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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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als Alexander bereits das Jünglingsalter erreicht hatte, also
wohl nicht vor 110. Wir gewinnen dadurch die Gewissheit,
dass jenes Schlachtbild, sofern es nicht erst lange nach der
Schlacht ausgeführt ward, nicht zu den späten, sondern
zu den früheren Werken des Künstlers gehören muss, wo-
durch es um so wahrscheinlicher wird, dass er die Schule
des Aristides nicht zu lange vor dieser Zeit verlassen
haben mag.

Von seinen eigenen Schülern wird Charmantides
(früher Carmanides geschrieben) nur von Plinius 1) unter
den Malern dritten Ranges, Leonidas zunächst nur wegen
seiner Vaterstadt Anthedon von Stephanus Byzantius 2) und
Eustathius 3) angeführt; doch liegt, zumal auch Euphranor
über Symmetrie schrieb, die Annahme nahe, dass der von
Vitruv 4) unter den weniger ausgezeichneten Schriftstellern
über Symmetrie genannte Leonidas mit dem Maler identisch
sei. Antidotos endlich verdankt, wie Plinius 5) angiebt,
seinen Ruhm vorzüglich seinem Schüler Nikias von Athen,
dem Sohne des Nikomedes. 6) Unter den Werken des letztern
befindet sich ein Bild des Alexander, und die Regierung die-
ses Königs scheint in der That den Mittelpunkt seiner Thä-
tigkeit zu bezeichnen. Doch müssen wir mit dieser Ansicht
erst zwei scheinbar sich entgegenstehende Angaben in Ein-
klang bringen. Plinius sagt nemlich: 7) "Dieser Nikias ist
es, von dem Praxiteles auf die Frage, welche seiner eigenen
Werke er für die vorzüglichsten halte, aussagte: diejenigen,
an welche Nikias seine Hand mit angelegt habe; so viel
Werth legte er auf dessen Farbengebung (circumlitio). Da-
gegen berichtet Plutarch, 8) Nikias habe seine Nekyia dem
Ptolemaeos 9) für 60 Talente nicht verkaufen wollen. Mit
Bezug auf die erste dieser Angaben sagt aber endlich Pli-
nius: 10) es lasse sich nicht entscheiden, ob der Nikias, wel-
chen einige in die 112te Olympiade setzen, der für Praxiteles
beschäftigte oder ein anderer sei. Wollten wir nun auf der
einen Seite mit Plinius Praxiteles unwandelbar in die 104te
Olympiade setzen, und auf der andern Seite festhalten, dass

1) 35, 146.
2) s. v. Anthedon.
3) Ad Il. b. 508.
4) VII, Praef.
§. 14.
5) 35, 130.
6) Paus. III, 19, 4; Plut. de glor. Ath. p. 346 A.
7) 35, 133.
8) Non posse suav. vivi sec. Epicur. p. 1093 F.
9) Plinius
35, 132 nennt fälschlich Attalos.
10) §. 134.

als Alexander bereits das Jünglingsalter erreicht hatte, also
wohl nicht vor 110. Wir gewinnen dadurch die Gewissheit,
dass jenes Schlachtbild, sofern es nicht erst lange nach der
Schlacht ausgeführt ward, nicht zu den späten, sondern
zu den früheren Werken des Künstlers gehören muss, wo-
durch es um so wahrscheinlicher wird, dass er die Schule
des Aristides nicht zu lange vor dieser Zeit verlassen
haben mag.

