Pythios. Auf diesen Namen sind nach dem Vorgange Raoul-Rochette's (Lettre a Mr. Schorn p. 381) die verschiedenen Nachrichten zu beziehen, welche man früher wegen unzulänglicher Kritik des Vitruvtextes auf mehrere Künstler vertheilen zu müssen glaubte. Zuerst nennt Vitruv (I, 1, 12) Pythios als Architekten des ionischen Tempels der Athene zu Priene. Hier ist der Name Pythios, wenn auch in manchen Hand- schriften verderbt, doch durch andere hinlänglich gesichert. Weiter wird von Vitruv (VII, praef. 12) als Schriftsteller über denselben Tempel Phileos angeführt. So steht der Name in den Handschriften und Ausgaben bis auf Marini, der mit Nachdruck darauf hinweist, dass in beiden Stellen offenbar von einem und demselben Manne die Rede sei, und deshalb Pythius schreibt. In der ersten theilt Vitruv aus der Schrift des Pythios dessen Ansicht mit, dass der Archi- tekt in allen Künsten und Wissenschaften noch tüchtiger sein müsse, als selbst die Virtuosen in den einzelnen Fächern; wogegen Vitruv ausführt, dass man vom Architekten nicht das technische Können in allen den verschiedenen Zweigen des Wissens verlangen dürfe, sondern nur eine encyclopä- dische Bildung, so weit sie auf die Ausübung der Baukunst von Einfluss sei. Pythios begnügte sich also in seiner Schrift nicht mit der blossen Beschreibung des von ihm er- bauten Tempels, sondern ging auf Fragen allgemeinerer Art ein. Wenn nun weiter Vitruv (IV, 3, 1) unter denen, welche sich gegen die Anwendung des dorischen Styls für die Tem- pelarchitektur ausgesprochen hatten, einen Pytheus nennt, so haben wir es gewiss wieder nur mit Pythios zu thun, welche Namensform in der That mehrere Handschriften darbieten. -- Der Tempel der Athene war zufolge der Inschrift von Alexander geweiht (C. J. Gr. 2902): BASILEUSALEKsANDROS ANEThEKETONNAON AThENAIAIPOLIADI wahrscheinlich zur Zeit seines Zuges durch Kleinasien Ol. 111, 3. Ueber das in der 107ten Olympiade begonnene Mausoleum schrieb aber nach Vitruv (VII, praef. 12) wie- derum ein Architekt, dessen Name in den Handschriften zwi- schen Phiteus, Phyteus und Pytheus schwankt, der aber
Pythios. Auf diesen Namen sind nach dem Vorgange Raoul-Rochette’s (Lettre à Mr. Schorn p. 381) die verschiedenen Nachrichten zu beziehen, welche man früher wegen unzulänglicher Kritik des Vitruvtextes auf mehrere Künstler vertheilen zu müssen glaubte. Zuerst nennt Vitruv (I, 1, 12) Pythios als Architekten des ionischen Tempels der Athene zu Priene. Hier ist der Name Pythios, wenn auch in manchen Hand- schriften verderbt, doch durch andere hinlänglich gesichert. Weiter wird von Vitruv (VII, praef. 12) als Schriftsteller über denselben Tempel Phileos angeführt. So steht der Name in den Handschriften und Ausgaben bis auf Marini, der mit Nachdruck darauf hinweist, dass in beiden Stellen offenbar von einem und demselben Manne die Rede sei, und deshalb Pythius schreibt. In der ersten theilt Vitruv aus der Schrift des Pythios dessen Ansicht mit, dass der Archi- tekt in allen Künsten und Wissenschaften noch tüchtiger sein müsse, als selbst die Virtuosen in den einzelnen Fächern; wogegen Vitruv ausführt, dass man vom Architekten nicht das technische Können in allen den verschiedenen Zweigen des Wissens verlangen dürfe, sondern nur eine encyclopä- dische Bildung, so weit sie auf die Ausübung der Baukunst von Einfluss sei. Pythios begnügte sich also in seiner Schrift nicht mit der blossen Beschreibung des von ihm er- bauten Tempels, sondern ging auf Fragen allgemeinerer Art ein. Wenn nun weiter Vitruv (IV, 3, 1) unter denen, welche sich gegen die Anwendung des dorischen Styls für die Tem- pelarchitektur ausgesprochen hatten, einen Pytheus nennt, so haben wir es gewiss wieder nur mit Pythios zu thun, welche Namensform in der That mehrere Handschriften darbieten. — Der Tempel der Athene war zufolge der Inschrift von Alexander geweiht (C. J. Gr. 2902): ΒΑΣΙΛΕΥΣΑΛΕΞΑΝΔΡΟΣ ΑΝΕΘΗΚΕΤΟΝΝΑΟΝ ΑΘΗΝΑΙΑΙΠΟΛΙΑΔΙ wahrscheinlich zur Zeit seines Zuges durch Kleinasien Ol. 111, 3. Ueber das in der 107ten Olympiade begonnene Mausoleum schrieb aber nach Vitruv (VII, praef. 12) wie- derum ein Architekt, dessen Name in den Handschriften zwi- schen Phiteus, Phyteus und Pytheus schwankt, der aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0384"n="376"/><p><hirendition="#g">Pythios.</hi><lb/>
Auf diesen Namen sind nach dem Vorgange Raoul-Rochette’s<lb/>
(Lettre à Mr. Schorn p. 381) die verschiedenen Nachrichten<lb/>
