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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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von Begeisterung zeige, und dass man das Zusammenprallen
im Treffen und den Widerstand als erfüllt von Kraft, Muth
und Leben wohl erkenne, 1) so kann es allerdings scheinen,
als ob die Uebereinstimmung von Ausdrücken wie thumos und
pneuma mit animus und sensus als Eigenschaften des Aristides
auf eine grosse innere Verwandtschaft beider Künstler hin-
deute. Aber gerade in ihrer Anwendung auf ein Schlacht-
bild und in einem Zusammenhange, wo es keineswegs, wie
bei Plinius, auf ein scharf gefasstes vergleichendes Kunst-
urtheil abgesehen ist, dürfen wir dieselben im Einzelnen
nicht zu scharf betonen, sondern nur im Allgemeinen auf
eine energische, lebensvolle Behandlung des Gegenstandes
beziehen. Zwei andere Werke des Euphranor, ein statua-
risches und ein Gemälde, führen uns noch weiter von Ari-
stides ab und auf einen Vergleich mit einem Künstler zu-
rück, den wir oben in einen gewissen Gegensatz zu Aristides
gestellt haben, nemlich mit Parrhasios. Die Statue des Paris
von Euphranor, in welcher man zugleich "den Schiedsrichter
der Göttinnen, den Liebhaber der Helena und doch auch
wieder den Mörder des Achill" erkannte, muss uns unwill-
kürlich an den wetterwendischen Demos des Parrhasios er-
innern. Der erheuchelte Wahnsinn des Odysseus aber war
von beiden Malern zum Gegenstande eines Bildes gewählt
worden. So sehr nun auch diese Werke ein Eingehen auf
die feinsten psychologischen Bezüge und Wechselwirkungen
erheischen, so sind sie doch keineswegs der Art, dass ihre
Durchführung auf Seiten des Künstlers ein entschiedenes
Ueberwiegen der Gefühlsthätigkeit bedingt hätte. Im Gegen-
theil verlangt die Vereinigung widersprechender Eigenschaften
in einer Person, wie im Demos und im Paris, das Verstecken
der feinsten Absichten hinter den thörichtesten Handlungen,
wie im Odysseus, gerade den vollen Aufwand derjenigen
geistigen Kräfte, wegen welcher wir oben Parrhasios als
einen in seinem inneren Wesen von Aristides durchaus ver-
schiedenen Künstler hinstellen mussten, nemlich nicht sowohl

1) parestin oran en eikoni tes makhes to surregma kai ten antereisin
alkes kai thumoi kai pneumatos gemousan. Surregma was Dindorf an die
Stelle des unpassenden suggramma gesetzt hat, scheint dem Sprachgebrauch
des Plutarch angemessener, als sugkrama, worauf ich eben so wie Feuerbach:
nachgel. Schr. III, 149, verfallen war.

von Begeisterung zeige, und dass man das Zusammenprallen
im Treffen und den Widerstand als erfüllt von Kraft, Muth
und Leben wohl erkenne, 1) so kann es allerdings scheinen,
als ob die Uebereinstimmung von Ausdrücken wie ϑυμός und
πνεῦμα mit animus und sensus als Eigenschaften des Aristides
auf eine grosse innere Verwandtschaft beider Künstler hin-
deute. Aber gerade in ihrer Anwendung auf ein Schlacht-
bild und in einem Zusammenhange, wo es keineswegs, wie
bei Plinius, auf ein scharf gefasstes vergleichendes Kunst-
urtheil abgesehen ist, dürfen wir dieselben im Einzelnen
nicht zu scharf betonen, sondern nur im Allgemeinen auf
eine energische, lebensvolle Behandlung des Gegenstandes
beziehen. Zwei andere Werke des Euphranor, ein statua-
risches und ein Gemälde, führen uns noch weiter von Ari-
stides ab und auf einen Vergleich mit einem Künstler zu-
rück, den wir oben in einen gewissen Gegensatz zu Aristides
gestellt haben, nemlich mit Parrhasios. Die Statue des Paris
von Euphranor, in welcher man zugleich „den Schiedsrichter
der Göttinnen, den Liebhaber der Helena und doch auch
wieder den Mörder des Achill“ erkannte, muss uns unwill-
kürlich an den wetterwendischen Demos des Parrhasios er-
innern. Der erheuchelte Wahnsinn des Odysseus aber war
von beiden Malern zum Gegenstande eines Bildes gewählt
worden. So sehr nun auch diese Werke ein Eingehen auf
die feinsten psychologischen Bezüge und Wechselwirkungen
erheischen, so sind sie doch keineswegs der Art, dass ihre
Durchführung auf Seiten des Künstlers ein entschiedenes
Ueberwiegen der Gefühlsthätigkeit bedingt hätte. Im Gegen-
theil verlangt die Vereinigung widersprechender Eigenschaften
in einer Person, wie im Demos und im Paris, das Verstecken
der feinsten Absichten hinter den thörichtesten Handlungen,
wie im Odysseus, gerade den vollen Aufwand derjenigen
geistigen Kräfte, wegen welcher wir oben Parrhasios als
einen in seinem inneren Wesen von Aristides durchaus ver-
schiedenen Künstler hinstellen mussten, nemlich nicht sowohl

