Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Bilde soll sich ein bestimmter Gedanke aussprechen, der
uns über die sinnliche Erscheinung hinausführt. Man möchte
daher versucht sein, als das Wesen dieser Künstler im Ge-
gensatze zu dem Realismus der übrigen den Idealismus zu
bezeichnen. Aber wenn wir uns erinnern, dass wir bei aller
sonstigen Vortrefflichkeit gerade ihnen geistige Tiefe und
ein hohes poetisches Schöpfungsvermögen am wenigsten zu-
zuerkennen vermochten, so werden wir ein Mistrauen gegen
die Richtigkeit dieses Ausdrucks nicht unterdrücken können.
Allerdings lag wohl den Bestrebungen dieser Männer die
Absicht zu Grunde, die Kunst wieder auf idealere Bahnen
zurückzuführen. Sie mochten erkennen, wie der Realismus
dem tieferen geistigen Gehalte Abbruch that, wie ein stets
wachsendes Streben nach Effect dem Ernste der Auffassung
nicht minder wie der Solidität der Durchführung Gefahr zu
bringen drohte. Allein wenn sie auch durch die eifrigsten
Studien und durch die gründlichste Durchbildung bis zum
höchsten Gipfel technischer Vollendung zu gelangen ver-
mochten, so waren sie doch nicht im Stande, sich auf diesem
Wege jene Unbefangenheit und Unmittelbarkeit zu erwerben,
welche vor allem nöthig ist, um in der Welt der Erschei-
nungen eine künstlerische Idee klar und scharf zu erfassen
und ihr aus ihrem innersten Wesen heraus eine lebenvolle
Gestaltung zu verleihen. Jene Innerlichkeit war eben da-
mals nicht blos aus der Kunst, sondern aus dem Leben ver-
schwunden: und was man an ihre Stelle zu setzen versuchte,
war, wenn freilich auch nicht ein Aeusserliches, doch etwas
von aussen herzu Gebrachtes: es war der bewusste Gedanke,
der nie seinen Stoff so durchdringen und durchwärmen, nie
so mit ihm zur Einheit verwachsen wird, wie die, gleich
dem Keime im Saatkorn, im Innern des Stoffes selbst ru-
hende Idee. So sehr also auch Apelles und Protogenes
im Gegensatze mit den von uns kurzweg als Realisten be-
zeichneten Künstlern zu stehen scheinen und wirklich stehen,
so wurzeln sie doch immer mit diesen in dem einen gemein-
samen Boden des Zeitgeistes; und erst durch das gleich-
zeitige Bestehen beider Richtungen ward es möglich,
alle die verschiedenen Forderungen zu befriedigen, welche
eine so vielfach erregte Zeit, wie die von dem Ende
des peloponnesischen Krieges bis zu den ersten Nach-

18 *

Bilde soll sich ein bestimmter Gedanke aussprechen, der
uns über die sinnliche Erscheinung hinausführt. Man möchte
daher versucht sein, als das Wesen dieser Künstler im Ge-
gensatze zu dem Realismus der übrigen den Idealismus zu
bezeichnen. Aber wenn wir uns erinnern, dass wir bei aller
sonstigen Vortrefflichkeit gerade ihnen geistige Tiefe und
ein hohes poetisches Schöpfungsvermögen am wenigsten zu-
zuerkennen vermochten, so werden wir ein Mistrauen gegen
die Richtigkeit dieses Ausdrucks nicht unterdrücken können.
Allerdings lag wohl den Bestrebungen dieser Männer die
Absicht zu Grunde, die Kunst wieder auf idealere Bahnen
zurückzuführen. Sie mochten erkennen, wie der Realismus
dem tieferen geistigen Gehalte Abbruch that, wie ein stets
wachsendes Streben nach Effect dem Ernste der Auffassung
nicht minder wie der Solidität der Durchführung Gefahr zu
bringen drohte. Allein wenn sie auch durch die eifrigsten
Studien und durch die gründlichste Durchbildung bis zum
höchsten Gipfel technischer Vollendung zu gelangen ver-
mochten, so waren sie doch nicht im Stande, sich auf diesem
Wege jene Unbefangenheit und Unmittelbarkeit zu erwerben,
welche vor allem nöthig ist, um in der Welt der Erschei-
nungen eine künstlerische Idee klar und scharf zu erfassen
und ihr aus ihrem innersten Wesen heraus eine lebenvolle
Gestaltung zu verleihen. Jene Innerlichkeit war eben da-
mals nicht blos aus der Kunst, sondern aus dem Leben ver-
schwunden: und was man an ihre Stelle zu setzen versuchte,
war, wenn freilich auch nicht ein Aeusserliches, doch etwas
von aussen herzu Gebrachtes: es war der bewusste Gedanke,
der nie seinen Stoff so durchdringen und durchwärmen, nie
so mit ihm zur Einheit verwachsen wird, wie die, gleich
dem Keime im Saatkorn, im Innern des Stoffes selbst ru-
hende Idee. So sehr also auch Apelles und Protogenes
im Gegensatze mit den von uns kurzweg als Realisten be-
zeichneten Künstlern zu stehen scheinen und wirklich stehen,
so wurzeln sie doch immer mit diesen in dem einen gemein-
samen Boden des Zeitgeistes; und erst durch das gleich-
zeitige Bestehen beider Richtungen ward es möglich,
alle die verschiedenen Forderungen zu befriedigen, welche
eine so vielfach erregte Zeit, wie die von dem Ende
des peloponnesischen Krieges bis zu den ersten Nach-

