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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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Anleitung

Und du bist damit vergnügt, wünschst auch mehr nicht zu
erhalten;

Dennoch bey derselben Schluß möchtest du noch nicht er-
kalten.

Wäre dieses etwas anders, als daß du nicht hättest wollen,
Daß, da du gebohren, hättest nicht gebohren werden sollen?
Früher, oder aber später hättest du auf dieser Erden
Nach dem Schlusse, den du machst, ja gebohren müssen
werden:

Doch du müssest ein Jahr später hier gebohren worden seyn;
Wenn du später sterben wolltest, welches, daß es lächerlich,
Damit stimmet, wie ich hoffe, jeder billig überein.
Mir fällt zu begreifen schwer, auf was Weise daß du dich
Mit dem Ursprung deines Lebens fähig seyn kannst zu ver-
einen,

Da du wegen deines Anfangs ihm bereits besprichst, im
Meynen

Später wär es gut gewesen. So ist es nicht wunderns-
werth,

Daß sich bey des Lebens Schluß über ihm dein Geist
beschwert,

Da du schon den Anfang tadelst. Doch, da dir kein Tag
gerecht

Auch von allen, den zum Tode Gott dir einst bestimmen
möcht,

Und es dennoch festgesetzt, daß du einmal sollt erbleichen,
Und aus diesem Leben weichen,
Daß wir, dieser Sache wegen,
Wenn der Tod dereinst erscheint, keinen Streit mehr ha-
ben mögen:

So erwähl dir selbst den Tag, woran du ohn alle Klagen
Aus der Welt zu scheiden denkst, und dein Sterben willt
ertragen,

Daß

Anleitung

Und du biſt damit vergnuͤgt, wuͤnſchſt auch mehr nicht zu
erhalten;

Dennoch bey derſelben Schluß moͤchteſt du noch nicht er-
kalten.

Waͤre dieſes etwas anders, als daß du nicht haͤtteſt wollen,
Daß, da du gebohren, haͤtteſt nicht gebohren werden ſollen?
Fruͤher, oder aber ſpaͤter haͤtteſt du auf dieſer Erden
Nach dem Schluſſe, den du machſt, ja gebohren muͤſſen
werden:

Doch du muͤſſeſt ein Jahr ſpaͤter hier gebohren worden ſeyn;
Wenn du ſpaͤter ſterben wollteſt, welches, daß es laͤcherlich,
Damit ſtimmet, wie ich hoffe, jeder billig uͤberein.
Mir faͤllt zu begreifen ſchwer, auf was Weiſe daß du dich
Mit dem Urſprung deines Lebens faͤhig ſeyn kannſt zu ver-
einen,

Da du wegen deines Anfangs ihm bereits beſprichſt, im
Meynen

Spaͤter waͤr es gut geweſen. So iſt es nicht wunderns-
werth,

Daß ſich bey des Lebens Schluß uͤber ihm dein Geiſt
beſchwert,

Da du ſchon den Anfang tadelſt. Doch, da dir kein Tag
gerecht

Auch von allen, den zum Tode Gott dir einſt beſtimmen
moͤcht,

Und es dennoch feſtgeſetzt, daß du einmal ſollt erbleichen,
Und aus dieſem Leben weichen,
Daß wir, dieſer Sache wegen,
Wenn der Tod dereinſt erſcheint, keinen Streit mehr ha-
ben moͤgen:

So erwaͤhl dir ſelbſt den Tag, woran du ohn alle Klagen
Aus der Welt zu ſcheiden denkſt, und dein Sterben willt
ertragen,

Daß
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[586/0606] Anleitung Und du biſt damit vergnuͤgt, wuͤnſchſt auch mehr nicht zu erhalten; Dennoch bey derſelben Schluß moͤchteſt du noch nicht er- kalten. Waͤre dieſes etwas anders, als daß du nicht haͤtteſt wollen, Daß, da du gebohren, haͤtteſt nicht gebohren werden ſollen? Fruͤher, oder aber ſpaͤter haͤtteſt du auf dieſer Erden Nach dem Schluſſe, den du machſt, ja gebohren muͤſſen werden: Doch du muͤſſeſt ein Jahr ſpaͤter hier gebohren worden ſeyn; Wenn du ſpaͤter ſterben wollteſt, welches, daß es laͤcherlich, Damit ſtimmet, wie ich hoffe, jeder billig uͤberein. Mir faͤllt zu begreifen ſchwer, auf was Weiſe daß du dich Mit dem Urſprung deines Lebens faͤhig ſeyn kannſt zu ver- einen, Da du wegen deines Anfangs ihm bereits beſprichſt, im Meynen Spaͤter waͤr es gut geweſen. So iſt es nicht wunderns- werth, Daß ſich bey des Lebens Schluß uͤber ihm dein Geiſt beſchwert, Da du ſchon den Anfang tadelſt. Doch, da dir kein Tag gerecht Auch von allen, den zum Tode Gott dir einſt beſtimmen moͤcht, Und es dennoch feſtgeſetzt, daß du einmal ſollt erbleichen, Und aus dieſem Leben weichen, Daß wir, dieſer Sache wegen, Wenn der Tod dereinſt erſcheint, keinen Streit mehr ha- ben moͤgen: So erwaͤhl dir ſelbſt den Tag, woran du ohn alle Klagen Aus der Welt zu ſcheiden denkſt, und dein Sterben willt ertragen, Daß

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/606>, abgerufen am 02.05.2024.