Daß du auch in dieser Wahl dich nicht übereilen mögest, Bin ich wohl damit zufrieden, daß du alles überlegest. Stelle dir des Menschen Alter in dem ganzen Umfang für, Wähl von allen Tagen einen, eine Stunde, die vor allen Dir zu sterben wird gefallen: So erkühn ich mich zu sagen, und es wird gewiß nicht feh- len, Wenn du allen nachgedacht, wirst du dennoch keinen wählen, Den du für den besten hältst, und den du nicht, zu ver- meiden, Tausend Gründe finden würdest. Wenn du jung, den Tod zu leiden, Würde dir misfällig seyn; denn du fängst erst an zu leben. Jn erwachs'nen Jahren auch; denn dein Wirken fängt erst an. Auch im Alter würdest du willig nicht den Geist aufgeben, Weil man denn ja seiner Arbeit erst bequem genießen kann. Und so fingst du immer an, wo sichs doch gebührt zu enden, Weil du selbst nicht enden willt. Ja, wofern du auch ge- wählt, Nach so mancher Ueberlegung, manchem hin und wieder Wenden, Und es käm der Tag herbey, hättest du dennoch gefehlt, Wenn er auch nach hundert Jahren allererst gesetzet wär, Würde dir sodann die Wahl dennoch ganz gewiß gereuen; Denn du würdest sonder Zweifel dich auch dann zu sterben scheuen. Sachen wären noch zu schlichten, Waaren schwämmen auf dem Meer, Noch nicht recht berathne Kinder, tausend Dinge sind vorhanden, Die, wie du den Tag gewählt, nicht vermuthet, nicht verstanden:
So
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Daß du auch in dieſer Wahl dich nicht uͤbereilen moͤgeſt, Bin ich wohl damit zufrieden, daß du alles uͤberlegeſt. Stelle dir des Menſchen Alter in dem ganzen Umfang fuͤr, Waͤhl von allen Tagen einen, eine Stunde, die vor allen Dir zu ſterben wird gefallen: So erkuͤhn ich mich zu ſagen, und es wird gewiß nicht feh- len, Wenn du allen nachgedacht, wirſt du dennoch keinen waͤhlen, Den du fuͤr den beſten haͤltſt, und den du nicht, zu ver- meiden, Tauſend Gruͤnde finden wuͤrdeſt. Wenn du jung, den Tod zu leiden, Wuͤrde dir misfaͤllig ſeyn; denn du faͤngſt erſt an zu leben. Jn erwachſ’nen Jahren auch; denn dein Wirken faͤngt erſt an. Auch im Alter wuͤrdeſt du willig nicht den Geiſt aufgeben, Weil man denn ja ſeiner Arbeit erſt bequem genießen kann. Und ſo fingſt du immer an, wo ſichs doch gebuͤhrt zu enden, Weil du ſelbſt nicht enden willt. Ja, wofern du auch ge- waͤhlt, Nach ſo mancher Ueberlegung, manchem hin und wieder Wenden, Und es kaͤm der Tag herbey, haͤtteſt du dennoch gefehlt, Wenn er auch nach hundert Jahren allererſt geſetzet waͤr, Wuͤrde dir ſodann die Wahl dennoch ganz gewiß gereuen; Denn du wuͤrdeſt ſonder Zweifel dich auch dann zu ſterben ſcheuen. Sachen waͤren noch zu ſchlichten, Waaren ſchwaͤmmen auf dem Meer, Noch nicht recht berathne Kinder, tauſend Dinge ſind vorhanden, Die, wie du den Tag gewaͤhlt, nicht vermuthet, nicht verſtanden:
So
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zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Daß du auch in dieſer Wahl dich nicht uͤbereilen moͤgeſt,
Bin ich wohl damit zufrieden, daß du alles uͤberlegeſt.
Stelle dir des Menſchen Alter in dem ganzen Umfang fuͤr,
Waͤhl von allen Tagen einen, eine Stunde, die vor allen
Dir zu ſterben wird gefallen:
So erkuͤhn ich mich zu ſagen, und es wird gewiß nicht feh-
len,
Wenn du allen nachgedacht, wirſt du dennoch keinen waͤhlen,
Den du fuͤr den beſten haͤltſt, und den du nicht, zu ver-
meiden,
Tauſend Gruͤnde finden wuͤrdeſt. Wenn du jung, den
Tod zu leiden,
Wuͤrde dir misfaͤllig ſeyn; denn du faͤngſt erſt an zu leben.
Jn erwachſ’nen Jahren auch; denn dein Wirken faͤngt
erſt an.
Auch im Alter wuͤrdeſt du willig nicht den Geiſt aufgeben,
Weil man denn ja ſeiner Arbeit erſt bequem genießen kann.
Und ſo fingſt du immer an, wo ſichs doch gebuͤhrt zu enden,
Weil du ſelbſt nicht enden willt. Ja, wofern du auch ge-
waͤhlt,
Nach ſo mancher Ueberlegung, manchem hin und wieder
Wenden,
Und es kaͤm der Tag herbey, haͤtteſt du dennoch gefehlt,
Wenn er auch nach hundert Jahren allererſt geſetzet waͤr,
Wuͤrde dir ſodann die Wahl dennoch ganz gewiß gereuen;
Denn du wuͤrdeſt ſonder Zweifel dich auch dann zu ſterben
ſcheuen.
Sachen waͤren noch zu ſchlichten, Waaren ſchwaͤmmen auf
dem Meer,
Noch nicht recht berathne Kinder, tauſend Dinge ſind
vorhanden,
Die, wie du den Tag gewaͤhlt, nicht vermuthet, nicht
verſtanden:
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/607>, abgerufen am 23.11.2024.
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