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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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ihm selbst vorzumachen, und nicht sich begnügen dürfe, ihn
auf vollendete Muster zu verweisen. Allerdiugs aber musste
gerade für Chares die Belehrung durch Lysipp namentlich in
technischer Beziehung von der höchsten Bedeutung sein. Denn
der Zeus zu Tarent, nächst dem rhodischen überhaupt der
grösste Koloss zu Strabo's Zeit, war ein Werk des Lysipp;
und die bei diesem gesammelten Erfahrungen mussten also dem
Chares vom wesentlichsten Nutzen sein, wenn auch bei den
vergrösserten Maassen des Sonnengottes sicher noch neue be-
deutendere technische und mechanische Schwierigkeiten zu
lösen waren. Was indessen Philo darüber berichtet, können
wir mit gutem Gewissen für ein Märchen erklären.

Vom historischen Standpunkte aus müssen wir die Bedeu-
tung des Chares zuerst darin suchen, dass sich bei ihm noch
mehr, als bei Lysipp, das Bestreben zeigt, den Werth eines
Kunstwerkes in die Massenhaftigkeit zu setzen; sodann aber
darin, dass er die sikyonische Kunst nach Rhodos verpflanzt,
wo sich dieselbe in der nächstfolgenden Zeit zu einer neuen,
selbstständigen Blüthe entwickelte.



Mit den Künstlern aus der Schule des Lysipp hat die
Blüthe der Kunst in Sikyon und Argos, ja im ganzen Pelo-
ponnes, ihr Ende erreicht. Neben ihnen sind nur noch einige
Künstler untergeordneten Ranges, nach ihnen kaum einer be-
kannt; so dass wir hier den ganzen Rest zusammenzustellen
befugt sind, auch wenn ein einzelner von unbekannter Zeit in
eine spätere Epoche gehören sollte:
Sikyon.

Daetondas machte die Statue des Theotimos aus Elis,
welcher im Faustkampfe der Knaben zu Olympia gesiegt hatte:
Paus. VI, 17, 3. Da des Theotimos Vater Moschion den Zug
Alexanders nach Asien mitgemacht hatte, so ist der Künstler
etwa ein Zeitgenosse dieses Königs.

Menaechmos. Plinius (34, 80) erwähnt als sein Werk
einen jungen Stier, welcher mit dem Knie niedergedrückt wird,
während der Nacken nach hinten gebeugt ist: also vielleicht
eine stieropfernde Nike, wie wir sie häufig in Reliefs und
auch in statuarischen Nachbildungen dargestellt sehen. Auch
schrieb er über seine Kunst; und Plinius führt unter den Quel-
len des 33sten und 34sten Buches seine Schrift über Toreutik,

ihm selbst vorzumachen, und nicht sich begnügen dürfe, ihn
auf vollendete Muster zu verweisen. Allerdiugs aber musste
gerade für Chares die Belehrung durch Lysipp namentlich in
technischer Beziehung von der höchsten Bedeutung sein. Denn
der Zeus zu Tarent, nächst dem rhodischen überhaupt der
grösste Koloss zu Strabo’s Zeit, war ein Werk des Lysipp;
und die bei diesem gesammelten Erfahrungen mussten also dem
Chares vom wesentlichsten Nutzen sein, wenn auch bei den
vergrösserten Maassen des Sonnengottes sicher noch neue be-
deutendere technische und mechanische Schwierigkeiten zu
lösen waren. Was indessen Philo darüber berichtet, können
wir mit gutem Gewissen für ein Märchen erklären.

Vom historischen Standpunkte aus müssen wir die Bedeu-
tung des Chares zuerst darin suchen, dass sich bei ihm noch
mehr, als bei Lysipp, das Bestreben zeigt, den Werth eines
Kunstwerkes in die Massenhaftigkeit zu setzen; sodann aber
darin, dass er die sikyonische Kunst nach Rhodos verpflanzt,
wo sich dieselbe in der nächstfolgenden Zeit zu einer neuen,
selbstständigen Blüthe entwickelte.