Von seinen eigenen Schülern wird Charmantides
(früher Carmanides geschrieben) nur von Plinius 1) unter
den Malern dritten Ranges, Leonidas zunächst nur wegen
seiner Vaterstadt Anthedon von Stephanus Byzantius 2) und
Eustathius 3) angeführt; doch liegt, zumal auch Euphranor
über Symmetrie schrieb, die Annahme nahe, dass der von
Vitruv 4) unter den weniger ausgezeichneten Schriftstellern
über Symmetrie genannte Leonidas mit dem Maler identisch
sei. Antidotos endlich verdankt, wie Plinius 5) angiebt,
seinen Ruhm vorzüglich seinem Schüler Nikias von Athen,
dem Sohne des Nikomedes. 6) Unter den Werken des letztern
befindet sich ein Bild des Alexander, und die Regierung die-
ses Königs scheint in der That den Mittelpunkt seiner Thä-
tigkeit zu bezeichnen. Doch müssen wir mit dieser Ansicht
erst zwei scheinbar sich entgegenstehende Angaben in Ein-
klang bringen. Plinius sagt nemlich: 7) „Dieser Nikias ist
es, von dem Praxiteles auf die Frage, welche seiner eigenen
Werke er für die vorzüglichsten halte, aussagte: diejenigen,
an welche Nikias seine Hand mit angelegt habe; so viel
Werth legte er auf dessen Farbengebung (circumlitio). Da-
gegen berichtet Plutarch, 8) Nikias habe seine Nekyia dem
Ptolemaeos 9) für 60 Talente nicht verkaufen wollen. Mit
Bezug auf die erste dieser Angaben sagt aber endlich Pli-
nius: 10) es lasse sich nicht entscheiden, ob der Nikias, wel-
chen einige in die 112te Olympiade setzen, der für Praxiteles
beschäftigte oder ein anderer sei. Wollten wir nun auf der
einen Seite mit Plinius Praxiteles unwandelbar in die 104te
Olympiade setzen, und auf der andern Seite festhalten, dass

1) 35, 146.
2) s. v. Ἀνϑηδών.
3) Ad Il. β. 508.
4) VII, Praef.
§. 14.
5) 35, 130.
6) Paus. III, 19, 4; Plut. de glor. Ath. p. 346 A.
7) 35, 133.
8) Non posse suav. vivi sec. Epicur. p. 1093 F.
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35, 132 nennt fälschlich Attalos.
10) §. 134.
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[164/0172] als Alexander bereits das Jünglingsalter erreicht hatte, also wohl nicht vor 110. Wir gewinnen dadurch die Gewissheit, dass jenes Schlachtbild, sofern es nicht erst lange nach der Schlacht ausgeführt ward, nicht zu den späten, sondern zu den früheren Werken des Künstlers gehören muss, wo- durch es um so wahrscheinlicher wird, dass er die Schule des Aristides nicht zu lange vor dieser Zeit verlassen haben mag. Von seinen eigenen Schülern wird Charmantides (früher Carmanides geschrieben) nur von Plinius 1) unter den Malern dritten Ranges, Leonidas zunächst nur wegen seiner Vaterstadt Anthedon von Stephanus Byzantius 2) und Eustathius 3) angeführt; doch liegt, zumal auch Euphranor über Symmetrie schrieb, die Annahme nahe, dass der von Vitruv 4) unter den weniger ausgezeichneten Schriftstellern über Symmetrie genannte Leonidas mit dem Maler identisch sei. Antidotos endlich verdankt, wie Plinius 5) angiebt, seinen Ruhm vorzüglich seinem Schüler Nikias von Athen, dem Sohne des Nikomedes. 6) Unter den Werken des letztern befindet sich ein Bild des Alexander, und die Regierung die- ses Königs scheint in der That den Mittelpunkt seiner Thä- tigkeit zu bezeichnen. Doch müssen wir mit dieser Ansicht erst zwei scheinbar sich entgegenstehende Angaben in Ein- klang bringen. Plinius sagt nemlich: 7) „Dieser Nikias ist es, von dem Praxiteles auf die Frage, welche seiner eigenen Werke er für die vorzüglichsten halte, aussagte: diejenigen, an welche Nikias seine Hand mit angelegt habe; so viel Werth legte er auf dessen Farbengebung (circumlitio). Da- gegen berichtet Plutarch, 8) Nikias habe seine Nekyia dem Ptolemaeos 9) für 60 Talente nicht verkaufen wollen. Mit Bezug auf die erste dieser Angaben sagt aber endlich Pli- nius: 10) es lasse sich nicht entscheiden, ob der Nikias, wel- chen einige in die 112te Olympiade setzen, der für Praxiteles beschäftigte oder ein anderer sei. Wollten wir nun auf der einen Seite mit Plinius Praxiteles unwandelbar in die 104te Olympiade setzen, und auf der andern Seite festhalten, dass 1) 35, 146. 2) s. v. Ἀνϑηδών. 3) Ad Il. β. 508. 4) VII, Praef. §. 14. 5) 35, 130. 6) Paus. III, 19, 4; Plut. de glor. Ath. p. 346 A. 7) 35, 133. 8) Non posse suav. vivi sec. Epicur. p. 1093 F. 9) Plinius 35, 132 nennt fälschlich Attalos. 10) §. 134.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/172>, abgerufen am 28.04.2024.