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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

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Den 9ten hatten wir den ganzen Tag guten Wind,
den wir uns, so gut wir konnten, zu Nutze machten,
bis wir des Abends sitzen blieben, wo wir aber doch ver-
mittelst eines Wurfankers ohne den geringsten Schaden
wieder loskamen. Dieses kleine Hinderniß in unserer
Fahrt, benahm den armen verhungerten Soldaten allen
Muth, und diese Nacht starben wiederum zwey von
ihnen. Die überbliebenen sahen mehr wie Geister
als Menschen aus, und waren nunmehr so entkräftet,
daß sie weder die Ruder noch die Segel regieren konn-
ten, und sogar um Erlaubniß baten, ihre todten Ge-
fährten zu essen. Hiervon suchten wir sie aber abzu-
halten, weil wir mit gutem Winde segelten, und in
einem Tag in der Mündung der Wolga zu seyn hoff-
ten. Am 10ten war uns der Wind gleichfalls gün-
stig, bis wir des Abends glücklich auf einen Fischerkahn
stießen, auf welchem Fische genug waren. Die ar-
men verhungerten Leute fielen so begierig darein, daß
sie das Sieden derselben nicht erwarten konnten. Jch
war also genöthiget, den Kahn fortzuschicken, damit
die Leute sich nicht um das Leben bringen möchten.
Da uns aber die Fischer einen Sack Zwieback gege-
ben hatten, der ihnen in kleinen Portionen ausgethei-
let wurde, so brachte dieses sie nebst den gesottenen
Fischen ein wenig wieder zu Kräften; und die fröhliche
Nachricht, daß viele Proviantschiffe in der Mündung
des Flusses lägen, stärkte sie noch mehr. Jch be-
hielt einen von den Fischern zu einem Steuermann,
und ließ den Kahn mit den Fischern nachfahren, im
Fall wir noch einige nöthig haben sollten. Wir se-
gelten die ganze Nacht, und es starben in derselben
doch noch viere von meinen Leuten, die ganz gewiß

von

Den 9ten hatten wir den ganzen Tag guten Wind,
den wir uns, ſo gut wir konnten, zu Nutze machten,
bis wir des Abends ſitzen blieben, wo wir aber doch ver-
mittelſt eines Wurfankers ohne den geringſten Schaden
wieder loskamen. Dieſes kleine Hinderniß in unſerer
Fahrt, benahm den armen verhungerten Soldaten allen
Muth, und dieſe Nacht ſtarben wiederum zwey von
ihnen. Die uͤberbliebenen ſahen mehr wie Geiſter
als Menſchen aus, und waren nunmehr ſo entkraͤftet,
daß ſie weder die Ruder noch die Segel regieren konn-
ten, und ſogar um Erlaubniß baten, ihre todten Ge-
faͤhrten zu eſſen. Hiervon ſuchten wir ſie aber abzu-
halten, weil wir mit gutem Winde ſegelten, und in
einem Tag in der Muͤndung der Wolga zu ſeyn hoff-
ten. Am 10ten war uns der Wind gleichfalls guͤn-
ſtig, bis wir des Abends gluͤcklich auf einen Fiſcherkahn
ſtießen, auf welchem Fiſche genug waren. Die ar-
men verhungerten Leute fielen ſo begierig darein, daß
ſie das Sieden derſelben nicht erwarten konnten. Jch
war alſo genoͤthiget, den Kahn fortzuſchicken, damit
die Leute ſich nicht um das Leben bringen moͤchten.
Da uns aber die Fiſcher einen Sack Zwieback gege-
ben hatten, der ihnen in kleinen Portionen ausgethei-
let wurde, ſo brachte dieſes ſie nebſt den geſottenen
Fiſchen ein wenig wieder zu Kraͤften; und die froͤhliche
Nachricht, daß viele Proviantſchiffe in der Muͤndung
des Fluſſes laͤgen, ſtaͤrkte ſie noch mehr. Jch be-
hielt einen von den Fiſchern zu einem Steuermann,
und ließ den Kahn mit den Fiſchern nachfahren, im
Fall wir noch einige noͤthig haben ſollten. Wir ſe-
gelten die ganze Nacht, und es ſtarben in derſelben
doch noch viere von meinen Leuten, die ganz gewiß

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[351/0361] Den 9ten hatten wir den ganzen Tag guten Wind, den wir uns, ſo gut wir konnten, zu Nutze machten, bis wir des Abends ſitzen blieben, wo wir aber doch ver- mittelſt eines Wurfankers ohne den geringſten Schaden wieder loskamen. Dieſes kleine Hinderniß in unſerer Fahrt, benahm den armen verhungerten Soldaten allen Muth, und dieſe Nacht ſtarben wiederum zwey von ihnen. Die uͤberbliebenen ſahen mehr wie Geiſter als Menſchen aus, und waren nunmehr ſo entkraͤftet, daß ſie weder die Ruder noch die Segel regieren konn- ten, und ſogar um Erlaubniß baten, ihre todten Ge- faͤhrten zu eſſen. Hiervon ſuchten wir ſie aber abzu- halten, weil wir mit gutem Winde ſegelten, und in einem Tag in der Muͤndung der Wolga zu ſeyn hoff- ten. Am 10ten war uns der Wind gleichfalls guͤn- ſtig, bis wir des Abends gluͤcklich auf einen Fiſcherkahn ſtießen, auf welchem Fiſche genug waren. Die ar- men verhungerten Leute fielen ſo begierig darein, daß ſie das Sieden derſelben nicht erwarten konnten. Jch war alſo genoͤthiget, den Kahn fortzuſchicken, damit die Leute ſich nicht um das Leben bringen moͤchten. Da uns aber die Fiſcher einen Sack Zwieback gege- ben hatten, der ihnen in kleinen Portionen ausgethei- let wurde, ſo brachte dieſes ſie nebſt den geſottenen Fiſchen ein wenig wieder zu Kraͤften; und die froͤhliche Nachricht, daß viele Proviantſchiffe in der Muͤndung des Fluſſes laͤgen, ſtaͤrkte ſie noch mehr. Jch be- hielt einen von den Fiſchern zu einem Steuermann, und ließ den Kahn mit den Fiſchern nachfahren, im Fall wir noch einige noͤthig haben ſollten. Wir ſe- gelten die ganze Nacht, und es ſtarben in derſelben doch noch viere von meinen Leuten, die ganz gewiß von

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Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/361>, abgerufen am 25.11.2024.