Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

einzigen Kindes so zu Herzen, daß er wieder krank
wurde, und am 4ten Junii gleichfalls starb, und
von beyden Majestäten und von allen Ständen des
Volks sehr bedauert ward; besonders aber von der
Armee, die ihn, seiner strengen Zucht ungeachtet, an-
betete, denn er besaß die Kunst, sie dahin zu bringen,
daß sie ihm mit Vergnügen gehorchte, weil er denje-
nigen, die seine Befehle übertraten, nur in geheim
einen Verweis gab, so daß während seines Comman-
dos Kriegsgerichte und Strafen sehr selten bey der
Armee vorkamen. Dieser Gelindigkeit ungeachtet
ist die Russische Armee doch niemals besser discipli-
nirt oder in schönerer Ordnung gewesen. Der Mar-
schall war in Moskau von deutschen Aeltern geboren;
er hatte in seiner Jugend viele Feldzüge unter dem
Fürsten Eugen in Ungarn gemacht, bey dem er Ad-
jutant gewesen war, und unter welchem er, wie er
jederzeit sagte, die Kriegskunst gelernet hatte. Er
war im Jahre 1700 bey Narva gefangen worden
und bis 1710 in Stockholm gewesen, da er denn
ausgelöset und zum Feldmarschall gemacht wurde,
nachdem der Graf Tscheremetof nach seinem Marsche
durch Pohlen gestorben war.

Ueble Be-
handlung
seiner Fa-
milie.

Der Marschall war kaum todt, als der General-
lieutenant Romanzof in des Czars Nahmen in das
Haus kam und in des Generals le Fort und meiner Ge-
genwart alles versiegelte, und hierauf ein Verzeichniß
von allem Silbergeschirre und Hausgeräthe verfertigte,
zu großem Erstaunen des Generals, der der Vater von
des Marschalls Enkelinn, der einzigen Erbinn dieses
großen Vermögens, war. Der General le Fort ver-
langte hierauf zu wissen, weil alles Geld, fast 60000

Ducaten,

einzigen Kindes ſo zu Herzen, daß er wieder krank
wurde, und am 4ten Junii gleichfalls ſtarb, und
von beyden Majeſtaͤten und von allen Staͤnden des
Volks ſehr bedauert ward; beſonders aber von der
Armee, die ihn, ſeiner ſtrengen Zucht ungeachtet, an-
betete, denn er beſaß die Kunſt, ſie dahin zu bringen,
daß ſie ihm mit Vergnuͤgen gehorchte, weil er denje-
nigen, die ſeine Befehle uͤbertraten, nur in geheim
einen Verweis gab, ſo daß waͤhrend ſeines Comman-
dos Kriegsgerichte und Strafen ſehr ſelten bey der
Armee vorkamen. Dieſer Gelindigkeit ungeachtet
iſt die Ruſſiſche Armee doch niemals beſſer discipli-
nirt oder in ſchoͤnerer Ordnung geweſen. Der Mar-
ſchall war in Moskau von deutſchen Aeltern geboren;
er hatte in ſeiner Jugend viele Feldzuͤge unter dem
Fuͤrſten Eugen in Ungarn gemacht, bey dem er Ad-
jutant geweſen war, und unter welchem er, wie er
jederzeit ſagte, die Kriegskunſt gelernet hatte. Er
war im Jahre 1700 bey Narva gefangen worden
und bis 1710 in Stockholm geweſen, da er denn
ausgeloͤſet und zum Feldmarſchall gemacht wurde,
nachdem der Graf Tſcheremetof nach ſeinem Marſche
durch Pohlen geſtorben war.

Ueble Be-
handlung
ſeiner Fa-
milie.

Der Marſchall war kaum todt, als der General-
lieutenant Romanzof in des Czars Nahmen in das
Haus kam und in des Generals le Fort und meiner Ge-
genwart alles verſiegelte, und hierauf ein Verzeichniß
von allem Silbergeſchirre und Hausgeraͤthe verfertigte,
zu großem Erſtaunen des Generals, der der Vater von
des Marſchalls Enkelinn, der einzigen Erbinn dieſes
großen Vermoͤgens, war. Der General le Fort ver-
langte hierauf zu wiſſen, weil alles Geld, faſt 60000