zu beziehen, welche man früher wegen unzulänglicher<lb/>
Kritik des Vitruvtextes auf mehrere Künstler vertheilen zu<lb/>
müssen glaubte. Zuerst nennt Vitruv (I, 1, 12) Pythios als<lb/>
Architekten des ionischen Tempels der Athene zu Priene.<lb/>
Hier ist der Name Pythios, wenn auch in manchen Hand-<lb/>
schriften verderbt, doch durch andere hinlänglich gesichert.<lb/>
Weiter wird von Vitruv (VII, praef. 12) als Schriftsteller<lb/>
über denselben Tempel Phileos angeführt. So steht der<lb/>
Name in den Handschriften und Ausgaben bis auf Marini,<lb/>
der mit Nachdruck darauf hinweist, dass in beiden Stellen<lb/>
offenbar von einem und demselben Manne die Rede sei, und<lb/>
deshalb Pythius schreibt. In der ersten theilt Vitruv aus<lb/>
der Schrift des Pythios dessen Ansicht mit, dass der Archi-<lb/>
tekt in allen Künsten und Wissenschaften noch tüchtiger<lb/>
sein müsse, als selbst die Virtuosen in den einzelnen Fächern;<lb/>
wogegen Vitruv ausführt, dass man vom Architekten nicht<lb/>
das technische Können in allen den verschiedenen Zweigen<lb/>
des Wissens verlangen dürfe, sondern nur eine encyclopä-<lb/>
dische Bildung, so weit sie auf die Ausübung der Baukunst<lb/>
von Einfluss sei. Pythios begnügte sich also in seiner<lb/>
Schrift nicht mit der blossen Beschreibung des von ihm er-<lb/>
bauten Tempels, sondern ging auf Fragen allgemeinerer Art<lb/>
ein. Wenn nun weiter Vitruv (IV, 3, 1) unter denen, welche<lb/>
sich gegen die Anwendung des dorischen Styls für die Tem-<lb/>
pelarchitektur ausgesprochen hatten, einen Pytheus nennt, so<lb/>
haben wir es gewiss wieder nur mit Pythios zu thun, welche<lb/>
Namensform in der That mehrere Handschriften darbieten. —<lb/>
Der Tempel der Athene war zufolge der Inschrift von<lb/>
Alexander geweiht (C. J. Gr. 2902):<lb/><hirendition="#c">ΒΑΣΙΛΕΥΣΑΛΕΞΑΝΔΡΟΣ<lb/>ΑΝΕΘΗΚΕΤΟΝΝΑΟΝ<lb/>ΑΘΗΝΑΙΑΙΠΟΛΙΑΔΙ</hi><lb/>
wahrscheinlich zur Zeit seines Zuges durch Kleinasien Ol.<lb/>
111, 3. Ueber das in der 107ten Olympiade begonnene<lb/>
Mausoleum schrieb aber nach Vitruv (VII, praef. 12) wie-<lb/>
derum ein Architekt, dessen Name in den Handschriften zwi-<lb/>
schen Phiteus, Phyteus und Pytheus schwankt, der aber<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[376/0384]
Pythios.
Auf diesen Namen sind nach dem Vorgange Raoul-Rochette’s
(Lettre à Mr. Schorn p. 381) die verschiedenen Nachrichten
zu beziehen, welche man früher wegen unzulänglicher
Kritik des Vitruvtextes auf mehrere Künstler vertheilen zu
müssen glaubte. Zuerst nennt Vitruv (I, 1, 12) Pythios als
Architekten des ionischen Tempels der Athene zu Priene.
Hier ist der Name Pythios, wenn auch in manchen Hand-
schriften verderbt, doch durch andere hinlänglich gesichert.
Weiter wird von Vitruv (VII, praef. 12) als Schriftsteller
über denselben Tempel Phileos angeführt. So steht der
Name in den Handschriften und Ausgaben bis auf Marini,
der mit Nachdruck darauf hinweist, dass in beiden Stellen
offenbar von einem und demselben Manne die Rede sei, und
deshalb Pythius schreibt. In der ersten theilt Vitruv aus
der Schrift des Pythios dessen Ansicht mit, dass der Archi-
tekt in allen Künsten und Wissenschaften noch tüchtiger
sein müsse, als selbst die Virtuosen in den einzelnen Fächern;
wogegen Vitruv ausführt, dass man vom Architekten nicht
das technische Können in allen den verschiedenen Zweigen
des Wissens verlangen dürfe, sondern nur eine encyclopä-
dische Bildung, so weit sie auf die Ausübung der Baukunst
von Einfluss sei. Pythios begnügte sich also in seiner
Schrift nicht mit der blossen Beschreibung des von ihm er-
bauten Tempels, sondern ging auf Fragen allgemeinerer Art
ein. Wenn nun weiter Vitruv (IV, 3, 1) unter denen, welche
sich gegen die Anwendung des dorischen Styls für die Tem-
pelarchitektur ausgesprochen hatten, einen Pytheus nennt, so
haben wir es gewiss wieder nur mit Pythios zu thun, welche
Namensform in der That mehrere Handschriften darbieten. —
Der Tempel der Athene war zufolge der Inschrift von
Alexander geweiht (C. J. Gr. 2902):
ΒΑΣΙΛΕΥΣΑΛΕΞΑΝΔΡΟΣ
ΑΝΕΘΗΚΕΤΟΝΝΑΟΝ
ΑΘΗΝΑΙΑΙΠΟΛΙΑΔΙ
wahrscheinlich zur Zeit seines Zuges durch Kleinasien Ol.
111, 3. Ueber das in der 107ten Olympiade begonnene
Mausoleum schrieb aber nach Vitruv (VII, praef. 12) wie-
derum ein Architekt, dessen Name in den Handschriften zwi-
schen Phiteus, Phyteus und Pytheus schwankt, der aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/384>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.