Zu der Zeit, wenn man gehen soll, nicht wollen, daß wir halb zerrissen Von ihm getrennet werden müssen. Damit du ihn nun willig lassest, erregt dein Leib dir sol- che Plagen, Die dir, wie sehr du ihn auch liebest, unmöglich fallen zu ertragen. Wer ist doch wohl so niederträchtig, der gern im Hause wollte bleiben, Woraus der Wirth, mit murrschen Blicken, ihn immer droht heraus zu treiben, Und in der That ihn von sich stößt? "Der Leib ist keine Wohnung nicht, "Spricht Seneca: nur eine Herberg, und zwar nur bloß auf kurze Zeit, "Man muß dieselbige verlassen, so bald der Wirth ent- weiche, spricht, "Und er durch widrige Begegnung ihn zu verlassen, uns gebeut." Jst etwan uns in diesem Hause so wohl, daß wir uns so bestreben, Darinn beständig zu verharren, und als Unsterbliche zu leben? Was fühlt man nicht darinn für Plagen, Die, daß es nicht für uns sey, zeigen, die uns zerfoltern und zernagen! Bald muß man über Haupt und Bauch, bald über Brust und Nieren klagen; Hier foltern uns die zähen Nerven, und dort ein Podagra die Füsse; Bald plaget uns des Blutes Meng', und bald der Man- gel, öfters Flüsse;
Bald
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zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Zu der Zeit, wenn man gehen ſoll, nicht wollen, daß wir halb zerriſſen Von ihm getrennet werden muͤſſen. Damit du ihn nun willig laſſeſt, erregt dein Leib dir ſol- che Plagen, Die dir, wie ſehr du ihn auch liebeſt, unmoͤglich fallen zu ertragen. Wer iſt doch wohl ſo niedertraͤchtig, der gern im Hauſe wollte bleiben, Woraus der Wirth, mit murrſchen Blicken, ihn immer droht heraus zu treiben, Und in der That ihn von ſich ſtoͤßt? „Der Leib iſt keine Wohnung nicht, „Spricht Seneca: nur eine Herberg, und zwar nur bloß auf kurze Zeit, „Man muß dieſelbige verlaſſen, ſo bald der Wirth ent- weiche, ſpricht, „Und er durch widrige Begegnung ihn zu verlaſſen, uns gebeut.“ Jſt etwan uns in dieſem Hauſe ſo wohl, daß wir uns ſo beſtreben, Darinn beſtaͤndig zu verharren, und als Unſterbliche zu leben? Was fuͤhlt man nicht darinn fuͤr Plagen, Die, daß es nicht fuͤr uns ſey, zeigen, die uns zerfoltern und zernagen! Bald muß man uͤber Haupt und Bauch, bald uͤber Bruſt und Nieren klagen; Hier foltern uns die zaͤhen Nerven, und dort ein Podagra die Fuͤſſe; Bald plaget uns des Blutes Meng’, und bald der Man- gel, oͤfters Fluͤſſe;
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zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Zu der Zeit, wenn man gehen ſoll, nicht wollen, daß wir
halb zerriſſen
Von ihm getrennet werden muͤſſen.
Damit du ihn nun willig laſſeſt, erregt dein Leib dir ſol-
che Plagen,
Die dir, wie ſehr du ihn auch liebeſt, unmoͤglich fallen zu
ertragen.
Wer iſt doch wohl ſo niedertraͤchtig, der gern im Hauſe
wollte bleiben,
Woraus der Wirth, mit murrſchen Blicken, ihn immer
droht heraus zu treiben,
Und in der That ihn von ſich ſtoͤßt? „Der Leib iſt keine
Wohnung nicht,
„Spricht Seneca: nur eine Herberg, und zwar nur bloß
auf kurze Zeit,
„Man muß dieſelbige verlaſſen, ſo bald der Wirth ent-
weiche, ſpricht,
„Und er durch widrige Begegnung ihn zu verlaſſen, uns
gebeut.“
Jſt etwan uns in dieſem Hauſe ſo wohl, daß wir uns ſo
beſtreben,
Darinn beſtaͤndig zu verharren, und als Unſterbliche zu
leben?
Was fuͤhlt man nicht darinn fuͤr Plagen,
Die, daß es nicht fuͤr uns ſey, zeigen, die uns zerfoltern
und zernagen!
Bald muß man uͤber Haupt und Bauch, bald uͤber Bruſt
und Nieren klagen;
Hier foltern uns die zaͤhen Nerven, und dort ein Podagra
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Bald plaget uns des Blutes Meng’, und bald der Man-
gel, oͤfters Fluͤſſe;
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/619>, abgerufen am 23.11.2024.
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