Ducaten,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0250" n="240"/>
einzigen Kindes &#x017F;o zu Herzen, daß er wieder krank<lb/>
wurde, und am 4ten Junii gleichfalls &#x017F;tarb, und<lb/>
von beyden Maje&#x017F;ta&#x0364;ten und von allen Sta&#x0364;nden des<lb/>
Volks &#x017F;ehr bedauert ward; be&#x017F;onders aber von der<lb/>
Armee, die ihn, &#x017F;einer &#x017F;trengen Zucht ungeachtet, an-<lb/>
betete, denn er be&#x017F;aß die Kun&#x017F;t, &#x017F;ie dahin zu bringen,<lb/>
daß &#x017F;ie ihm mit Vergnu&#x0364;gen gehorchte, weil er denje-<lb/>
nigen, die &#x017F;eine Befehle u&#x0364;bertraten, nur in geheim<lb/>
einen Verweis gab, &#x017F;o daß wa&#x0364;hrend &#x017F;eines Comman-<lb/>
dos Kriegsgerichte und Strafen &#x017F;ehr &#x017F;elten bey der<lb/>
Armee vorkamen. Die&#x017F;er Gelindigkeit ungeachtet<lb/>
i&#x017F;t die Ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Armee doch niemals be&#x017F;&#x017F;er discipli-<lb/>
nirt oder in &#x017F;cho&#x0364;nerer Ordnung gewe&#x017F;en. Der Mar-<lb/>
&#x017F;chall war in Moskau von deut&#x017F;chen Aeltern geboren;<lb/>
er hatte in &#x017F;einer Jugend viele Feldzu&#x0364;ge unter dem<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;ten Eugen in Ungarn gemacht, bey dem er Ad-<lb/>
jutant gewe&#x017F;en war, und unter welchem er, wie er<lb/>
jederzeit &#x017F;agte, die Kriegskun&#x017F;t gelernet hatte. Er<lb/>
war im Jahre 1700 bey Narva gefangen worden<lb/>
und bis 1710 in Stockholm gewe&#x017F;en, da er denn<lb/>
ausgelo&#x0364;&#x017F;et und zum Feldmar&#x017F;chall gemacht wurde,<lb/>
nachdem der Graf T&#x017F;cheremetof nach &#x017F;einem Mar&#x017F;che<lb/>
durch Pohlen ge&#x017F;torben war.</p><lb/>
        <note place="left">Ueble Be-<lb/>
handlung<lb/>
&#x017F;einer Fa-<lb/>
milie.</note>
        <p>Der Mar&#x017F;chall war kaum todt, als der General-<lb/>
lieutenant Romanzof in des Czars Nahmen in das<lb/>
Haus kam und in des Generals le Fort und meiner Ge-<lb/>
genwart alles ver&#x017F;iegelte, und hierauf ein Verzeichniß<lb/>
von allem Silberge&#x017F;chirre und Hausgera&#x0364;the verfertigte,<lb/>
zu großem Er&#x017F;taunen des Generals, der der Vater von<lb/>
des Mar&#x017F;challs Enkelinn, der einzigen Erbinn die&#x017F;es<lb/>
großen Vermo&#x0364;gens, war. Der General le Fort ver-<lb/>
langte hierauf zu wi&#x017F;&#x017F;en, weil alles Geld, fa&#x017F;t 60000<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ducaten,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[240/0250] einzigen Kindes ſo zu Herzen, daß er wieder krank wurde, und am 4ten Junii gleichfalls ſtarb, und von beyden Majeſtaͤten und von allen Staͤnden des Volks ſehr bedauert ward; beſonders aber von der Armee, die ihn, ſeiner ſtrengen Zucht ungeachtet, an- betete, denn er beſaß die Kunſt, ſie dahin zu bringen, daß ſie ihm mit Vergnuͤgen gehorchte, weil er denje- nigen, die ſeine Befehle uͤbertraten, nur in geheim einen Verweis gab, ſo daß waͤhrend ſeines Comman- dos Kriegsgerichte und Strafen ſehr ſelten bey der Armee vorkamen. Dieſer Gelindigkeit ungeachtet iſt die Ruſſiſche Armee doch niemals beſſer discipli- nirt oder in ſchoͤnerer Ordnung geweſen. Der Mar- ſchall war in Moskau von deutſchen Aeltern geboren; er hatte in ſeiner Jugend viele Feldzuͤge unter dem Fuͤrſten Eugen in Ungarn gemacht, bey dem er Ad- jutant geweſen war, und unter welchem er, wie er jederzeit ſagte, die Kriegskunſt gelernet hatte. Er war im Jahre 1700 bey Narva gefangen worden und bis 1710 in Stockholm geweſen, da er denn ausgeloͤſet und zum Feldmarſchall gemacht wurde, nachdem der Graf Tſcheremetof nach ſeinem Marſche durch Pohlen geſtorben war. Der Marſchall war kaum todt, als der General- lieutenant Romanzof in des Czars Nahmen in das Haus kam und in des Generals le Fort und meiner Ge- genwart alles verſiegelte, und hierauf ein Verzeichniß von allem Silbergeſchirre und Hausgeraͤthe verfertigte, zu großem Erſtaunen des Generals, der der Vater von des Marſchalls Enkelinn, der einzigen Erbinn dieſes großen Vermoͤgens, war. Der General le Fort ver- langte hierauf zu wiſſen, weil alles Geld, faſt 60000 Ducaten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/250
Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/250>, abgerufen am 28.04.2024.