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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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dersprechen darf er seinen Weisungen nicht. Da nimmt auch
er seine Zuflucht zur Religion. Die Göttin selbst muss im
Traume erscheinen und das gut heissen, worin der Künstler
von den Satzungen der Priester abweichen will. Ob dabei ein
frommer Betrug im Spiele ist, ob der erregten Phantasie des
Künstlers das Bild der Göttin wirklich im Traume erschien,
kann uns gleich gelten. Immer erkennen wir hier das erste
mächtige Anzeichen eines Strebens nach Freiheit, nach unge-
hemmter Entwickelung und organischer Bildung. Aber ebenso
erkennen wir durch das theilweise Festhalten an einem alten
Vorbilde, dass die wahre, volle Idealbildung der Götter nicht
erreicht war. Sie blieb dem Genius eines Phidias vorbehalten.
Wollen wir einmal Schlagwörter gebrauchen, so ist es nicht
das Ideal, sondern der Typus der Göttergestalten, der in die-
ser älteren Zeit bestimmter ausgeprägt wird. Ganze Gruppen,
die das Wesen einer Gottheit näher bezeichnen sollen, werden
ihr ohne Weiteres auf die Hand gestellt. Die Attribute, der
Blitz des Zeus, der Heroldsstab des Hermes, Apollo's Bogen,
die wir in späteren Bildern, sofern nicht eine bestimmte Hand-
lung es anders bedingt, in den Händen der Götter unthätig
und nur zu kräftigem Gebrauche ruhen sehen, diese Attribute
werden in den älteren Bildern recht eigentlich zur Schau ge-
tragen; der Gott steht da, um seinen Blitz, seinen Bogen, das
Zeichen seiner Macht, dem ehrfurchtsvollen Beschauer recht
eindringlich vor Augen zu führen. Auch andere äussere
Kennzeichen, die verschiedenen Stufen des Alters, Bart, Haar,
Bekleidung, werden für die einzelnen Götter immer fester be-
stimmt. Dass nun aber diese einzelnen Unterscheidungszeichen
zu einem einheitlichen Ganzen aus dem inneren Wesen der
Gottheit heraus, zu einem Ideal verarbeitet worden wären,
davon liefern uns die schriftlichen Nachrichten so wenig, wie
die erhaltenen Denkmäler einen Beweis.

Was wir nun weiter über den Styl dieser Epoche erfah-
ren, hält sich in sehr allgemeinen Ausdrücken. Des Kallon
und Hegesias Werke sind nach Quintilian1) noch hart und
den tuscanischen ganz nahe stehend, eben so nach Cicero2)
die des Kanachos zu herbe, als dass sie die Wahrheit nach-
ahmten. In ähnlicher Weise nennt Lucian3) die alten atti-

1) XII, 10, 7.
2) Brut. 18.
3) Rhet. praec. 9.

dersprechen darf er seinen Weisungen nicht. Da nimmt auch
er seine Zuflucht zur Religion. Die Göttin selbst muss im
Traume erscheinen und das gut heissen, worin der Künstler
von den Satzungen der Priester abweichen will. Ob dabei ein
frommer Betrug im Spiele ist, ob der erregten Phantasie des
Künstlers das Bild der Göttin wirklich im Traume erschien,
kann uns gleich gelten. Immer erkennen wir hier das erste
mächtige Anzeichen eines Strebens nach Freiheit, nach unge-
hemmter Entwickelung und organischer Bildung. Aber ebenso
erkennen wir durch das theilweise Festhalten an einem alten
Vorbilde, dass die wahre, volle Idealbildung der Götter nicht
erreicht war. Sie blieb dem Genius eines Phidias vorbehalten.
Wollen wir einmal Schlagwörter gebrauchen, so ist es nicht
das Ideal, sondern der Typus der Göttergestalten, der in die-
ser älteren Zeit bestimmter ausgeprägt wird. Ganze Gruppen,
die das Wesen einer Gottheit näher bezeichnen sollen, werden
ihr ohne Weiteres auf die Hand gestellt. Die Attribute, der
Blitz des Zeus, der Heroldsstab des Hermes, Apollo’s Bogen,
die wir in späteren Bildern, sofern nicht eine bestimmte Hand-
lung es anders bedingt, in den Händen der Götter unthätig
und nur zu kräftigem Gebrauche ruhen sehen, diese Attribute
werden in den älteren Bildern recht eigentlich zur Schau ge-
tragen; der Gott steht da, um seinen Blitz, seinen Bogen, das
Zeichen seiner Macht, dem ehrfurchtsvollen Beschauer recht
eindringlich vor Augen zu führen. Auch andere äussere
Kennzeichen, die verschiedenen Stufen des Alters, Bart, Haar,
Bekleidung, werden für die einzelnen Götter immer fester be-
stimmt. Dass nun aber diese einzelnen Unterscheidungszeichen
zu einem einheitlichen Ganzen aus dem inneren Wesen der
Gottheit heraus, zu einem Ideal verarbeitet worden wären,
davon liefern uns die schriftlichen Nachrichten so wenig, wie
die erhaltenen Denkmäler einen Beweis.