1) πάϱεστιν ὁϱὰν ἐν εἰκόνι τὴς μάχης τὸ σύϱϱηγμα καὶ τὴν ἀντέϱεισιν
ἀλκὴς καὶ ϑυμοῖ καὶ πνεύματος γεμοῦσαν. Σύϱϱηγμα was Dindorf an die
Stelle des unpassenden σύγγϱαμμα gesetzt hat, scheint dem Sprachgebrauch
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nachgel. Schr. III, 149, verfallen war.
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[185/0193] von Begeisterung zeige, und dass man das Zusammenprallen im Treffen und den Widerstand als erfüllt von Kraft, Muth und Leben wohl erkenne, 1) so kann es allerdings scheinen, als ob die Uebereinstimmung von Ausdrücken wie ϑυμός und πνεῦμα mit animus und sensus als Eigenschaften des Aristides auf eine grosse innere Verwandtschaft beider Künstler hin- deute. Aber gerade in ihrer Anwendung auf ein Schlacht- bild und in einem Zusammenhange, wo es keineswegs, wie bei Plinius, auf ein scharf gefasstes vergleichendes Kunst- urtheil abgesehen ist, dürfen wir dieselben im Einzelnen nicht zu scharf betonen, sondern nur im Allgemeinen auf eine energische, lebensvolle Behandlung des Gegenstandes beziehen. Zwei andere Werke des Euphranor, ein statua- risches und ein Gemälde, führen uns noch weiter von Ari- stides ab und auf einen Vergleich mit einem Künstler zu- rück, den wir oben in einen gewissen Gegensatz zu Aristides gestellt haben, nemlich mit Parrhasios. Die Statue des Paris von Euphranor, in welcher man zugleich „den Schiedsrichter der Göttinnen, den Liebhaber der Helena und doch auch wieder den Mörder des Achill“ erkannte, muss uns unwill- kürlich an den wetterwendischen Demos des Parrhasios er- innern. Der erheuchelte Wahnsinn des Odysseus aber war von beiden Malern zum Gegenstande eines Bildes gewählt worden. So sehr nun auch diese Werke ein Eingehen auf die feinsten psychologischen Bezüge und Wechselwirkungen erheischen, so sind sie doch keineswegs der Art, dass ihre Durchführung auf Seiten des Künstlers ein entschiedenes Ueberwiegen der Gefühlsthätigkeit bedingt hätte. Im Gegen- theil verlangt die Vereinigung widersprechender Eigenschaften in einer Person, wie im Demos und im Paris, das Verstecken der feinsten Absichten hinter den thörichtesten Handlungen, wie im Odysseus, gerade den vollen Aufwand derjenigen geistigen Kräfte, wegen welcher wir oben Parrhasios als einen in seinem inneren Wesen von Aristides durchaus ver- schiedenen Künstler hinstellen mussten, nemlich nicht sowohl 1) πάϱεστιν ὁϱὰν ἐν εἰκόνι τὴς μάχης τὸ σύϱϱηγμα καὶ τὴν ἀντέϱεισιν ἀλκὴς καὶ ϑυμοῖ καὶ πνεύματος γεμοῦσαν. Σύϱϱηγμα was Dindorf an die Stelle des unpassenden σύγγϱαμμα gesetzt hat, scheint dem Sprachgebrauch des Plutarch angemessener, als σύγκϱαμα, worauf ich eben so wie Feuerbach: nachgel. Schr. III, 149, verfallen war.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/193>, abgerufen am 28.04.2024.