durchaus angemes-
sen, wenn Stephani S. 194, wie schon bei Gelegenheit des
Schnittes der Buchstaben, so jetzt in Betreff der Behandlung
der Bilder wiederum hinweist auf „jene Sicherheit und Ener-
gie des Geistes bei der Auffassung der Form sowohl, als
bei der von dieser abhängigen mechanischen Ausführung,
deren Mangel sich bald als Aengstlichkeit und Unentschie-
denheit nach jeder Seite hin äussert, bald als äussere glatte
Eleganz in den allgemeinen Formen, aus welcher Flach-
heit und Unklarheit in der Auffassung der besonderen
Theile durchleuchtet, bald endlich als fein berechnete und
vollkommen regelrechte Consequenz oder sogenannte Cor-
rectheit, welche sich selbst auf alle Nebendinge bis zu ihren
letzten Gliedern erstreckt.‟

Der rein mechanischen Qualität des Schnittes wird für
die Beurtheilung der Echtheit von Stephani kaum irgend ein
Gewicht beigelegt, da das mechanische Verfahren der ausge-
bildeten Steinschneidekunst im Alterthum in allem Wesent-
lichen dasselbe gewesen, wie in neuerer Zeit (S. 195). Soll-
ten aber auch gewisse feine Unterschiede existiren, so wer-

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[455/0472] Erfahrung aus lässt sich sogar dieser Satz dahin erweitern, dass fragmentirte Steine mit Inschriften allerdings keineswegs unecht sein müssen, aber dass sie doch stets mit beson- derer Vorsicht aufzunehmen sind. Das Ganze mag nicht selten unter der Hand des Fälschers wenig nach Wunsch ausgefallen sein, während ein Stück die nöthigen Eigenschaf- ten zu besitzen schien, um es für alt auszugeben. Zu einer absichtlichen Verstümmelung zu schreiten, mochte man dann um so weniger Anstand nehmen, als der fragmentirte Zu- stand von den Verkäufern nicht selten gerade als eine Ge- währ der Echtheit scheint geltend gemacht worden zu sein. Da natürlich die Inschrift modern sein muss, sofern sich die Neuheit der ganzen Arbeit des Steins nachweisen lässt, so muss sich die Kritik auch auf die bildliche Darstellung ausdehnen. Die allgemeinen Gesetze dieser Kritik sind für alle Denkmäler dieselben: was an einer Statue, einem Relief in Zeichnung, Modellirung, in der Composition, in der ganzen Auffassung und Denkweise als unantik gelten muss, ist es natürlich auch an einem geschnittenen Steine, und es brauchen daher die Gesetze dieser Kritik hier nicht im Einzelnen er- örtert zu werden. Dagegen erscheint es durchaus angemes- sen, wenn Stephani S. 194, wie schon bei Gelegenheit des Schnittes der Buchstaben, so jetzt in Betreff der Behandlung der Bilder wiederum hinweist auf „jene Sicherheit und Ener- gie des Geistes bei der Auffassung der Form sowohl, als bei der von dieser abhängigen mechanischen Ausführung, deren Mangel sich bald als Aengstlichkeit und Unentschie- denheit nach jeder Seite hin äussert, bald als äussere glatte Eleganz in den allgemeinen Formen, aus welcher Flach- heit und Unklarheit in der Auffassung der besonderen Theile durchleuchtet, bald endlich als fein berechnete und vollkommen regelrechte Consequenz oder sogenannte Cor- rectheit, welche sich selbst auf alle Nebendinge bis zu ihren letzten Gliedern erstreckt.‟ Der rein mechanischen Qualität des Schnittes wird für die Beurtheilung der Echtheit von Stephani kaum irgend ein Gewicht beigelegt, da das mechanische Verfahren der ausge- bildeten Steinschneidekunst im Alterthum in allem Wesent- lichen dasselbe gewesen, wie in neuerer Zeit (S. 195). Soll- ten aber auch gewisse feine Unterschiede existiren, so wer-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/472>, abgerufen am 28.11.2024.