Was wir nun weiter über den Styl dieser Epoche erfah-
ren, hält sich in sehr allgemeinen Ausdrücken. Des Kallon
und Hegesias Werke sind nach Quintilian1) noch hart und
den tuscanischen ganz nahe stehend, eben so nach Cicero2)
die des Kanachos zu herbe, als dass sie die Wahrheit nach-
ahmten. In ähnlicher Weise nennt Lucian3) die alten atti-

1) XII, 10, 7.
2) Brut. 18.
3) Rhet. praec. 9.
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[122/0135] dersprechen darf er seinen Weisungen nicht. Da nimmt auch er seine Zuflucht zur Religion. Die Göttin selbst muss im Traume erscheinen und das gut heissen, worin der Künstler von den Satzungen der Priester abweichen will. Ob dabei ein frommer Betrug im Spiele ist, ob der erregten Phantasie des Künstlers das Bild der Göttin wirklich im Traume erschien, kann uns gleich gelten. Immer erkennen wir hier das erste mächtige Anzeichen eines Strebens nach Freiheit, nach unge- hemmter Entwickelung und organischer Bildung. Aber ebenso erkennen wir durch das theilweise Festhalten an einem alten Vorbilde, dass die wahre, volle Idealbildung der Götter nicht erreicht war. Sie blieb dem Genius eines Phidias vorbehalten. Wollen wir einmal Schlagwörter gebrauchen, so ist es nicht das Ideal, sondern der Typus der Göttergestalten, der in die- ser älteren Zeit bestimmter ausgeprägt wird. Ganze Gruppen, die das Wesen einer Gottheit näher bezeichnen sollen, werden ihr ohne Weiteres auf die Hand gestellt. Die Attribute, der Blitz des Zeus, der Heroldsstab des Hermes, Apollo’s Bogen, die wir in späteren Bildern, sofern nicht eine bestimmte Hand- lung es anders bedingt, in den Händen der Götter unthätig und nur zu kräftigem Gebrauche ruhen sehen, diese Attribute werden in den älteren Bildern recht eigentlich zur Schau ge- tragen; der Gott steht da, um seinen Blitz, seinen Bogen, das Zeichen seiner Macht, dem ehrfurchtsvollen Beschauer recht eindringlich vor Augen zu führen. Auch andere äussere Kennzeichen, die verschiedenen Stufen des Alters, Bart, Haar, Bekleidung, werden für die einzelnen Götter immer fester be- stimmt. Dass nun aber diese einzelnen Unterscheidungszeichen zu einem einheitlichen Ganzen aus dem inneren Wesen der Gottheit heraus, zu einem Ideal verarbeitet worden wären, davon liefern uns die schriftlichen Nachrichten so wenig, wie die erhaltenen Denkmäler einen Beweis. Was wir nun weiter über den Styl dieser Epoche erfah- ren, hält sich in sehr allgemeinen Ausdrücken. Des Kallon und Hegesias Werke sind nach Quintilian 1) noch hart und den tuscanischen ganz nahe stehend, eben so nach Cicero 2) die des Kanachos zu herbe, als dass sie die Wahrheit nach- ahmten. In ähnlicher Weise nennt Lucian 3) die alten atti- 1) XII, 10, 7. 2) Brut. 18. 3) Rhet. praec. 9.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/135>, abgerufen am 25.11.2024.