Pythagoras an den Florentinern und ihrer mehr naturalistischen Durchbildung der Form eine kunstgeschichtliche Analogie fin- den. Doch müssen wir uns hüten, bei Pythagoras schon an diejenigen Naturalisten zu denken, welchen wir diesen Namen mit einer übelen Nebenbedeutung zu ertheilen pflegen, insofern sie nur eine täuschende Nachbildung der Oberfläche der Kör- per mit allen ihren Zufälligkeiten beabsichtigen. Mit diesen hat Pythagoras nur den Ausgangspunkt, das Streben nach ge- treuer Naturnachahmung, gemein. Es äussert sich bei ihm in der Bildung der Haare, der Adern und Nerven. Aber bei der Beobachtung der blossen äusseren Erscheinung blieb Pythagoras nicht stehen. Er erkannte, dass schon das Hervortreten der Adern an die Oberfläche mit der Thätigkeit des Körpers in engem Zusammenhange stehe, dass die Nerven, in dem oben angegebenen Sinne als Theile der Muskeln, sogar einen we- sentlichen Einfluss auf die gesammte Bewegung ausüben. Da- durch musste sich ihm die Ueberzeugung anfdrängen, dass eine wahrhaft naturgemässe Darstellung dieser Theile nur mög- lich sei durch eine gründliche Erforschung ihrer gegenseitigen Verhältnisse, der Gesetze ihrer Thätigkeit und ihrer Wechsel- wirkungen, d. h. durch das Studium der Symmetrie und des Rhythmus. Und so gelang es denn in der That dem Pytha- goras, in seinen Werken dem Beschauer eine höhere, geläu- terte Naturwahrheit zu zeigen, welche nicht nur den Sinn zu erfreuen, sondern auch, wie beim Philoktet, die Seelenthätig- keit bis zum lebendigsten Mitgefühl anzuregen im Stande war.
Ich leugne nicht, dass der Versuch auf wenige Zeugnisse hin den Charakter des Pythagoras, so wie den Gang seiner Entwickelung nachzuweisen gewagt erscheinen mag. Aber gerade deshalb werde ich billiger Weise fordern dürfen, dass er nicht in seiner Vereinzelung, sondern im Zusammenhange namentlich mit dem nächsten Abschnitte über Myron betrach- tet werde. Der Vergleich mit diesem äusserlich ähnlichen, in seinem inneren Wesen aber verschiedenen Künstler wird das bisher Gesagte wenigstens in so weit ergänzen, als sich daran die Art und Weise bestimmter offenbaren muss, in welcher ich überhaupt glaube die Quellen der Künstlergeschichte nutzen zu dürfen.
Pythagoras an den Florentinern und ihrer mehr naturalistischen Durchbildung der Form eine kunstgeschichtliche Analogie fin- den. Doch müssen wir uns hüten, bei Pythagoras schon an diejenigen Naturalisten zu denken, welchen wir diesen Namen mit einer übelen Nebenbedeutung zu ertheilen pflegen, insofern sie nur eine täuschende Nachbildung der Oberfläche der Kör- per mit allen ihren Zufälligkeiten beabsichtigen. Mit diesen hat Pythagoras nur den Ausgangspunkt, das Streben nach ge- treuer Naturnachahmung, gemein. Es äussert sich bei ihm in der Bildung der Haare, der Adern und Nerven. Aber bei der Beobachtung der blossen äusseren Erscheinung blieb Pythagoras nicht stehen. Er erkannte, dass schon das Hervortreten der Adern an die Oberfläche mit der Thätigkeit des Körpers in engem Zusammenhange stehe, dass die Nerven, in dem oben angegebenen Sinne als Theile der Muskeln, sogar einen we- sentlichen Einfluss auf die gesammte Bewegung ausüben. Da- durch musste sich ihm die Ueberzeugung anfdrängen, dass eine wahrhaft naturgemässe Darstellung dieser Theile nur mög- lich sei durch eine gründliche Erforschung ihrer gegenseitigen Verhältnisse, der Gesetze ihrer Thätigkeit und ihrer Wechsel- wirkungen, d. h. durch das Studium der Symmetrie und des Rhythmus. Und so gelang es denn in der That dem Pytha- goras, in seinen Werken dem Beschauer eine höhere, geläu- terte Naturwahrheit zu zeigen, welche nicht nur den Sinn zu erfreuen, sondern auch, wie beim Philoktet, die Seelenthätig- keit bis zum lebendigsten Mitgefühl anzuregen im Stande war.
