Bei einer Büste, von welcher Fea (Misc. I, p. 142), so- wie bei der Basis einer Statue, von welcher Spon (Misc. p. 126) spricht, ist es nicht nur zweifelhaft, ob der Name des Myron sich auf den berühmten Künstler oder einen andern des- selben Namens, sondern auch ob er sich überhaupt auf einen Künstler beziehe.
Ueber den Stoff seiner Werke ist nur noch zu bemerken, dass er sich zu seinen Erzbildungen des aeginetischen Erzes bediente, während sein Mitschüler Polyklet das delische vor- zog: denn so und nicht umgekehrt glaube ich die Worte des Plinius1) verstehen zu müssen: Bos aereus inde (Aegina) captus in foro boario est Romae. Hoc erit exemplar Aeginetici aeris, Deliaci autem Iuppiter in Capitolio in Iovis Tonantis aede. Illo aere Myron usus est, hoc Polycletus, aequales et condiscipuli. Aemulatio iis et in materia fuit. Leider aber wissen wir über den Unterschied dieser beiden Erzarten gar nichts. Holz und Marmor scheint Myron nur ganz ausnahmsweise bearbeitet zu haben.
Blicken wir jetzt auf die grosse Zahl der Werke zurück, von denen uns Nachrichten erhalten sind, so liefern uns die- selben zuerst einen Beweis für den grossen Ruhm, den sich Myron im Alterthum erworben hatte. Weiter aber zeigt sich uns schon durch die Namen der Werke eine grosse Mannig- faltigkeit in den Gegenständen der Darstellung. Indessen um- fasst auch Myron nicht den ganzen Kreis des Darstellbaren überhaupt, und sehen wir nur etwas genauer zu, so werden wir leicht einzelne bestimmte Richtungen in der Auswahl er- kennen. Den Frauenbildungen scheint Myron nicht vorzugs- weise seine Aufmerksamkeit zugewendet zu haben: bei der trunkenen Alten handelte es sich wenigstens nicht um Frauen- schönheit; das Holzbild der Hekate war gewiss, dem Stoffe entsprechend, mehr ein Tempelbild in alterthümlich-typischer Weise; bei der Nike auf dem jungen Stiere mag das grössere Verdienst in der Bildung des Thieres gelegen haben; Athene endlich, die er zweimal, aber in Verbindung mit andern Fi- guren darstellte, gehört wenigstens nicht zu seinen besonders berühmten Werken. Auch bei den männlichen Gestalten deu-
1) 34, 10.
Bei einer Büste, von welcher Fea (Misc. I, p. 142), so- wie bei der Basis einer Statue, von welcher Spon (Misc. p. 126) spricht, ist es nicht nur zweifelhaft, ob der Name des Myron sich auf den berühmten Künstler oder einen andern des- selben Namens, sondern auch ob er sich überhaupt auf einen Künstler beziehe.
Ueber den Stoff seiner Werke ist nur noch zu bemerken, dass er sich zu seinen Erzbildungen des aeginetischen Erzes bediente, während sein Mitschüler Polyklet das delische vor- zog: denn so und nicht umgekehrt glaube ich die Worte des Plinius1) verstehen zu müssen: Bos aereus inde (Aegina) captus in foro boario est Romae. Hoc erit exemplar Aeginetici aeris, Deliaci autem Iuppiter in Capitolio in Iovis Tonantis aede. Illo aere Myron usus est, hoc Polycletus, aequales et condiscipuli. Aemulatio iis et in materia fuit. Leider aber wissen wir über den Unterschied dieser beiden Erzarten gar nichts. Holz und Marmor scheint Myron nur ganz ausnahmsweise bearbeitet zu haben.
Blicken wir jetzt auf die grosse Zahl der Werke zurück, von denen uns Nachrichten erhalten sind, so liefern uns die- selben zuerst einen Beweis für den grossen Ruhm, den sich Myron im Alterthum erworben hatte. Weiter aber zeigt sich uns schon durch die Namen der Werke eine grosse Mannig- faltigkeit in den Gegenständen der Darstellung. Indessen um- fasst auch Myron nicht den ganzen Kreis des Darstellbaren überhaupt, und sehen wir nur etwas genauer zu, so werden wir leicht einzelne bestimmte Richtungen in der Auswahl er- kennen. Den Frauenbildungen scheint Myron nicht vorzugs- weise seine Aufmerksamkeit zugewendet zu haben: bei der trunkenen Alten handelte es sich wenigstens nicht um Frauen- schönheit; das Holzbild der Hekate war gewiss, dem Stoffe entsprechend, mehr ein Tempelbild in alterthümlich-typischer Weise; bei der Nike auf dem jungen Stiere mag das grössere Verdienst in der Bildung des Thieres gelegen haben; Athene endlich, die er zweimal, aber in Verbindung mit andern Fi- guren darstellte, gehört wenigstens nicht zu seinen besonders berühmten Werken. Auch bei den männlichen Gestalten deu-
1) 34, 10.
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Bei einer Büste, von welcher Fea (Misc. I, p. 142), so-
wie bei der Basis einer Statue, von welcher Spon (Misc.
p. 126) spricht, ist es nicht nur zweifelhaft, ob der Name des
Myron sich auf den berühmten Künstler oder einen andern des-
selben Namens, sondern auch ob er sich überhaupt auf einen
Künstler beziehe.
Ueber den Stoff seiner Werke ist nur noch zu bemerken,
dass er sich zu seinen Erzbildungen des aeginetischen Erzes
bediente, während sein Mitschüler Polyklet das delische vor-
zog: denn so und nicht umgekehrt glaube ich die Worte des
Plinius 1) verstehen zu müssen: Bos aereus inde (Aegina) captus
in foro boario est Romae. Hoc erit exemplar Aeginetici aeris,
Deliaci autem Iuppiter in Capitolio in Iovis Tonantis aede. Illo
aere Myron usus est, hoc Polycletus, aequales et condiscipuli.
Aemulatio iis et in materia fuit. Leider aber wissen wir über
den Unterschied dieser beiden Erzarten gar nichts. Holz und
Marmor scheint Myron nur ganz ausnahmsweise bearbeitet zu
haben.
Blicken wir jetzt auf die grosse Zahl der Werke zurück,
von denen uns Nachrichten erhalten sind, so liefern uns die-
selben zuerst einen Beweis für den grossen Ruhm, den sich
Myron im Alterthum erworben hatte. Weiter aber zeigt sich
uns schon durch die Namen der Werke eine grosse Mannig-
faltigkeit in den Gegenständen der Darstellung. Indessen um-
fasst auch Myron nicht den ganzen Kreis des Darstellbaren
überhaupt, und sehen wir nur etwas genauer zu, so werden
wir leicht einzelne bestimmte Richtungen in der Auswahl er-
kennen. Den Frauenbildungen scheint Myron nicht vorzugs-
weise seine Aufmerksamkeit zugewendet zu haben: bei der
trunkenen Alten handelte es sich wenigstens nicht um Frauen-
schönheit; das Holzbild der Hekate war gewiss, dem Stoffe
entsprechend, mehr ein Tempelbild in alterthümlich-typischer
Weise; bei der Nike auf dem jungen Stiere mag das grössere
Verdienst in der Bildung des Thieres gelegen haben; Athene
endlich, die er zweimal, aber in Verbindung mit andern Fi-
guren darstellte, gehört wenigstens nicht zu seinen besonders
berühmten Werken. Auch bei den männlichen Gestalten deu-
1) 34, 10.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/159>, abgerufen am 24.11.2024.
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