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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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schauer vorzuführen, dass eine gewaltige oder erschreckende
Wirklichkeit aus unmittelbarer Nähe auf ihn selbst einzu-
stürmen, gewissermassen ihn selbst niederwerfen zu wollen
schien. Bei Antiphilos dagegen, dessen Hesione und Hippo-
lytos seine Verwandtschaft mit dem zuletzt genannten in
dieser Beziehung hinlänglich bezeugen, gewinnt der Realis-
mus eine noch weit grössere Ausdehnung, indem er sich
selbst in der Wahl von Darstellungen, wie der Wolleberei-
tung, geltend macht. Nehmen wir dazu sein Bild des Feuer
anblasenden Knaben, so lässt sich nicht verkennen, dass,
wenn auch das Verdienst seiner eigenen Werke noch mehr
in der Auffassung des Ganzen, als in der Durchführung des
Einzelnen liegen mochte, seine Bestrebungen doch in ihrer
weiteren Fortbildung zu reinem Naturalismus führen mussten:
und ein solcher reiner Naturalismus tritt uns denn in der
Rhopographie wirklich entgegen, welche auf den Adel oder
den geistigen Gehalt des darzustellenden Stoffes ganz ver-
zichtet und ihr Verdienst lediglich in der täuschendsten
Nachbildung der Wirklichkeit bis ins Einzelnste sucht. So
gewinnt die Persönlichkeit des Antiphilos für uns eine er-
höhte Bedeutung, indem sie uns lehrt, wie scheinbar so weit
von einander abliegende Bestrebungen auf dem Gebiete
der Kunst doch aus einer und derselben Grundrichtung
des Geistes hervorgehen können und wirklich hervorgegan-
gen sind.

Neben dieser Entwickelungsreihe haben wir jedoch noch
eine andere kennen gelernt, welche zu der bisher betrach-
teten unleugbar in einem bestimmten Gegensatz steht: ich
meine diejenige, als deren höchste Leistungen die Werke
des Apelles und Protogenes anzusehen sind. Zwar sagt Pe-
tronius (c. 84), er habe die Studien des Protogenes nicht
ohne einen gewissen geheimen Schauer wegen ihrer mit der
Wirklicheit wetteifernden Naturtreue betrachten können; und
somit lässt sich ein eifriges und sorgfältiges Naturstudium
auch bei ihm als die Grundlage seiner Kunstübung nicht
verkennen. Dagegen verleugnet sich bei ihm wie bei Apel-
les jener Realismus in der geistigen Auffassung der darzu-
stellenden Gegenstände durchaus. Schon die Portraits dieser
Meister lehren dies augenscheinlich: sie sollen nicht eine
wirkliche Person einfach vergegenwärtigen, sondern in dem

schauer vorzuführen, dass eine gewaltige oder erschreckende
Wirklichkeit aus unmittelbarer Nähe auf ihn selbst einzu-
stürmen, gewissermassen ihn selbst niederwerfen zu wollen
schien. Bei Antiphilos dagegen, dessen Hesione und Hippo-
lytos seine Verwandtschaft mit dem zuletzt genannten in
dieser Beziehung hinlänglich bezeugen, gewinnt der Realis-
mus eine noch weit grössere Ausdehnung, indem er sich
selbst in der Wahl von Darstellungen, wie der Wolleberei-
tung, geltend macht. Nehmen wir dazu sein Bild des Feuer
anblasenden Knaben, so lässt sich nicht verkennen, dass,
wenn auch das Verdienst seiner eigenen Werke noch mehr
in der Auffassung des Ganzen, als in der Durchführung des
Einzelnen liegen mochte, seine Bestrebungen doch in ihrer
weiteren Fortbildung zu reinem Naturalismus führen mussten:
und ein solcher reiner Naturalismus tritt uns denn in der
Rhopographie wirklich entgegen, welche auf den Adel oder
den geistigen Gehalt des darzustellenden Stoffes ganz ver-
zichtet und ihr Verdienst lediglich in der täuschendsten
Nachbildung der Wirklichkeit bis ins Einzelnste sucht. So
gewinnt die Persönlichkeit des Antiphilos für uns eine er-
höhte Bedeutung, indem sie uns lehrt, wie scheinbar so weit
von einander abliegende Bestrebungen auf dem Gebiete
der Kunst doch aus einer und derselben Grundrichtung
des Geistes hervorgehen können und wirklich hervorgegan-
gen sind.