Ich leugne nicht, dass der Versuch auf wenige Zeugnisse hin den Charakter des Pythagoras, so wie den Gang seiner Entwickelung nachzuweisen gewagt erscheinen mag. Aber gerade deshalb werde ich billiger Weise fordern dürfen, dass er nicht in seiner Vereinzelung, sondern im Zusammenhange namentlich mit dem nächsten Abschnitte über Myron betrach- tet werde. Der Vergleich mit diesem äusserlich ähnlichen, in seinem inneren Wesen aber verschiedenen Künstler wird das bisher Gesagte wenigstens in so weit ergänzen, als sich daran die Art und Weise bestimmter offenbaren muss, in welcher ich überhaupt glaube die Quellen der Künstlergeschichte nutzen zu dürfen.
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Pythagoras an den Florentinern und ihrer mehr naturalistischen
Durchbildung der Form eine kunstgeschichtliche Analogie fin-
den. Doch müssen wir uns hüten, bei Pythagoras schon an
diejenigen Naturalisten zu denken, welchen wir diesen Namen
mit einer übelen Nebenbedeutung zu ertheilen pflegen, insofern
sie nur eine täuschende Nachbildung der Oberfläche der Kör-
per mit allen ihren Zufälligkeiten beabsichtigen. Mit diesen
hat Pythagoras nur den Ausgangspunkt, das Streben nach ge-
treuer Naturnachahmung, gemein. Es äussert sich bei ihm in
der Bildung der Haare, der Adern und Nerven. Aber bei der
Beobachtung der blossen äusseren Erscheinung blieb Pythagoras
nicht stehen. Er erkannte, dass schon das Hervortreten der
Adern an die Oberfläche mit der Thätigkeit des Körpers in
engem Zusammenhange stehe, dass die Nerven, in dem oben
angegebenen Sinne als Theile der Muskeln, sogar einen we-
sentlichen Einfluss auf die gesammte Bewegung ausüben. Da-
durch musste sich ihm die Ueberzeugung anfdrängen, dass
eine wahrhaft naturgemässe Darstellung dieser Theile nur mög-
lich sei durch eine gründliche Erforschung ihrer gegenseitigen
Verhältnisse, der Gesetze ihrer Thätigkeit und ihrer Wechsel-
wirkungen, d. h. durch das Studium der Symmetrie und des
Rhythmus. Und so gelang es denn in der That dem Pytha-
goras, in seinen Werken dem Beschauer eine höhere, geläu-
terte Naturwahrheit zu zeigen, welche nicht nur den Sinn zu
erfreuen, sondern auch, wie beim Philoktet, die Seelenthätig-
keit bis zum lebendigsten Mitgefühl anzuregen im Stande
war.
Ich leugne nicht, dass der Versuch auf wenige Zeugnisse
hin den Charakter des Pythagoras, so wie den Gang seiner
Entwickelung nachzuweisen gewagt erscheinen mag. Aber
gerade deshalb werde ich billiger Weise fordern dürfen, dass
er nicht in seiner Vereinzelung, sondern im Zusammenhange
namentlich mit dem nächsten Abschnitte über Myron betrach-
tet werde. Der Vergleich mit diesem äusserlich ähnlichen, in
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/154>, abgerufen am 09.11.2024.
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