Mit den Künstlern aus der Schule des Lysipp hat die
Blüthe der Kunst in Sikyon und Argos, ja im ganzen Pelo-
ponnes, ihr Ende erreicht. Neben ihnen sind nur noch einige
Künstler untergeordneten Ranges, nach ihnen kaum einer be-
kannt; so dass wir hier den ganzen Rest zusammenzustellen
befugt sind, auch wenn ein einzelner von unbekannter Zeit in
eine spätere Epoche gehören sollte:
Sikyon.

Daetondas machte die Statue des Theotimos aus Elis,
welcher im Faustkampfe der Knaben zu Olympia gesiegt hatte:
Paus. VI, 17, 3. Da des Theotimos Vater Moschion den Zug
Alexanders nach Asien mitgemacht hatte, so ist der Künstler
etwa ein Zeitgenosse dieses Königs.

Menaechmos. Plinius (34, 80) erwähnt als sein Werk
einen jungen Stier, welcher mit dem Knie niedergedrückt wird,
während der Nacken nach hinten gebeugt ist: also vielleicht
eine stieropfernde Nike, wie wir sie häufig in Reliefs und
auch in statuarischen Nachbildungen dargestellt sehen. Auch
schrieb er über seine Kunst; und Plinius führt unter den Quel-
len des 33sten und 34sten Buches seine Schrift über Toreutik,

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[418/0431] ihm selbst vorzumachen, und nicht sich begnügen dürfe, ihn auf vollendete Muster zu verweisen. Allerdiugs aber musste gerade für Chares die Belehrung durch Lysipp namentlich in technischer Beziehung von der höchsten Bedeutung sein. Denn der Zeus zu Tarent, nächst dem rhodischen überhaupt der grösste Koloss zu Strabo’s Zeit, war ein Werk des Lysipp; und die bei diesem gesammelten Erfahrungen mussten also dem Chares vom wesentlichsten Nutzen sein, wenn auch bei den vergrösserten Maassen des Sonnengottes sicher noch neue be- deutendere technische und mechanische Schwierigkeiten zu lösen waren. Was indessen Philo darüber berichtet, können wir mit gutem Gewissen für ein Märchen erklären. Vom historischen Standpunkte aus müssen wir die Bedeu- tung des Chares zuerst darin suchen, dass sich bei ihm noch mehr, als bei Lysipp, das Bestreben zeigt, den Werth eines Kunstwerkes in die Massenhaftigkeit zu setzen; sodann aber darin, dass er die sikyonische Kunst nach Rhodos verpflanzt, wo sich dieselbe in der nächstfolgenden Zeit zu einer neuen, selbstständigen Blüthe entwickelte. Mit den Künstlern aus der Schule des Lysipp hat die Blüthe der Kunst in Sikyon und Argos, ja im ganzen Pelo- ponnes, ihr Ende erreicht. Neben ihnen sind nur noch einige Künstler untergeordneten Ranges, nach ihnen kaum einer be- kannt; so dass wir hier den ganzen Rest zusammenzustellen befugt sind, auch wenn ein einzelner von unbekannter Zeit in eine spätere Epoche gehören sollte: Sikyon. Daetondas machte die Statue des Theotimos aus Elis, welcher im Faustkampfe der Knaben zu Olympia gesiegt hatte: Paus. VI, 17, 3. Da des Theotimos Vater Moschion den Zug Alexanders nach Asien mitgemacht hatte, so ist der Künstler etwa ein Zeitgenosse dieses Königs. Menaechmos. Plinius (34, 80) erwähnt als sein Werk einen jungen Stier, welcher mit dem Knie niedergedrückt wird, während der Nacken nach hinten gebeugt ist: also vielleicht eine stieropfernde Nike, wie wir sie häufig in Reliefs und auch in statuarischen Nachbildungen dargestellt sehen. Auch schrieb er über seine Kunst; und Plinius führt unter den Quel- len des 33sten und 34sten Buches seine Schrift über Toreutik,

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/431>, abgerufen am 16.05.2024.