Neben dieser Entwickelungsreihe haben wir jedoch noch
eine andere kennen gelernt, welche zu der bisher betrach-
teten unleugbar in einem bestimmten Gegensatz steht: ich
meine diejenige, als deren höchste Leistungen die Werke
des Apelles und Protogenes anzusehen sind. Zwar sagt Pe-
tronius (c. 84), er habe die Studien des Protogenes nicht
ohne einen gewissen geheimen Schauer wegen ihrer mit der
Wirklicheit wetteifernden Naturtreue betrachten können; und
somit lässt sich ein eifriges und sorgfältiges Naturstudium
auch bei ihm als die Grundlage seiner Kunstübung nicht
verkennen. Dagegen verleugnet sich bei ihm wie bei Apel-
les jener Realismus in der geistigen Auffassung der darzu-
stellenden Gegenstände durchaus. Schon die Portraits dieser
Meister lehren dies augenscheinlich: sie sollen nicht eine
wirkliche Person einfach vergegenwärtigen, sondern in dem

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[274/0282] schauer vorzuführen, dass eine gewaltige oder erschreckende Wirklichkeit aus unmittelbarer Nähe auf ihn selbst einzu- stürmen, gewissermassen ihn selbst niederwerfen zu wollen schien. Bei Antiphilos dagegen, dessen Hesione und Hippo- lytos seine Verwandtschaft mit dem zuletzt genannten in dieser Beziehung hinlänglich bezeugen, gewinnt der Realis- mus eine noch weit grössere Ausdehnung, indem er sich selbst in der Wahl von Darstellungen, wie der Wolleberei- tung, geltend macht. Nehmen wir dazu sein Bild des Feuer anblasenden Knaben, so lässt sich nicht verkennen, dass, wenn auch das Verdienst seiner eigenen Werke noch mehr in der Auffassung des Ganzen, als in der Durchführung des Einzelnen liegen mochte, seine Bestrebungen doch in ihrer weiteren Fortbildung zu reinem Naturalismus führen mussten: und ein solcher reiner Naturalismus tritt uns denn in der Rhopographie wirklich entgegen, welche auf den Adel oder den geistigen Gehalt des darzustellenden Stoffes ganz ver- zichtet und ihr Verdienst lediglich in der täuschendsten Nachbildung der Wirklichkeit bis ins Einzelnste sucht. So gewinnt die Persönlichkeit des Antiphilos für uns eine er- höhte Bedeutung, indem sie uns lehrt, wie scheinbar so weit von einander abliegende Bestrebungen auf dem Gebiete der Kunst doch aus einer und derselben Grundrichtung des Geistes hervorgehen können und wirklich hervorgegan- gen sind. Neben dieser Entwickelungsreihe haben wir jedoch noch eine andere kennen gelernt, welche zu der bisher betrach- teten unleugbar in einem bestimmten Gegensatz steht: ich meine diejenige, als deren höchste Leistungen die Werke des Apelles und Protogenes anzusehen sind. Zwar sagt Pe- tronius (c. 84), er habe die Studien des Protogenes nicht ohne einen gewissen geheimen Schauer wegen ihrer mit der Wirklicheit wetteifernden Naturtreue betrachten können; und somit lässt sich ein eifriges und sorgfältiges Naturstudium auch bei ihm als die Grundlage seiner Kunstübung nicht verkennen. Dagegen verleugnet sich bei ihm wie bei Apel- les jener Realismus in der geistigen Auffassung der darzu- stellenden Gegenstände durchaus. Schon die Portraits dieser Meister lehren dies augenscheinlich: sie sollen nicht eine wirkliche Person einfach vergegenwärtigen, sondern in dem

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/282>, abgerufen am 24.11.2024.