18 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0283" n="275"/>
Bilde soll sich ein bestimmter Gedanke aussprechen, der<lb/>
uns über die sinnliche Erscheinung hinausführt. Man möchte<lb/>
daher versucht sein, als das Wesen dieser Künstler im Ge-<lb/>
gensatze zu dem Realismus der übrigen den Idealismus zu<lb/>
bezeichnen. Aber wenn wir uns erinnern, dass wir bei aller<lb/>
sonstigen Vortrefflichkeit gerade ihnen geistige Tiefe und<lb/>
ein hohes poetisches Schöpfungsvermögen am wenigsten zu-<lb/>
zuerkennen vermochten, so werden wir ein Mistrauen gegen<lb/>
die Richtigkeit dieses Ausdrucks nicht unterdrücken können.<lb/>
Allerdings lag wohl den Bestrebungen dieser Männer die<lb/>
Absicht zu Grunde, die Kunst wieder auf idealere Bahnen<lb/>
zurückzuführen. Sie mochten erkennen, wie der Realismus<lb/>
dem tieferen geistigen Gehalte Abbruch that, wie ein stets<lb/>
wachsendes Streben nach Effect dem Ernste der Auffassung<lb/>
nicht minder wie der Solidität der Durchführung Gefahr zu<lb/>
bringen drohte. Allein wenn sie auch durch die eifrigsten<lb/>
Studien und durch die gründlichste Durchbildung bis zum<lb/>
höchsten Gipfel technischer Vollendung zu gelangen ver-<lb/>
mochten, so waren sie doch nicht im Stande, sich auf diesem<lb/>
Wege jene Unbefangenheit und Unmittelbarkeit zu erwerben,<lb/>
welche vor allem nöthig ist, um in der Welt der Erschei-<lb/>
nungen eine künstlerische Idee klar und scharf zu erfassen<lb/>
und ihr aus ihrem innersten Wesen heraus eine lebenvolle<lb/>
Gestaltung zu verleihen. Jene Innerlichkeit war eben da-<lb/>
mals nicht blos aus der Kunst, sondern aus dem Leben ver-<lb/>
schwunden: und was man an ihre Stelle zu setzen versuchte,<lb/>
war, wenn freilich auch nicht ein Aeusserliches, doch etwas<lb/>
von aussen herzu Gebrachtes: es war der bewusste Gedanke,<lb/>
der nie seinen Stoff so durchdringen und durchwärmen, nie<lb/>
so mit ihm zur Einheit verwachsen wird, wie die, gleich<lb/>
dem Keime im Saatkorn, im Innern des Stoffes selbst ru-<lb/>
hende Idee. So sehr also auch Apelles und Protogenes<lb/>
im Gegensatze mit den von uns kurzweg als Realisten be-<lb/>
zeichneten Künstlern zu stehen scheinen und wirklich stehen,<lb/>
so wurzeln sie doch immer mit diesen in dem einen gemein-<lb/>
samen Boden des Zeitgeistes; und erst durch das gleich-<lb/>
zeitige Bestehen beider Richtungen ward es möglich,<lb/>
alle die verschiedenen Forderungen zu befriedigen, welche<lb/>
eine so vielfach erregte Zeit, wie die von dem Ende<lb/>
des peloponnesischen Krieges bis zu den ersten Nach-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">18 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0283] Bilde soll sich ein bestimmter Gedanke aussprechen, der uns über die sinnliche Erscheinung hinausführt. Man möchte daher versucht sein, als das Wesen dieser Künstler im Ge- gensatze zu dem Realismus der übrigen den Idealismus zu bezeichnen. Aber wenn wir uns erinnern, dass wir bei aller sonstigen Vortrefflichkeit gerade ihnen geistige Tiefe und ein hohes poetisches Schöpfungsvermögen am wenigsten zu- zuerkennen vermochten, so werden wir ein Mistrauen gegen die Richtigkeit dieses Ausdrucks nicht unterdrücken können. Allerdings lag wohl den Bestrebungen dieser Männer die Absicht zu Grunde, die Kunst wieder auf idealere Bahnen zurückzuführen. Sie mochten erkennen, wie der Realismus dem tieferen geistigen Gehalte Abbruch that, wie ein stets wachsendes Streben nach Effect dem Ernste der Auffassung nicht minder wie der Solidität der Durchführung Gefahr zu bringen drohte. Allein wenn sie auch durch die eifrigsten Studien und durch die gründlichste Durchbildung bis zum höchsten Gipfel technischer Vollendung zu gelangen ver- mochten, so waren sie doch nicht im Stande, sich auf diesem Wege jene Unbefangenheit und Unmittelbarkeit zu erwerben, welche vor allem nöthig ist, um in der Welt der Erschei- nungen eine künstlerische Idee klar und scharf zu erfassen und ihr aus ihrem innersten Wesen heraus eine lebenvolle Gestaltung zu verleihen. Jene Innerlichkeit war eben da- mals nicht blos aus der Kunst, sondern aus dem Leben ver- schwunden: und was man an ihre Stelle zu setzen versuchte, war, wenn freilich auch nicht ein Aeusserliches, doch etwas von aussen herzu Gebrachtes: es war der bewusste Gedanke, der nie seinen Stoff so durchdringen und durchwärmen, nie so mit ihm zur Einheit verwachsen wird, wie die, gleich dem Keime im Saatkorn, im Innern des Stoffes selbst ru- hende Idee. So sehr also auch Apelles und Protogenes im Gegensatze mit den von uns kurzweg als Realisten be- zeichneten Künstlern zu stehen scheinen und wirklich stehen, so wurzeln sie doch immer mit diesen in dem einen gemein- samen Boden des Zeitgeistes; und erst durch das gleich- zeitige Bestehen beider Richtungen ward es möglich, alle die verschiedenen Forderungen zu befriedigen, welche eine so vielfach erregte Zeit, wie die von dem Ende des peloponnesischen Krieges bis zu den ersten Nach- 18 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/283
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/283>, abgerufen am 12.05.2024.